Experte bei „Anne Will“: Darum erlebt Angela Merkel im Osten so viel Hass

Ihre unangenehmsten Wahlkampfabende erlebte Angela Merkel dieses Jahr in Ostdeutschland. Warum das so ist, erklärten Fachleute am Sonntag bei „Anne Will“.
Berlin - „Hau ab!“ gehörte noch zu den freundlicheren Unmutsbekundungen, die sich Angela Merkel (CDU) in den vergangenen Wochen bei ihren Wahlkampf-Auftritten in Ostdeutschland anhören musste: Ob nun Finsterwalde oder Torgau, Bitterfeld oder Quedlinburg - der Kanzlerin schlug ausgerechnet in ihrer früheren Heimat eine akustische Welle des Hasses entgegen.
Klar ist mittlerweile, dass die Proteste teils von der AfD aktiv organisiert werden. Dass es im Osten jede Menge Wut gibt, ist aber auch sehr klar geworden. So greifbar ist der Zorn, dass er am Sonntagabend sogar zum Thema beim Flaggschiff der deutschen Polit-Talkshow wurde: Gleich mehrere Experten mühten sich an Erklärungen für das Phänomen - und für die Frage, warum ausgerechnet der Osten trotz geringen Ausländeranteils ein massives Problem mit Fremdenhass hat.
„Gefühl der Ohnmacht“ über Jahre gewachsen
Prädestiniert für tiefere Einsichten schien Frank Richter. Der 57-Jährige war einst DDR-Bürgerrechtler und später lange Jahre Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung - und gilt als diplomatischer Mittler zwischen Pegida und etablierten Parteien in seiner Heimat Dresden. Eine einfache Lösung hatte Richter allerdings nicht parat. Es handle sich um eine „Addition angesammelter Probleme“, konstatierte er.

Die Menschen im Osten hätten mit der Wende „eine Transformation hinter uns, die wirklich für viele Menschen keinen Stein auf dem anderen gelassen hat“, zudem gebe es auf dem Gebiet der Neuen Bundesländer „keine wirklich länger währende Erfahrung mit Demokratie und offener Gesellschaft“.
Zugleich gebe es ein Gefühl von Ohnmacht - auch, weil immer noch viele Führungspositionen von Menschen aus dem Westen besetzt seien. „Wenn sich nämlich das Gefühl von Ohnmacht über Jahre ansammelt, ob begründet oder nur gefühlt, dann entsteht sukzessive Wut und die muss dann eine Kanalisierung finden.“ Wut hielt Richter dabei nicht für per se verwerflich. Hassbekundungen hingegen durchaus: „Hass ist zerstörerisch für alle Beteiligten“, sagte er.
Merkel ist Ostdeusche - aber nicht explizit die Kanzlerin der Ostdeutschen
Einen anderen Aspekt ergänzte Politikwissenschaftlerin und SPD-Mitglied Gesine Schwan. Sie sprach auch Angela Merkel persönlich eine Mitverantwortung zu: Die Kanzlerin habe immer Wert darauf gelegt, „weder als Ostdeutsche noch als Frau besonders wahrgenommen zu werden“. Vor allem aber zeige sie keine besondere Empathie für die Menschen in ihrer alten Heimat. Enttäuschte Erwartungen bei den Bürgern Ostdeutschlands könnten also eine Rolle spielen.
Als einen Lösungsweg für die politischen Probleme im Lande nannte Richter unter anderem stärkere Beschäftigung mit Sachfragen. Eine Minderheitsregierung etwa müsse über politische Fragestellungen diskutieren und inhaltliche Mehrheiten finden, statt nur Parteipolitik zu betreiben. Dass es sich auf den Wahlkampfveranstaltungen mit wütenden Menschen ins Gespräch kommen ließe, glaubt er hingegen nicht: „Demonstrationen sind nicht Ort der Diskussion, sondern der Propaganda.“
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fn