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Atomwaffen-Einsatz für Putin doch noch „sinnvoll“? Experte warnt Westen vor zwei Ukraine-Szenarien

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Von: Bettina Menzel

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Der Politologe Ivan Krastev bei der Buchmesse in Frankfurt im Jahr 2019 (Archivbild). © Manfred Segerer / Imago

Der Ukraine-Konflikt wird zu keinem schnellen Ende kommen, schätzt ein Osteuropa-Experte. Der Einsatz von Atomwaffen könne aus Putins Sicht sinnvoll werden. 

Sofia - Der Ukraine-Konflikt wird Europa noch lange in Atem halten, ein schnelles Ende ist nicht in Sicht. Das jedenfalls denkt der renommierte Osteuropa-Experte Ivan Krastev. Im Interview mit der Welt am Sonntag warnt er davor, dass es im Ukraine-Krieg nicht nur brenzlig werden könnte, wenn Wladimir Putins Angriff auf die Ukraine Erfolg habe - sondern besonders dann, wenn es für den russischen Präsidenten schlecht laufe. Einen Einsatz von Atomwaffen durch Putin schließt Krastev nicht aus.

Putin und die Atomwaffen-Drohung: Am Ende des Ukraine-Konflikts kein echter Frieden, nur Waffenstillstand

Der 57-jährige Politologe Krastev schreibt regelmäßig Kolumnen für die New York Times und andere Medien, arbeitet am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien und leitet das Centre for Liberal Strategies in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Den russischen Präsidenten Wladimir Putin kennt Krastev persönlich.

Krastev geht nicht von einem schnellen Ende des Ukraine-Konflikts aus, denn beide Seiten könnten keine Zugeständnisse machen. Zudem werde es selbst am Ende des Konfliktes keinen echten Frieden geben, nur einen Waffenstillstand. „In dieser Situation können beide Seiten einen Waffenstillstand schließen, aber niemand kann sich auf ein Friedensabkommen verständigen, auch wenn immer wieder verhandelt wird“, erklärt der Politologe. Krastev vergleicht die Situation mit dem Ende des Korea-Krieges. Die koreanische Halbinsel befindet sich völkerrechtlich noch immer im Kriegszustand, da bislang kein Friedensvertrag zustande kam.

Russlands Atomwaffen: „Der Westen sollte fürchten, dass es für Putin wirklich schlecht läuft“

Auch zu den Folgen des Krieges und dem möglichen Einsatz von Atomwaffen äußert sich der Politik-Experte: „Der Westen sollte vor allem zwei Dinge fürchten. Zum einen natürlich, dass Putin mit seinem Angriff Erfolg hat“, so Krastev. „Paradoxerweise aber auch, dass es für ihn wirklich schlecht läuft“, macht der Osteuropa-Experte deutlich. Es sei klar, dass Putin dann bereit wäre, bestimmte Grenzen zu überschreiten. „Aus Putins Sicht kann ein Einsatz von Atomwaffen sinnvoll sein“, erklärt der 57-Jährige.

Er rede nicht von einem Atomkrieg, der das Ende der Welt bedeuten würde. „Aber in der Ukraine mit Atomwaffen anzugreifen, um zu zeigen, dass er bereit ist, jede Grenze zu überschreiten, das ist möglich“, meint Krastev weiter. Denn es gehe in diesem Konflikt auch darum, genau solche Signale zu senden. Genauer einschätzen könnten dies Militärs, insbesondere jene aus den USA, meint der Politologe: „Es ist unglaublich, wie präzise deren militärische Analysen in den vergangenen Monaten waren“, kommentiert Krastev die Berichte der USA. Aber für die Amerikaner sei es auch ein Risiko, über Atomwaffen zu sprechen.

Ukraine-Krieg: Politik-Experte erklärt Scholz‘ „unterkühlte“ Reaktion

Der Krieg werde im Westen auch über die öffentliche Meinung geführt, analysiert Krastev weiter. Dem Bundeskanzler Olaf Scholz attestiert der Politologe eine „sehr reservierte, beinahe unterkühlte“ Reaktion, wenn er über die Ukraine-Krieg rede. „Für ihn ist es sehr wichtig zu zeigen, dass er strategisch kalkuliert entscheidet und nicht emotionsgetrieben“, sagte Krastev in der Welt am Sonntag. Denn Scholz wisse genau, wie sehr Angela Merkel für augenscheinlich emotionale Entscheidungen kritisiert wurde, etwa als sie die Grenzen 2015 für syrische Flüchtlinge öffnete. Diese Marschroute sei Kalkül, der Bundeskanzler warte darauf, dass die öffentliche Meinung in zwei oder drei Monaten drehe.

Olaf Scholz Der damalige Bundesfinanzminister und heutige Bundeskanzler Olaf Scholz 2020 beim Treffen mit dem bulgarischen Politologen Ivan Krastev
Der damalige Bundesfinanzminister und heutige Bundeskanzler Olaf Scholz 2020 beim Treffen mit dem bulgarischen Politologen Ivan Krastev in Berlin (Archivbild). © Thomas Imo/photothek.net / Imago

Krastev geht ebenfalls davon aus, dass die Debatte über die Ukraine-Krise in Deutschland an Schärfe gewinnen wird. In der öffentlichen Meinung stünden sich „aktuell zwei Seiten gegenüber: diejenigen, die Frieden wollen, und diejenigen, die Gerechtigkeit für die Ukraine wollen“, so Krastev.

Welche Seite in der Debatte die Oberhand gewinnen werde, hänge auch von den Ereignissen in der Ukraine ab, „weil die Menschen sich von Ereignissen sehr beeinflussen lassen.“ Außer neige der Mensch dazu, „Dinge in unserem Leben zu trivialisieren – auch die furchtbarsten Dinge wie diesen Krieg.“ Der Putin-Experte rechnet daher damit, dass die Menschen den Krieg langfristig nicht mehr so stark verfolgen, wodurch der Druck auf die Politik abnehmen werde. „Russland wird auf diesen Ermüdungseffekt setzen und international sehr viel über Frieden reden und darüber, dass die Ukraine nicht verhandeln will“, so Krastev. (bm)

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