1. Startseite
  2. Politik

Deutsche „Furcht“ vor Putins Niederlage? Osteuropa-Experte erklärt Deutschlands „Problem“

Erstellt:

Von: Bedrettin Bölükbasi

Kommentare

Wladimir Putin und Olaf Scholz am Tisch im Kreml.
Kreml-Chef Wladimir Putin und Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. Februar 2022 in Moskau. © Kremlin Pool/Imago

Deutschlands Haltung im Ukraine-Krieg sorgt immer wieder für Diskussionen. Ein Experte sprach nun von „Furcht“ vor einer Niederlage Russlands.

München – Im Ukraine-Krieg unterstützt Deutschland die Ukraine sowohl finanziell als auch militärisch, daran besteht kein Zweifel. Allerdings führt die Geschwindigkeit und vor allem der Umfang dieser Hilfe immer wieder zu Diskussionen. Berlin wird vorgeworfen, nicht genug zu tun. Aktuell etwa steht Deutschland unter Druck wegen der bisherigen Weigerung, Leopard-2-Panzer an die Ukraine zu liefern.

Der Osteuropa-Experte Sergej Sumlenny zeichnete im Gespräch mit dem ukrainischen Nachrichtenportal European Prawda ein klares Bild. Geht es nach ihm, so hält sich Deutschland zu stark zurück, wobei sich die Deutschen auch nicht bewusst sind, dass Kreml-Chef Wladimir Putins Angriffskrieg durchaus Unterstützung unter Russen genießt.

Ukraine-Krieg: Experte kritisiert deutsche Haltung als „sehr langsam“ und fordert mehr von Berlin

„Deutschland ist definitiv nicht ein Feind der Ukraine“, sagte Sumlenny dem Nachrichtenportal. Allerdings sei es fraglich, „in welchen Sphären das Land ein Freund ist“. Zwar sei Deutschland an einer siegreichen, starken und in die EU integrierten Ukraine interessiert. Aber: „Das Problem ist, dass Deutschland jetzt mehr für diesen Sieg tun muss.“

Deutschland verstehe nicht, „welche Rechnungen es zahlen werden muss, weil dieser Krieg eineinhalb bis zwei Jahre gedauert hat“, wobei es aber mit der passenden Unterstützung möglich gewesen wäre, diesen Krieg auf drei bis vier Monate zu verkürzen. Genau dies sei das „Problem“ Deutschlands: „Laute Äußerungen, aber sehr langsames Handeln.“

Sumlenny äußerte sich auch zur Haltung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Auch er sei auf jeden Fall kein „anti-ukrainischer Politiker“ oder ein „Feind der Ukraine“. Jedoch sei es immer ein Fehler, wenn man in manchen Fällen kein „aktiver Freund“ sei. Hier sieht der Osteuropa-Experte den Rest der Ampel-Koalition in Verantwortung. Sie müssten dem Bundeskanzler verdeutlichen, dass er Fehler mache. Dafür aber bräuchten sie „mehr politische Erfahrung und Mut“.

Ukraine-Krieg: Osteuropa-Experte spricht von deutscher „Furcht“ vor einer russischen Niederlage

Mit Blick auf die aktuelle Debatte zur Lieferung von Leopard-2-Panzern zeigte er sich zuversichtlich. „Ich bin mir sicher, dass Deutschland Leopard-Panzer liefern wird“, erklärte Sumlenny. Dies werde aber nur nach dem Handeln anderer Staaten geschehen: „Wenn zum Beispiel die USA Panzer liefern, dann wird Deutschland zwei Wochen warten und das Gleiche tun.“

Nichtsdestotrotz gibt es für Sumlenny einen weiteren Faktor in der deutschen Haltung. „Deutsche Politiker fürchten den Gedanken einer russischen Niederlage im Krieg, weil sie es nicht verstehen können“, unterstrich der Experte. Berlin würde sich fragen: „Was wird danach passieren?“ Daher sei eine Niederlage sowie ein darauffolgender Kollaps Russlands unvorstellbar für die deutsche Politik. „Deutsche haben Angst, auch nur darüber zu denken“, so der Experte. Stattdessen stelle man sich lieber eine „Versöhnung“ mit Russland vor.

Gewalt als Grundwert russischer Weltanschauung – „Aber die Deutschen sehen das nicht“

Dies führt er auf zwei Ursachen zurück. Zum einen könne sich die deutsche Politik nicht erklären, wie überhaupt die Ukraine den Krieg gegen eine Atommacht gewinnen könnte. Zum anderen würden die Deutschen nicht realisieren, „dass die Verbrechen des russischen Militärs tatsächlich Teil der politischen Weltanschauung Russlands sind“. Da er in Russland geboren worden sei und sich auch dort sozialisiert habe, sei es für ihn einfacher gewesen, sich mit der Denkweise dort vertraut zu machen, erklärte Sumlenny European Prawda. „Ich habe verstanden, dass die Zerstörung der Ukraine der Grundwert des russischen Staates ist“, betonte er.

Hinzu kommt: Russen würden die Handlungen ihrer Armee unterstützen. Sumlenny stellte eine brisante These auf: Gewalt sei der oberste Wert der russischen Weltanschauung. „Nicht Wohlstand, nicht Gesundheit, nicht Spaß, sondern Gewalt ist ihr fundamentaler Wert“, so der Experte. Er definierte, was Russen unter dem Begriff des Sieges verstehen: „Russen sehen einen Sieg, wenn sie eine Stadt betreten, alles niederbrennen, vergewaltigen und weiterziehen.“ Dabei würden sogar gut ausgebildete Russen diese Handlungsform befürworten.

„Aber die Deutschen sehen das nicht“, kritisierte der Experte. Sie könnten sich nicht vorstellen, dass dies tatsächlich möglich sei. „Die Deutschen können nicht glauben, dass es um den Wunsch Russlands geht, die Ukraine physisch zu zerstören und die Überlebenden in Russen zu verwandeln.“ Russland versucht offenbar tatsächlich, etwa ukrainische Kinder nach eigener Vorstellung großzuziehen. Zuletzt zeigten Aufnahmen aus einem ukrainischen Waisenhaus die Entführung von Kindern durch russische Soldaten. (bb)

Auch interessant

Kommentare