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G20-Gipfel in Hamburg: Polizist schreibt anonymen Wutbrief

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Von: Lukas Praller

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Mit einem langen Brief auf der Facebook-Seite „Polizist=Mensch“ hat ein 30 Jahre alter Beamter über den G20-Gipfel in Hamburg mächtig Dampf abgelassen.
Mit einem langen Brief auf der Facebook-Seite „Polizist=Mensch“ hat ein Beamter über den G20-Gipfel in Hamburg mächtig Dampf abgelassen. © Screenshot Facebook / Polizist=Mensch

Anfang Juli findet der G20-Gipfel statt - und Hamburg steht still. Ein Umstand, der einen anonym bleiben wollenden Polizisten auf die Palme bringt.

Hamburg - Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel am Abend des 7. Juli in die Hamburger Elbphilharmonie einlädt, werden sie alle da sein. Egal ob Putin, Erdogan, Trump, Macron oder auch Chinas Xi Jinping - die Liste der internationalen Staatsgäste, die am Ende eines langen und sicherlich diskussionsreichen ersten Tages des G20-Gipfels sich die Ehre geben und der Kanzlerin zu einer Veranstaltung in das neue Wahrzeichen der Hansestadt folgen, könnte länger und prominenter kaum sein. 

Überraschend kommt das nicht; schließlich ist Merkel zuletzt auch durch die mediale Berichterstattung zur „Führerin der freien Welt“ stilisiert worden. Was dagegen durchaus überrascht, ist vor allem die Anzahl der Demonstranten, die sich bereits im Vorfeld des Gipfels angekündigt haben. Allein am Wochenende vor dem Gipfeltreffen ist von einer Protestaktion mit bis zu 50.000 Teilnehmer auszugehen. Am Wochenende selbst werden dann wohl mindestens 100.000 Menschen demonstrieren. 

Seit Montag haben die zahlreichen Demonstranten nun auch einen großen Fürsprecher aus Polizeikreisen, dessen Facebook-Statement zum G20-Gipfel in Hamburg innerhalb kürzester Zeit hohe Wellen geschlagen hat. Wobei „Facebook-Statement“ wohl das falsche Wort ist; der wütende Post, der bereits über 7500 Reaktionen hervorrief und über 5000 Mal geteilt wurde, gleicht schon eher einer Generalabrechnung mit der Politik. 

„Ich finde es eine bodenlose Frechheit, wie ignorant dieses Treffen geplant und gegen den Willen hunderttausender Menschen durchgesetzt wird.“ Es sind Worte wie diese, die einen Streifenpolizisten, der allerdings anonym bleiben möchte, quasi über Nacht zum Social-Media-Star gemacht haben. Auf Facebook hatte die bekannte Seite Polizist=Mensch (über 60.000 Fans) seinen offenen Brief veröffentlicht und gleichzeitig betont, dass der Autor den Betreibern der Seite als Polizist bekannt sei.

Der Beamte kritisiert vor allem drei Dinge

Vor allem die horrenden Kosten sind es, die den Beamten fassungslos machen. 50 Millionen Euro, wie Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) inoffiziell bestätigte, wird Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) der Hansestadt für die Ausrichtung des G20-Gipfels überweisen. „Ich lade Sie gern ein, wenn Sie noch einen Programmpunkt zwischen teurem Essen und Konzertbesuch frei haben, mal eine Schicht im Streifendienst zu begleiten“, so der laut eigener Aussage langjährige Polizist. 

„Schauen sie sich gern Familien am Rande der Gesellschaft an, die wir in polizeilichen Einsätzen oft erleben. Die Menschen, die ohne Obdach auf der Straße (er)frieren, oder die, die sich beim Discounter um die Ecke eine Packung Toastbrot und Käse klauen, um den Kindern Brote für die Schule zu machen.“ Er könne es nicht verstehen, warum die Staatschefs an zwei Tagen hintereinander Unsummen an Geld für „ihr belangloses Stelldichein“ ausgeben - und die Stärkung des Sozialsystems dabei sträflich vernachlässigen. „Wie gut könnte man das Geld in den Pflegeeinrichtungen oder in der Flüchtlingsarbeit gebrauchen?“, fragt er rhetorisch. 

Einen zweiten Kritikpunkt sieht der Polizist in den zahlreichen Einschränkungen, die durch das diplomatische Treffen auf die Bürger der Stadt zukommen. Denn selbst die Stadt warnt, dass die Erfahrungen früherer G20-Gipfeltreffen zeige, dass es Einschränkungen und Behinderungen für die Hamburgerinnen und Hamburger geben werde. Eine Tatsache, die der Beamte nicht so hinnehmen will. „Verraten Sie mir, welchen Durchbruch erwarten Sie auf Ihrer kleinen Klassenfahrt, dass man tausende Bürger in ihren Grundrechten einschränkt, Gewerbetreibenden finanzielle Einbußen zumutet und hunderte Menschen zeitweise in ihren Wohnungen einsperrt?“, schimpft er und kommt schließlich zum abschließenden Thema: die Einsparungen innerhalb des Polizeisektors. 

Demnach seien die Einsatzstellen chronisch unterbesetzt und durch den G20-Gipfel zusätzlichen belastet. „Aus dieser ohnehin schon nicht gesunden Situation werden jetzt noch über Wochen weitere Kollegen abgezogen“, erklärt der Polizeibeamte. Die verbleibenden Kollegen werden daher vermutlich in 12-Stunden-Schichten arbeiten, damit der Betrieb auf den Revieren aufrecht erhalten werden könne. „Und das nur, damit Ihr Gipfel durchgeführt werden kann.“ Der Polizist schließt mit den Worten: „Hören Sie, liebe Staatschefs, endlich auf, sich wie bockige Kinder auf dem Schulhof zu benehmen. Es sind nicht ihre Leben, die Sie hier zu Grunde richten!“

Angesichts solcher Worte und den angekündigten Groß-Demonstrationen sieht es danach aus, als würde die Stadt Hamburg mit ihrer Rolle als friedliche „Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt“ (Präambel der Landesverfassung) während des Gipfel-Wochenendes tatsächlich so ihre Probleme bekommen.

Auch in der Fußballszene regt sich Protest: Anhänger des Zweitligisten St. Pauli zeigen ihre Abneigung gegen den G20 Gipfel in Hamburg.
Auch in der Fußballszene regt sich Protest: Anhänger des Zweitligisten St. Pauli zeigen ihre Abneigung gegen den G20 Gipfel in Hamburg. © dpa

lpr

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