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„Fünfkampf“: So lief der muntere Schlagabtausch der kleinen Parteien

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Von: Mike Schier

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Live-Fünfkampf der kleinen Parteien in der ARD
Skeptische Blicke, aber ein freundlicher Handschlag: Alice Weidel (AfD) begrüßt Christian Lindner (FDP), beobachtet (v.li.) von Sahra Wagenknecht, Cem Özdemir (Grüne) und Joachim Herrmann (CSU). © dpa

Auf das große Duell folgt der moderne Fünfkampf. Auch die kleinen Parteien haben ihren TV-Auftritt vor der Bundestagswahl. Sie dürfen dabei über Zukunftsthemen reden, die am Vorabend fehlten. Mitunter wird es etwas konfus – dafür aber deutlich kurzweiliger. Die TV-Analyse.

Berlin - Am Sonntagabend moserte Christian Lindner noch vor dem Fernseher sitzend auf Twitter: „Wieso gab es beim TV-Duell NICHTS zu Bildung, Digitalisierung, Euro, Energie, Klima, Innovation, Bürokratie?“ 24 Stunden später (und nach seinem morgendlichen Auftritt in Niederbayern am Gillamoos) steht der FDP-Chef selbst vor einem Millionenpublikum. Und plötzlich geht es genau um jene Zukunftsthemen, die ihm am Sonntag noch fehlten. Selbst AfD-Spitzenfrau Alice Weidel darf erst einmal nicht zu Flüchtlingen oder Innerer Sicherheit reden. Die erste Frage an sie lautet: „Können Sie auch Glasfaser?“

Tag zwei des politischen Schlagabtauschs – und offenbar hat die Redaktion ihre Hausaufgaben gemacht. Die Vertreter der kleinen Parteien fangen just mit den Themen an, die bei Angela Merkel und Martin Schulz vergessen wurden. Es geht kurzweiliger zu. Schon nach wenigen Minuten ist Feuer drin, die Schlagzahl hoch: Merkel und Schulz diskutierten eineinhalb Stunden lang zu zweit, jetzt müssen sich fünf Kandidaten nur eineinviertel Stunden teilen: Neben Lindner und Weidel sind das der Grüne Cem Özdemir, die Linke Sahra Wagenknecht sowie mit CSU-Spitzenkandidat Joachim Herrmann erneut ein Unionsvertreter.

Live-Fünfkampf der kleinen Parteien in der ARD
Live-Fünfkampf der kleinen Parteien in der ARD: (von links) BR-Chefredakteur Christian Nitsche, WDR-Chefredakteurin Sonia Seymour Mikich, Sahra Wagenknecht (Linke), Cem Özdemir (Grüne), Joachim Herrmann (CSU), Christian Lindner (FDP) und Alice Weidel (AfD). © dpa

Die Teilnehmer sind gut vorbereitet, sie wollen diskutieren. Aber die beiden Moderatoren Sonia Mikich (WDR) und Christian Nitsche (BR) müssen oft unterbrechen. Auch hier ist das Korsett eng, zu viele Punkte sollen abgearbeitet werden. „Nicht jeder darf zu jedem Thema etwas sagen“, erklärt Mikich keck. Nicht nur Christian Lindner wirkt ein wenig fassungslos, dass er nichts zu Wohnen oder Euro beitragen darf. Auch sonst überrascht, dass der rhetorisch sonst brillante FDP-Chef in dieser Runde nicht hervorsticht und fast ein wenig brav wirkt.

Nach einer halben Stunde geht es dann doch um Flüchtlinge. Eine schöne Vorlage für Joachim Herrmann, der bei der Diskussion um Wohnungen, Arbeitslosigkeit oder Rente freundlich lächelnd zugehört hatte. „Man muss da sehr differenziert rangehen“, sagt der bayerische Innenminister, was außerhalb Bayerns sicher einige überraschen dürfte. Erst einmal müssten jene das Land verlassen, die kein Aufenthaltsrecht haben, frühestens dann könne man über Familiennachzug reden.

Direkt nach Herrmann darf auch Christian Lindner etwa sagen. Und man bekommt eine Vorahnung, dass dieser Teil bei möglichen Koalitionsverhandlungen zwischen Schwarz und Gelb erstaunlich rasch abgearbeitet werden dürfte. 2015 sei bei der Bewältigung des Flüchtlingsansturms „alles durcheinander gegangen“, erklärt der FDP-Chef und schiebt noch den bemerkenswerten Nachsatz „auch von der deutschen Wirtschaft“ hinterher. Er fordert mehr Polizei und ein Einwanderungsgesetz, dass die Migration ins Land ordne.

Auffallend: Es wird diskutiert, allerdings fast nicht gestritten. Das liegt auch daran, dass die AfD nicht Alexander Gauland, sondern Weidel in die Runde geschickt hat. Auch wenn sie für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus eine Obergrenze von 10 000 fordert, agiert sie zurückhaltender, als viele ihrer Parteifreunde. Die Rolle der Provokateurin von Rechts will sie nicht ausfüllen. Sie sagt sogar Sätze wie: „Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung.“

Wer aufpasst, kann anhand der Debatte verfolgen, wer um welche Wählergruppen ringt, beispielsweise als Weidel Herrmann Versäumnisse bei der Abschiebung vorwirft. Die Quote im Freistaat liege mit 17 Prozent deutlich niedriger als im grün regierten Baden-Württemberg. Der CSU-Kandidat kontert: „Ich weiß gar nicht, von welchen Quoten sie da reden.“ Jedenfalls seien 2017 rund 10000 Menschen in ihre Heimat zurückgekehrt – ob freiwillig oder per Abschiebung sei zweitrangig.

Ungewöhnlich ist, wie viel Lob Cem Özdemir von FDP-Politikern in den sozialen Netzwerken bekommt. JuLi-Bundeschef Konstantin Kuhle zollt auf Twitter „Respekt“, der bayerische Spitzenkandidat Daniel Föst findet ihn „sehr stark“. 

Vielleicht trägt dazu auch bei, dass Özdemir den einzigen Scherz des Abends wagt. Joachim Herrmann raunt er beim Thema Integration und Sprachkenntnisse zu: „Wir beide mussten auch das Hochdeutsche so weit lernen, dass wir hier in so einer Sendung dabei sein können.“

Belebend wirkt sich ein Format aus, bei dem sich die Teilnehmer spontan gegenseitig Fragen stellen dürfen. Nun weiß Deutschland, dass sich Lindner und Özdemir duzen, aber beim Umgang mit Russland und US-Atomwaffen sehr unterschiedliche Meinungen vertreten. Und Alice Weidel umschmeichelt Sahra Wagenknecht als die einzige Vernünftige unter den Linken. „Ihr Lob können Sie sich gerne schenken“, lautet die kühle Antwort. Wagenknecht fragt lieber, wie wohl sich Weidel in einer Partei fühle, die mit „handfesten Halbnazis“ in den Bundestag einziehe. Weidels erstaunliche Antwort: „Ich wage zu behaupten, dass wir das höchste Akademisierungsniveau haben.“

Update vom 11. September 2017: In der Debatte um die angebliche E-Mail aus dem Jahr 2013 meldet sich nun auch die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin und CDU-Politikerin Vera Lengsfeld zu Wort. Sie behauptet, dass AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel mit Stasi-Methoden diskreditiert werden soll.

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