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Vorwürfe gegegn Kanzlerin
Gabriel: „Merkels großer strategischer Fehler“
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München - Der ehemalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat nach der Münchner Sicherheitskonferenz die Außenpolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hart kritisiert.
München - Im vergangenen Jahr hielt Sigmar Gabriel (SPD) als Bundesaußenminister eine der bemerkenswerteren Reden der Sicherheitskonferenz. Diesmal trifft man den 59-Jährigen als einfachen Bundestagsabgeordneten entspannt in einem Café unweit des Bayerischen Hofs zum Gespräch. Er trägt keine Krawatte. Aber zu sagen hat er weiterhin eine Menge – deutlich pointierter als sein Nachfolger Heiko Maas am Rednerpult nebenan. Nur die Frage, in welcher Funktion er dies künftig tun wird, lässt Gabriel offen.
Das zeigt, wie schwierig die Lage ist.
Gabriel: Sind wir Partner, die sich gegenseitig respektieren?
Es gibt große Unsicherheit, was man überhaupt unter einem westlichen Bündnis versteht. Geht es nur um militärische Sicherheit oder – wie wir früher immer gesagt haben – auch um gemeinsame Werte? Und zweitens gibt es die Frage, ob wir füreinander noch einstehen. Sprich: Sind wir Partner, die sich gegenseitig respektieren? Oder fordern die USA nur noch Gefolgschaft und drohen andernfalls ihre Mitgliedschaft in der Nato infrage zu stellen. Die Rede des US Vizepräsidenten jedenfalls kann man eher als Drohung verstehen.
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Gabriel über Konflikt Trump/Merkel/Europa
Natürlich kann Europa kein Interesse daran haben, die Bindung an die USA einfach aufzugeben. Im Gegenteil; Wir sollten in das Amerika von morgen investieren. Die Mehrzahl der Amerikaner wird in wenigen Jahren nicht mehr europäischen Ursprungs sein, sondern lateinamerikanischen oder asiatischen. Wir müssen dringend viel mehr tun, um diese kommende Generation in den USA besser kennen zu lernen. Die zweite Aufgabe ist: Europa muss selbstständiger und souveräner werden.
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Zum einen in der Sicherheitspolitik, zum anderen in der Währungspolitik. Solange wir komplett am Dollar hängen, ist es schwer, sich in Auseinandersetzungen wie um den Iran frei zu entscheiden. Sicher ist: Europa steht vor einer anstrengenderen Zeit als in der Vergangenheit.
Macron gegen Merkel: „Im Fußball nennt man das ein Revanchefoul“
Das war einer der großen strategischen Fehler der Bundeskanzlerin. Solange ich im Amt war, habe ich ihr immer wieder gesagt, dass ich das für fahrlässig halte. Bei der Gaspipeline „Nord Stream 2“ haben wir jetzt erlebt, wie sich die Franzosen kurz vor Toresschluss gegen Deutschland wendeten, obwohl sie wissen, dass das für unsere Wirtschaft von größter Bedeutung ist. Im Fußball nennt man das ein Revanchefoul. Es ist zwar mit dem Kompromiss gerade noch mal gut gegangen – aber ich verstehe, dass Macron total enttäuscht ist. Wir haben Frankreich hängen lassen.
Kommentar: Merkel ist ein sinkender Stern
Es ist nie vorbei. Aber wir sind in Deutschland schon sehr mit uns selbst zufrieden. Es ist wie in der Mitte des Orkans: Da ist es immer windstill, aber draußen ist ganz schön was los. Wenn wir nicht aufpassen, haben wir Europäer zwischen den großen Polen der Welt – USA und China, nicht Russland – nichts zu sagen. Dann werden wir Schachbrettfiguren auf dem Spielfeld anderer.
„Angela Merkel muss ihren Worten zu Europa auch mal Taten folgen lassen“
Angela Merkel muss ihren Worten zu Europa auch mal Taten folgen lassen. Das kann ich bislang nicht erkennen. Ich bin bekanntermaßen kein Fan davon, jedes Jahr zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Bundeswehr zu stecken. Ich will nicht wissen, was die Franzosen in zehn Jahren sagen, wenn wir jetzt jedes Jahr mit so viel Geld aufrüsten. Aber man kann intelligenter vorgehen und dabei zeigen, dass Deutschland bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Wie wäre es, wenn wir die polnische Marine unterstützen?
Wie wäre es, wenn wir 1,5 Prozent in die Bundeswehr stecken und 0,5 Prozent bereitstellen für die Verteidigungsfähigkeit Osteuropas? Wie wäre es, wenn wir die polnische Marine gegen den schwierigen Nachbarn Russland unterstützen? Das wäre eine unerhörte und vor allem völlig unerwartete Leistung Deutschlands für die Sicherheit Osteuropas.
Gabriel fordert Ausgaben für Osteuropa
Warum sollen wir nicht in die gemeinsame europäische Sicherheit investieren? Wenn man Europa zusammenhalten will, muss man sich immer in die Schuhe des Schwächsten stellen, um zu verstehen, was da passiert. Für viele in Osteuropa erscheint Russland eine reale Bedrohung. Es geht nicht darum, ob wir Deutschen das auch so sehen, sondern darum, die Sorgen anderer ernst zu nehmen. Bislang übernehmen nur die Amerikaner diese Rolle in der Sicherheitspolitik. Es ist der amerikanische Steuerzahler, der für Europas Sicherheit zählt. Da dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Polen die ersten sind, die den Amerikanern anbieten, neue landgestützte atomare Mittelstreckenraketen bei sich zu stationieren.
Deshalb brauchen wir das Signal: Wir Deutsche fühlen uns verantwortlich für die Sicherheit unserer Nachbarn – und zwar nicht nur in Sonntagsreden. Nur wenn die Osteuropäer uns das abnehmen, werden sie nicht nach neuen Atomwaffen rufen.
Es ist immer interessant, hier zu sein. Aber die Rolle ist natürlich eine andere – so ist das Leben.
Gabriel über SPD-Comeback: „Von solchen Spekulationen halte ich gar nichts“
Von solchen Spekulationen halte ich gar nichts. Das macht nur meine Parteiführung nervös.
Ja, ich habe ihn gefragt, ob er was gegen mich hat (lacht). Wir haben ein humorvolles Verhältnis.
Da bin ich ein bisschen Projektionsfläche, weil viele so unzufrieden sind. Ich hatte eigentlich nie ein Problem mit der SPD-Basis. Die Konflikte gab es mit Mandatsträgern und Funktionären. Schauen Sie: Zwei Jahre lang musste ich dafür streiten, ein Freihandelsabkommen mit Kanada zu schließen. Aus heutiger Sicht völlig absurd, dass sich die Partei im Wahn einiger weniger Mandats- und Funktionsträger fast zerlegt hätte. Die müssten heute sagen: Da haben wir die SPD wohl mit dem falschen Thema behelligt.
Gabriel über Grundrente und Nahles: „Sie hat ein Thema gefunden“
Das hat mir gut gefallen. Die Grundrente ist überfällig in Deutschland. Es kann doch nicht sein, dass jemand, der 35 Jahre arbeiten geht, am Ende in der Rente genau so viel bekommt wie jemand, der nie gearbeitet hat.
Das glaube ich nicht. Ich warne auch davor, dass jetzt zum taktischen Manöver zu erklären. Die Botschaft muss lauten: Wir meinen es ernst.
Sie hat ein Thema gefunden, mit dem die SPD ihr Profil schärft.
Interview: Mike Schier und Marcus Mäckler
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