Gauweiler im Interview: So schnell kann die CSU weg vom Fenster sein

Wie sieht Peter Gauweiler die Lage der CSU? Im großen Interview spricht der ehemalige Parteivize über die Lage der Christsozialen.
Er war ein im rot-grünen München verhasster KVR-Referent, in der CSU-Landesregierung Staatssekretär und Minister, zwölf Jahre Abgeordneter im Landtag, 13 im Bundestag. Peter Gauweiler (68), immer ein überzeugter Christsozialer, oft aber auch einer, der seinen Parteichefs wegen unbotmäßigen eigenen Vorstößen nicht nur Freude machte. Vor dem Jahreswechsel bat die tz den CSU-Veteran um eine Bewertung der Lage und um einen Ausblick.
In Ihrem neuen Buch „Evangelisch in Bayern“ schreiben Sie, dass Sie den Begriff der „versöhnten Verschiedenheit“ innerhalb der einen Kirche schätzen. Sollte es die nicht auch in einer Partei oder zwischen verschiedenen Parteien geben?
Peter Gauweiler: Ja. Für mich war Politik immer wie gutes Schachspiel. Wenn jeder die Züge des anderen nachmacht wird es uninteressant. Heute ist leider der Unterschied zwischen den Volksparteien im Bundestag – AfD und Linke nicht betrachtet – nur noch auf dem Millimeterpapier festzustellen. Das allerdings bei gleichzeitiger heftiger wechselseitiger Beschimpfung! Das Thema muss nur belanglos genug sein, dann kann man sich wirklich in die Wolle kriegen.
Sie haben in einem Interview,angelehnt an ein Rilke-Gedicht, Horst Seehofer zum Rücktritt aufgefordert – „Horst, es ist Zeit!“. Generalsekretär Scheuer wies Sie als „disziplinlosen Besserwisser“ in die Schranken. Warum kümmern Sie sich, ohne Amt und Mandat, überhaupt noch um die CSU?
Gauweiler (lacht): Mit Amt und Mandat müsste man sich womöglich noch mehr Sorgen machen? Aber Spaß beiseite. Im Januar 2018 werde ich genau 50 Jahre CSU-Mitglied sein. Wenn man so lang dabei ist, fühlt man sich der Idee dieser Gemeinschaft besonders verpflichtet. Es kann in Bayern niemandem gleichgültig sein, wenn sie sich selbst kaputt machte.
Tut Sie das?
Gauweiler: Ihre Führung war durch das Wahlergebnis infrage gestellt. Die personelle Autorität einer neuen Führung muss von der Basis der Partei kommen. Die CSU gilt bis heute als die mitgliederstabilste Partei in Deutschland. Völlig egal, auf wen die Wahl fällt – trotz des ganzen Hin und Her sollte die reale Nummer eins einer Partei wie in Amerika von der Basis bestimmt werden.
Gauweiler: CSU-Mitgliederbefragung wäre richtig gewesen
Als Ilse Aigner vorschlug, den Ministerpräsidenten-Kandidaten durch eine Mitgliederbefragung zu ermitteln, wurde sie von Söder-Anhängern beschimpft. Sie selber hatten das auch gefordert.
Gauweiler: Der Vorschlag war richtig. Die CSU befindet sich an einer Weggabelung, personell und inhaltlich: Mehr oder weniger EU? Werden unsere Grenzen an Bayerns Grenzen geschützt oder in der Türkei? Bedeutet eine „Modernisierung“ à la CDU nicht eine kulturlose Moderne, bei der Essentialien aufgegeben werden, für deren Erhalt die CSU eigentlich gegründet wurde?
Die verschiedenen Kandidaten müssten quasi mit Programmen für sich werben?
Gauweiler: Bei aller Kritik an Amerika: Die dortigen innerparteilichen „Primaries“ haben doch einen großen Reiz. Das sind harte, aber offene Kontroversen. Viel besser als die Hinterzimmer-Intrigen mit anschließenden Pressegesprächen hierzulande.
Hätte eine Mitgliederbefragung oder Ilse Aigner selbst dem Kandidaten Söder gefährlich werden können?
Gauweiler: Er hätte diese Prüfung bestens bestanden. Alle, die im Gespräch waren, wären mit einer Teilnahme gut beraten gewesen. Auch als Ausdruck von Souveränität und Respekt vor den Mitgliedern, denen bei der vorherigen Auseinandersetzung einiges zugemutet wurde. Wer sich einer solchen Herausforderung der freien Wahl gerade und mutig und inhaltlich gut vorbereitet stellt, kann eigentlich gar nicht verlieren.
Machen Sie sich echte Sorgen um die CSU?
Gauweiler: Verbände, Parteien, Staaten sind sogenannte „intersubjektive Phänomene“. Man kann sie nicht anfassen. Die Sowjetunion – puff und weg! 2018 gedenken wir des hundertsten Jubiläums der Ereignisse von 1918: Kurt Eisner, Räterepublik – im gleichen Jahr hatte König Ludwig III. noch prunkvoll seine goldene Hochzeit gefeiert. Wochen später gab es sein Königreich nicht mehr! Die Democrazia Cristiana war die stabilste Regierungspartei im Nachkriegs-Italien. Sie ist innerhalb eines halben Jahres verschwunden. So groß solche Phänomene auch sind, sie haben keine Gewähr auf Beständigkeit. Nur: Wäre die CSU weg, wäre, was die bayerische Staatlichkeit angeht, etwas Entscheidendes entschwunden. Etwas, das weit über das tagespolitisch Parteiliche hinausgeht. Man darf sich jetzt wirklich nicht nur um aktuelle Koalitionschancen kümmern.
Sie haben schon vor den Jamaika-Sondierungen gefordert, dass die CSU ihre Führungsfrage löst. Wie beurteilen Sie die jetzt angepeilte Teillösung?
Gauweiler: Wenn Wahlen noch irgendeinen Sinn haben sollen, musste das zu Konsequenzen führen. Bei den aktuellen GroKo-Sondierungen drängt sich ein bisschen sehr der Eindruck auf: Verlierer an die Macht! Wo sich drei ziemlich Geschwächte ans Ruder klammern.
Gauweiler: Das erwartet er sich von Ministerpräsident Söder
Was erwarten Sie von einem Ministerpräsidenten Söder?
Gauweiler: Seine Leistung als Finanzminister kann sich sehen lassen. Es ist eine Belastbarkeit sichtbar geworden, die man für das Spitzenamt braucht. Ich hoffe, dass er unsere Versprechen aus dem „Bayernplan“ erfüllt, dass Bayern der Politik der Europäischen Zentralbank, der Verfestigung einer Haftungs- und Schuldenunion, entgegentritt. Und der Ausschaltung der parlamentarischen Gremien bei der sogenannten „Euro-Rettung“ auch.
Wie beurteilen Sie den Vorstoß von SPD-Chef Schulz für Vereinigte Staaten von Europa bis 2025?
Gauweiler: Die Diskussion über die Vereinigten Staaten von Europa hatten wir im Zusammenhang mit dem europäischen Verfassungsvertrag und bei dem Urteil zum Vertrag von Lissabon. Wenn Schulz die Bundesrepublik in einem höheren Kontinentalstaat auflösen will, muss er dazu die Bevölkerung fragen. Wenn das nicht nur eine Wunderkerze für den Parteitag sein sollte. Frage: Wird die SPD dafür einen Volksentscheid auf Bundesebene im Parlament beantragen? Oder soll die Abschaffung der bisherigen Bundesrepublik bei den GroKo-Verhandlungen entschieden werden?
Sind diese Verhandlungen nicht schon wegen der Ablehnung aus der Union über diese Frage zum Scheitern verurteilt?
Gauweiler: Es gibt Leute in der CDU, die die Vereinigten Staaten von Europa wollen, einige auch in der CSU. Die CSU hat zwar gegen Schulz als Person vom Leder gezogen, aber nach dieser zentralen Aussage und ihrer Realisierung hat bisher niemand gefragt.
Gauweiler: Das ist seine Botschaft für die nächste Bundesregierung
Was wünschen Sie sich von der künftigen Regierung?
Gauweiler: Aufwachen! Die Berliner Politik schlafwandelt in eine Situation, die der von 1914 nicht unähnlich wird. Sie haben an der Bombardierung von fünf islamischen Ländern mitgewirkt, und fragen immer noch nicht, ob die Not und das Elend dieser großen Weltregion nicht auch genau damit zusammenhängen. Ich erinnere gern daran, dass Horst Seehofer als einziger dem damaligen Bundespräsidenten Gauck entgegentrat, als dieser im Bayerischen Hof auf der Sicherheitskonferenz eine militärische Verantwortung der Bundeswehr überall auf der Welt behauptete.
Kann man die AfD-Wähler wieder einfangen?
Gauweiler: Nicht einfangen, sondern überzeugen. Wähler bilden sich ihre Meinung jeden Tag neu. Wenn sie von einer Partei, die sie eigentlich schon abgeschrieben hatten, auf einmal wieder einen wahren Satz hören, kann das Wunder bewirken.
Sie sind also gar nicht so pessimistisch, wie sich das in diesem Gespräch manchmal angehört hat?
Gauweiler: Im Inneren glaube oder hoffe ich immer, dass alles gut geht und zusammenkommt. Das setzt gerade in der globalen Welt kleine funktionierende Einheiten voraus. Dazu eine These von Friedrich Dürrenmatt: Die Welt muss entweder untergehen oder verschweizern.
In welcher Hinsicht?
Gauweiler: Unsere Kinder kennen Australien und machen Praktika in Hongkong, das ist auch alles super. Aber diese globale Einheitswelt braucht ein Gegengewicht und das sind kleine, demokratisch selbstbestimmte Einheiten. Den Rechtsrahmen für ein europäisches Commonwealth vom Atlantik bis zum Ural haben wir ja durch die europäische Menschenrechtskonvention. Auch was sonst über die Zukunft von Europa und seine Bindung und Einbindung geredet wird, ist ja nicht alles falsch. Die Menschheit braucht immer wieder das Streben nach Einheit. Aber das dezentrale freiheitsdemokratische Prinzip darf nicht weiter unter die Räder kommen.
Interview: Barbara Wimmer
Die CSU und das Schicksalsjahr 2017
- Januar: Klausur erstmals in Kloster Seeon. Noch immer zelebriert Horst Seehofer die Kluft zwischen CSU und CDU in der Flüchtlingspolitik.
- Februar: Zukunftstreffen mit CDU: Angela Merkel werde als Kanzlerkandidatin unterstützt (Gauweiler: „bizarre Wendungen“).
- März: Seehofer düpiert die Fraktion mit seinem Vorpreschen bei der Rückkehr zum G9.
- April: Seehofer informiert die CSU, dass er nun doch auch nach 2018 Parteichef und Ministerpräsident bleiben will.
- Mai: Joachim Herrmann wird CSU-Spitzenkandidat.
- Juli: CSU-Bayernplan wird beschlossen.
- August: Auch KT zu Guttenberg macht Wahlkampf.
- September: 38,5-%-Debakel bei der Bundestagswahl. Seehofer: Rechte Flanke schließen.
- Dezember: Seehofer beschließt nach langem Hin und Her: Bleibe CSU-Chef, Söder darf bei der Landtagswahl kandidieren.