Wurde er vergiftet? Georgiens Ex-Präsident liegt im Sterben – Hilferuf an EU gestartet

Der georgische Ex-Präsident Micheil Saakaschwili befindet sich derzeit in Haft - sein Zustand ist schlecht. Ein Putin-Kritiker bittet die EU um Hilfe.
Tiflis - Der Gesundheitszustand des ehemaligen georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili wird Berichten zufolge von Tag zu Tag schlechter. Bill Browder, milliardenschwerer Geschäftsmann und Kreml-Kritiker, hat sich deswegen jetzt an die EU gewendet und um Hilfe gebeten: Die Staatengemeinschaft solle die Verantwortlichen für den Zustand des inhaftierten Politikers sanktionieren, forderte er.
Micheil Saakaschwili war 2018 von einem georgischen Gericht in Abwesenheit zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ihm wurde Korruption und Anstiftung zur Körperverletzung vorgeworfen. Saakaschwili, der von 2004 bis 2013 der Präsident Georgiens war, setzte während seiner Amtszeit unter anderem pro-westliche Reformen durch.
In den sozialen Medien tauchten kürzlich Bilder von Saakaschwili auf, die ihn abgemagert und gebrechlich zeigten. Der 55-Jährige war zuvor mehrmals in den Hungerstreik getreten und beharrte darauf, er sei vergiftet worden. Die georgischen Behörden behaupten, er gebe seinen Zustand falsch wieder, um eine vorzeitige Entlassung zu erreichen. Polen bot an, Ärzte nach Tiflis zu schicken, um Saakaschwili zu untersuchen, aber Georgien ist dieser Bitte bisher nicht nachgekommen.
Gesundheitszustand des georgischen Ex-Präsidenten: „Wenn nichts getan wird, wird er sterben“
In einem Interview mit Politico sagte Browder, es sei an der Zeit, dass die EU die Reichweite ihrer Menschenrechtssanktionen auf Georgien ausweitet. Wie das US-Magazin berichtete, lagen Ende letztes Jahres medizinische Berichte vor, die Spuren von „Quecksilber und Arsen“ in Saakaschwilis Haaren und Nägeln sowie Risswunden „am ganzen Körper“ zeigten. „Es muss in diesem Fall schneller gehandelt werden, denn wenn nichts getan wird, wird er sterben“, sagte Browder, der eine weltweite Kampagne für das Einfrieren von Vermögenswerten und Sanktionen gegen Menschenrechtsverletzer angeführt hat. Das Ergebnis war das Magnitsky-Gesetz, das 2012 in den Vereinigten Staaten verabschiedet wurde.
Browder war mit seinem Fonds Hermitage Capital Management einst der größte ausländische Investor in Russland, geriet aber mit Putins Regime in Konflikt. „Die Magnitsky-Sanktionen sind keine russischen Sanktionen. Sie sind global ... sie gelten weltweit. Und wenn sich herausstellt, dass jemand ein Menschenrechtsverletzer ist, dass jemand grobe Menschenrechtsverletzungen begeht - was meiner Meinung nach in seinem Fall offensichtlich ist - dann sollten die Sanktionen greifen“, so Browder. Er versucht Informationen über diejenigen zu sammeln, die Saakaschwili seiner Meinung nach vergiften, foltern und ihm medizinische Behandlung vorenthalten.
Fall Saakaschwili: EU soll Magnitsky-Sanktionen konsequenter anwenden
Die EU hat 2020 ihr eigenes gezieltes Sanktionssystem nach dem Vorbild von Magnitsky eingeführt, um Menschenrechtsverletzungen zu bestrafen. Browder stellte jedoch fest, dass die EU bei der Verhängung von Sanktionen hinterherhinkt: „Die EU hat die geringste Anzahl von Personen, die im Rahmen des Magnitsky-Gesetzes sanktioniert wurden, und liegt damit weit hinter anderen großen Ländern zurück. Das ist eine Schande. Die EU gilt als die humanste und moralischste aller Ländergruppen, aber sie will die Menschenrechte nicht einhalten und nutzt das Magnitsky-Gesetz nicht. Ich denke, es ist ein völliges Versagen ihrerseits, dies nicht zu tun, dieses Instrument nicht zu nutzen.“
Georgiens Regierungspartei „Georgischer Traum“ steht momentan scharf in der Kritik. Der Fall des Ex-Präsidenten, der ein persönlicher Feind des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist, wird auch als Indiz dafür angesehen, ob die Regierung bereit ist, mit der EU und den USA zusammenzuarbeiten. Kritiker des „Georgischen Traums“ werfen der Partei vor, die EU-Bestrebungen des Landes absichtlich zu sabotieren, um den Konflikt mit Moskau zu vermeiden.
Massenproteste in Georgien zeigen Zerrissenheit zwischen EU und Russland
Die Aufruhr um den ehemaligen Präsidenten ist deshalb eingebettet in einen Konflikt, der Anfang März in Georgien eskalierte. Demonstranten gingen im ganzen Land auf die Straßen, um gegen ein geplantes Gesetz der Regierung zu demonstrieren, welches bestimmte Medien und Organisationen als „ausländische Agenten“ eingestuft hätte und die Arbeit von unabhängigen Medien und Organisationen in Georgien stark eingeschränkt hätte. Die Regierung zog den auch von der EU und internationalen Organisationen kritisierten Gesetzentwurf zurück, aber die Proteste gingen weiter. Experten sagen, die Proteste zeigten die Zerrissenheit des Landes zwischen der EU und Russland.
Der georgische Justizminister Rati Bregadze behauptet, Saakaschwilis „radikale Anhänger“ würden absichtlich versuchen, seinen Gesundheitszustand zu verschlechtern, um den Weg für seine Freilassung zu ebnen. Der georgische Premierminister Irakli Garibaschwili sagte, die Resolution des Europäischen Parlaments, in der die georgische Regierung aufgefordert wird, Saakaschwili zur Behandlung freizulassen, sei ein Beweis dafür, dass „Saakaschwili ihr Agent ist“ und dass „sie alles tun, um ihren Agenten zu retten und ihn aus dem Gefängnis zu holen“. Und weiter: „Das Europäische Parlament sollte sich lieber um sich selbst kümmern. Es gibt 100 Abgeordnete, die in den Korruptionsskandal verwickelt sind, warum sagen sie uns, was wir tun sollen?“
EU-Beitritt: Georgien bekam keinen Kandidatenstatus
Die EU ist der größte Handelspartner Georgiens und gewährt Georgien jährlich über 100 Millionen Euro an technischer und finanzieller Hilfe. Während die Republik Moldau und die Ukraine grünes Licht für den Kandidatenstatus bekamen, verweigerte die EU aber auf einem Gipfeltreffen im vergangenen Juni Georgien den Titel eines EU-Beitrittskandidaten. Die Begründung: Tiflis müsse zunächst mehrere Reformen durchführen - darunter die Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz.