„Georgien wäre Russlands nächstes Ziel“: Baerbock-Reise setzt Zeichen gegen Putins Drohung

Sollte Putin den Ukraine-Krieg gewinnen, hätte das Konsequenzen für angrenzende Länder wie Georgien - warnen Experten. Nun reiste Baerbock in die Region.
Tiflis - Was passiert, wenn Russland den Ukraine-Krieg gewinnen sollte? Für diesen Fall zeichnen Experten ein Bild mit düsteren Aussichten. Sie erwarten einen Domino-Effekt, der Georgien und die Republik Moldau erfassen würde. In einem Interview mit der Bild warnt der Professor für internationale Politik an der Uni Köln, Thomas Jäger: „Georgien und Moldau gehören zweifellos zu den Staaten, in denen Russland bestimmenden Einfluss haben will.“ Der russische Präsident Wladimir Putin würde nicht in der Ukraine aufhören, seine Macht in der Region auszubauen.
Im Moment hat die russische Armee mit schweren Verlusten in der Ukraine zu kämpfen. Nichtsdestotrotz ist es nicht ausgeschlossen, dass Russland den Krieg gewinnt. Sollte das tatsächlich Realität werden, wäre „die Lage in Georgien entschieden“, so Jäger. Und weiter: „Falls Russland in der Ukraine unterhalb seiner gesteckten Ziele bleibt, könnte es in Georgien militärisch vorgehen.“ Dabei wäre es für Russland erst einmal ein Leichtes, in das Land vorzudringen: Die international nicht anerkannten „Republiken“ Abchasien und Südossetien liegen auf dem Staatsgebiet Georgiens, verfügen aber über eine gemeinsame Grenze mit ihrem Partner Russland. Dadurch müsste die russische Armee zunächst mit keinem direkten Kampf an seiner Landesgrenze rechnen.
Bei russischer Invasion in Georgien: Nato würde sich mit Unterstützung schwertun
An der Grenze dieser „abtrünnigen Regionen“ waren vor der russischen Invasion in der Ukraine bis zu 15.000 russische Soldaten stationiert, wie Beobachter feststellten. Es ist unklar, wie viele sich dort seit Beginn des Ukraine-Kriegs befinden. Jäger sagte: „Bis zur Hauptstadt Georgiens sind es 40 Kilometer und die georgischen Streitkräfte müssten sich einem Kampf stellen. Georgien hat nur zu einem Nato-Mitglied eine Territorialgrenze, der Türkei, die sich auch aus diesem Konflikt heraushalten könnte.“ Dadurch wäre es auch für die Nato deutlich schwieriger als beispielsweise in Moldau, georgische Truppen zu unterstützen.
Jäger ist der Meinung: „Sowohl Moldau als auch Georgien wären bei einem Erfolg Russlands die nächsten Ziele. Aber auch während der Kämpfe in der Ukraine ist Russland in beiden Staaten in der Lage, militärische Maßnahmen durchzuführen.“ Der Erfolg würde aber vom Verteidigungswillen der georgischen Streitkräfte sowie der Gesellschaft abhängen.
Wie 2014 auf der Krim: Russland droht Georgien indirekt mit Angriff
Erst kürzlich sprach Russland eine indirekte Drohung gegenüber seinem Nachbarland Georgien aus. Die georgische Regierung hatte zuvor einen umstrittenen Gesetzentwurf zurückgezogen, der im ganzen Land für gewaltsame Proteste sorgte. Es handelte sich dabei um ein Gesetz, welches bestimmte Medien und Organisationen als „ausländische Agenten“ eingestuft hätte und die Arbeit von unabhängigen Medien und Organisationen in Georgien stark eingeschränkt hätte. Der Entwurf erinnerte stark an ein Gesetz, das in der Vergangenheit in Russland erlassen worden ist.
Das russische Außenministerium schrieb nach der Rücknahme des Gesetzes durch die Regierung Georgiens auf Twitter: „Wir empfehlen dem georgischen Volk, sich an eine ähnliche Situation in der Ukraine im Jahr 2014 zu erinnern und wozu sie letztendlich geführt hat!“ Im Jahr 2014 wurde der damalige prorussische ukrainische Präsident Janukowitsch nach den Maidan-Protesten gestürzt. Daraufhin besetzte Russland die Krim. „Die Drohung gegen Georgien soll darauf wirken, jede Westorientierung des Landes zu unterbinden. Dazu soll das Land im Innern autoritär und nach außen auf Russland gerichtet werden. Deshalb werden jetzt solche Warnungen ausgesprochen, die an den angeblichen ‚Putsch‘ in Kiew erinnern“, erklärte Jäger.
EU-Beitritt: Georgische Bevölkerung stark pro-europäisch eingestellt - Regierung von Russland beeinflusst
Die georgische Bevölkerung ist insgesamt stark pro-europäisch eingestellt: Die neuesten Umfragen ergaben, dass 85 Prozent der Georgierinnen und Georgier einen EU-Beitritt unterstützen. Im Gegensatz dazu steht die Regierungspartei „Georgischer Traum“, die zuletzt immer wieder kritisiert wurde, von Putins Regime gelenkt zu werden. Damit würde sie auch die EU-Bestrebungen des Landes sabotieren, um einem Konflikt mit Moskau aus dem Weg zu gehen. Nachdem Russland im Februar 2022 die Ukraine überfallen hat, wurden der Ukraine und Moldau der Beitrittskandidatenstatus durch die EU zugesprochen - Georgien könne diesen erst erhalten, wenn es bestimmte Reformen durchgesetzt habe, hieß es damals.
Am Freitag reiste Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nach Geogien. Bei dem Besuch in der Ex-Sowjetrepublik sagte ihr georgischer Amtkollege Ilia Dartschiaschwili, es sei „unerschütterlicher Wille des georgischen Volkes“, in die EU einzutreten. Der Kandidatenstatus sei dabei „ein Knotenpunkt“. Die Regierung arbeite intensiv an der Erfüllung der zwölf von der EU-Kommission dafür festgelegten Kriterien, sicherte er zu.
Reise nach Georgien: Baerbock wirbt für Annäherung an die EU
Das ist auch das Ziel von Baerbocks Reise: Sie will für eine Annäherung des Landes an die EU werben. Im Zuge dessen sagte sie Georgien auch angesichts russischer Einflussnahme deutsche Unterstützung im Beitrittsprozess zu und forderte Georgien zu weiteren Reformen auf. „Die Tür zum EU-Kandidatenstatus ist weit geöffnet. Jetzt gilt es, die verbleibenden zwölf Schritte zu gehen“, so die Außenministerin am Freitag (24. März). Für den Beitrittsprozess seien Rechtsstaatlichkeit, demokratische Standards sowie Medienfreiheit essenziell, führte sie weiter aus.
Nach der Rücknahme des schwer umstrittenen Agentengesetzes habe die Regierung in Tiflis nun die Aufgabe, „die Polarisierung zu überwinden, Vertrauen wieder zu finden und die anstehenden Reformschritte mit aller Entschiedenheit zu gehen“. Zugleich betonte sie, es könne gerade bei den europäischen Werten keine Abkürzungen geben. Nach dem Treffen mit Dartschiaschwili will sich Baerbock außerdem mit Ministerpräsident Irakli Garibaschwili sowie Staatspräsidentin Salome Surabischwili treffen. Während Garibaschwilis Regierung für das umstrittene Agentengesetz verantwortlich war, hat sich Präsidentin Surabischwili für eine engere Beziehung zum Westen ausgesprochen und die Proteste der Bürger unterstützt.
Außerdem steht für Baerbock am Freitagnachmittag (Ortszeit) ein Besuch bei der EU-Beobachtermission EUMM (European Union Monitoring Mission) an der Verwaltungsgrenze zum abtrünnigen Gebiet Südossetien auf der Agenda. Bei Wladimir Putin dürfte Baerbocks Besuch in Georgien für erheblichen Unmut gesorgt haben. (ale)