Filz im Habeck-Umfeld? „Lobbycontrol“ springt Minister zur Seite - „Aufgebauscht und skandalisiert“
Mafia-Strukturen in Habecks Wirtschaftsministerium? Der Verein Lobbycontrol hält solche Vorwürfe für „unangemessen“. Dennoch reiche Habecks Wiedergutmachung nicht aus.
Berlin - Ist die „Trauzeugen-Affäre“ um Robert Habeck (Grüne) ein Fall von Vetternwirtschaft oder eine Schmutzkampagne der Opposition? Der Verein „Lobbycontrol“, der über Machtstrukturen in Deutschland aufklärt, äußerte sich jetzt differenziert zu dem Fall. Fazit: Habecks Fehlerbehebung sei ungenügend. Doch eine „starke Lobby von Klimaschutzverhinderern“ nutze die Affäre gleichzeitig für eigene Interessen.
Konkret geht es in der Affäre um Habecks wichtigsten Staatssekretär Patrick Graichen: Er soll seinem Trauzeugen Michael Schäfer den hoch dotierten Posten des Chefs der deutschen Energieagentur zugeschustert haben. Habeck und Graichen haben Fehler bei der Postenvergabe eingeräumt - sehen diese durch eine Neuausschreibung der umstrittenen Stelle aber aus der Welt geschafft.
„Lobbycontrol“ sieht Vertrauen in Graichen und Habeck beschädigt
Doch das reicht laut „Lobbycontrol“ nicht aus. „Dabei kann es nicht bleiben“, heißt es in einer Pressemitteilung der Organisation. „Habecks Haus und die Bundesregierung insgesamt müssen nun klar aufzeigen, welche Konsequenzen sie ziehen wollen, damit sich ein derart unzulänglicher Umgang mit Interessenkonflikten nicht wiederholt.“ Graichen habe das „nötige Bewusstsein“ dafür vermissen lassen und damit das „Vertrauen in die Integrität des Wirtschaftsministeriums“ beschädigt.
Robert Habeck und sein Ministerium sollten den Fall zum Anlass nehmen, die Verfahren bei der Besetzung von Posten zu überprüfen, heißt es. Außerdem sei eine öffentliche Erklärung fällig, wie man es in Zukunft besser machen wolle.

Habecks Umfeld ein „Familienclan“? Organisation „Lobbycontrol“ widerspricht
Wie bekannt wurde, ist Trauzeuge Michael Schäfer nicht der einzige, der eine private Beziehung zu Patrick Graichen hat und gleichzeitig beruflich mit ihm vernetzt ist: Graichens Geschwister arbeiten als Wissenschaftler für das Öko-Institut, mit dem das Wirtschaftsministerium eng zusammenarbeitet. Zudem ist Verena Graichen, Schwester von Patrick Graichen, mit Michael Kellner, einem anderen Staatssekretär in Habecks Ministerium, verheiratet. Die Opposition veranlasste dies zu der Aussage, Habecks Ministerium sei „nicht als ein kleiner Familienclan“ (Mario Czaja, CDU) und Habeck selbst verfolge einen „autokratischen, selbstherrlichen Politikstil“ (Michael Kretschmer, CDU).
Die verwandtschaftlichen Beziehungen sieht der Verein „Lobbycontrol“ allerdings nicht als Problem. „Diese Konstellation war bereits zu Graichens Amtsantritt bekannt“, und Graichen und Kellner seien mit der Vergabe von Projekten an das Öko-Institut „nicht betraut“, heißt es. Auch Habeck machte dies bereits in einer Stellungnahme deutlich, die nun im Wortlaut nachzulesen ist.
Geschwister von Graichen bei Öko-Institut: „Mafia-Vergleiche völlig unangemessen“
Laut „Lobbycontrol“ gibt es zudem keine Hinweise darauf, „dass für das Öko-Institut aufgrund der familiären Verbindungen Vorteile entstanden sind“. Im Gegenteil: Als Peter Altmaier (CDU) noch Wirtschaftsminister war, hätte das Institut sogar mehr Geld von der Regierung erhalten als jetzt.
Von „Clan-Strukturen zu schreiben“ oder „Mafia-Vergleiche zu bemühen“, sei daher „völlig unangemessen“, kanzelt der Verein die Kritik der Opposition und teilweise auch der Medien ab. Es sei „grundsätzlich üblich und auch sinnvoll, wenn sich die Führungsebene in den Ministerien mit Personal umgibt, das über das nötige Fachwissen verfügt und politisch-inhaltlich zu den gesetzten Prioritäten passt“.
„Klimaschutzverhinderern“ komme Graichens Fehler gelegen
Warum aber reißt die Diskussion um die Verwandtschaftsbeziehungen in Habecks Umfeld dennoch nicht ab? Eine Erklärung liefert Timo Lange von „Lobbycontrol“ in einem Meinungsbeitrag für die taz. Der Experte teilt Habecks Einschätzung, dass der Fall Graichen zum Anlass genommen werde, um eine Kampagne gegen den Vize-Kanzler und seine Klimapolitik zu fahren.
„Es gibt eine starke Lobby der Klimaschutzverhinderer, der Patrick Graichens Fehler ganz gelegen kommt“, so Lange. Habeck bringe mit seinem geplanten Gebäudeenergiegesetz „finanzstarke und gut organisierte Lobbygruppen gegen sich auf“, allen voran die Gasindustrie, die um milliardenschwere Geschäfte bange. „Die geringste Spur von Fehlverhalten wird in einer solchen Gemengelage von politischen Gegenkräften gerne aufgegriffen, aufgebauscht und skandalisiert“, so Lange.
„Gerede von Clanstrukturen“ sei Stimmungsmache gegen Habeck
Eine „Verdrehung vom Tatsachen“ sei es außerdem, wenn bei den familiären Beziehungen zwischen dem Wirtschaftsministerium und dem Öko-Institut von Lobby-Verflechtungen gesprochen werde, heißt es in dem Beitrag von „Lobbycontrol“. Bei echtem Lobby-Skandalen wie der Russland-Connection in Mecklenburg-Vorpommern oder dem Cum-Ex-Skandal um Kanzler Olaf Scholz gehe es um „milliardenschwere Geschäftsinteressen und zu diesem Zweck gezielt geknüpfte Netzwerke“.
Dass sich die Geschwister Graichen schon seit langem klimapolitisch engagierten und einer davon nun Staatssekretär sei, sei damit nicht vergleichbar. „Das Gerede von Clan- oder auch Mafiastrukturen, wie es aus Teilen der Union und der AfD zu hören ist und von einigen Medien bereitwillig verbreitet wird, ist dabei völlig unangemessen“, so das Fazit. (smu)