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Immer mehr Vergewaltigungen durch Zuwanderer in Deutschland? Die Wahrheit sieht anders aus

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Tausende Frauen werden jährlich in Deutschland Opfer von sexueller Gewalt - zumeist aber nicht auf der Straße, sondern in der eigenen Wohnung.
Tausende Frauen werden jährlich in Deutschland Opfer von sexueller Gewalt - zumeist aber nicht auf der Straße, sondern in der eigenen Wohnung. © picture alliance/dpa / Maurizio Gambarini

In den Medien liest man häufig über Sexualstraftaten. Es scheint, als werden es immer mehr. Doch steigt die Anzahl der Sexualdelikte tatsächlich? Wir machen den Faktencheck.

Berlin - Zwischen dem Gefühl und der Wahrheit liegen oft Welten. In der subjektiven Wahrnehmung durch Medienberichte sieht es vielleicht so aus, als ob es immer häufiger zu Sexualdelikten kommt. Aber ist das auch tatsächlich so? Sexualstraftaten machen etwa fünf Prozent aller Gewaltdelikte aus. Wir machen den Faktencheck:

Nimmt die Zahl der Vergewaltigungen zu?

Antwort: Nein. Die Zahlen sind rückläufig.

Fakten: Nach Angaben der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für 2018 sind die Zahlen bei Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellem Übergriff im besonders schweren Fall im Vergleich zu 2017 um etwa 18,2 Prozent zurückgegangen - von 11.282 auf 9.234 Straftaten. Zusätzlich gab es etwa 6.300 sexuelle Übergriffe und Nötigungen (die nicht unter die Rubrik „besonders schwer“ zählen) sowie 13.700 sexuelle Belästigungen.

„Wir erkennen eine größere Anzeigenbereitschaft bei betroffenen Frauen“, sagt Gesa Birkmann von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. Deswegen sei das Thema natürlich auch in den Medien sehr präsent. Zudem wurden im November 2016 neue Straftatbestände aufgenommen.

Begehen immer mehr Zuwanderer Sexualdelikte?

Antwort: Nein. Nach BKA-Angaben ist nur circa jeder achte Tatverdächtige zugewandert. Ihr Anteil an allen Verdächtigen hat sich von 2017 zu 2018 nicht erhöht.

Fakten: Beim BKA gibt es eine Sonderauswertung über tatverdächtige Asylbewerber im Bundeslagebild „Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“. Nach diesen Angaben gab es unter den 9.234 Fällen von Vergewaltigungen, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen im besonders schweren Fall zwischen 1.200 und 1.300 Taten, bei denen mindestens ein Zuwanderer - also Asylbewerber, anerkannter Flüchtling oder Geduldeter - beteiligt war.

Für den gesamten Bereich „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ - zu dem das BKA im Bundeslagebild etwa auch den sexuellen Missbrauch von Kindern oder exhibitionistische Handlungen zählt - lag der Anteil der Zuwanderer 2018 wie schon 2017 bei etwa 12 Prozent. Wegen der jüngsten Erweiterungen im Sexualstrafrecht wäre ein weiterer Vergleich mit den Vorjahren nicht oder nur eingeschränkt möglich.

Der durchschnittliche Asylbewerber ist männlich und knapp 30 Jahre alt, also circa 15 Jahre jünger als der deutsche Durchschnitt. Er gehört dadurch vom Alter zu einer Bevölkerungsgruppe, die häufiger Sexualdelikte verübt.

Die Berliner Strafrechts-Professorin Tatjana Hörnle stellte aber in einer Analyse für das Jahr 2017 fest, dass Zuwanderer mehr Sexualstraftaten begehen als gleichaltrige deutsche Männer. Sie warnt jedoch vor Dramatisierungen: Etwa 0,15 bis 0,2 Prozent der männlichen Zuwanderer ab 16 Jahren seien als Täter eines solchen Delikts erfasst worden. Das bedeute „umgekehrt auch, dass dies bei 99,85 bis 99,8 Prozent nicht der Fall war“.

Einer Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften zufolge, werden ausländische Täter eher angezeigt als Deutsche. Je fremder ein Täter wirkt, desto größer ist auch die Bereitschaft des Opfers, ihn der Polizei zu melden. Ob Verdächtige später auch als Täter verurteilt werden, ist aus PKS und Bundeslagebild nicht erkennbar.

Es begehen auch Deutsche im Ausland Straftaten: Vier deutsche Urlauber sind am Flughafen von Palma de Mallorca festgenommen worden. Die Guardia Civil wirft zwei von ihnen die Vergewaltigung einer 18-jährigen Deutschen vor. Nun reagieren Frauenrechtlerinnen.

Werden Frauen häufiger in ihrer eigenen Wohnung vergewaltigt als auf der Straße?

Antwort: Ja.

Fakten: Wie unterschiedliche Frauenberatungsstellen angeben, ist es ein Mythos, dass Vergewaltigungen am häufigsten nachts in einsamer Umgebung von Unbekannten begangen werden. Terre des Femmes schreibt, dass in 70 Prozent der Fälle die eigene Wohnung Tatort sei. „Die eigene Wohnung ist für Frauen der häufigste Tatort bei einer Vergewaltigung oder anderen Formen sexualisierter Gewalt - und nicht, wie häufig angenommen, der dunkle Park oder die Straße“, so Expertin Birkmann. „Somit ist es in der Mehrheit der Fälle auch kein unbekannter Täter, sondern häufig ein Bekannter aus dem näheren Umfeld oder sogar jemand aus der Familie.“

Werden Sexualdelikte nicht ausreichend bestraft?

Antwort: Laut Terre des Femmes werden zu wenige Vergewaltiger juristisch zur Rechenschaft gezogen.

Fakten: Nach Angaben der Frauenrechtsorganisation bleiben rund 90 Prozent der erfassten Vergewaltigungsfälle ohne Verurteilung. „Wir sehen die Gefahr, dass von den Fällen, die zur Anzeige gebracht werden, viel zu wenige tatsächlich zur Bestrafung führen“, sagt Birkmann. Außerdem sei die Dunkelziffer ziemlich hoch. Die Organisation fordert daher einen vehementen Opferschutz, bei dem Betroffene finanziell und psychologisch betreut werden, um gegen die Täter vorzugehen. Die Justiz müsse die Perspektive der Frauen einnehmen. „Es gibt schon viel zu viele Fälle vor Gericht, bei denen Betroffenen eine Teilschuld zugewiesen wird“, so Birkmann.

Fall Mülheim: Kommen Kinder unter 14 Jahre ohne Strafe davon?

Antwort: Ja. Das ist gesetzlich so geregelt.

Fakten: Nach dem Strafgesetzbuch sind Kinder, die unter 14 Jahre sind, schuldunfähig - und können daher nicht belangt werden. Hintergrund dieser Regel ist, dass Kinder in diesem Alter noch nicht die Reife besitzen, um für das Unrecht einer strafbaren Handlung einstehen zu können. Außerhalb eines Strafverfahrens können allerdings Jugendbehörden tätig werden und etwa prüfen, ob die Eltern ihren Erziehungspflichten nachkommen.

Im Jahr 2018 waren von den 8.047 Verdächtigen im Bereich Vergewaltigungen, sexuelle Nötigung und sexuelle Übergriffe im besonders schweren Fall nach BKA-Angaben 69 Kinder unter 14 Jahren und 895 Jugendliche zwischen 14 und 17. Für letztere gilt das Jugendstrafrecht. Bei Prozessen gegen junge Erwachsene wird geprüft, ob nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht verhandelt wird.

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Wie soll man mit Straftätern umgehen, die juristisch gesehen noch Kinder sind? Zu leicht darf es sich die Politik bei der Frage nicht machen. Ein Kommentar von Georg Anastasiadis, Chefredakteur des Münchner Merkur*.

dpa

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