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Unterhauswahl in Großbritannien: Was wird eigentlich gewählt?

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Von: Florian Naumann

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Big Ben heißt eigentlich nur die Uhr, der korrekte Name des Turms ist Elizabeth Tower. Dahinter liegen die Houses of Parliament.
Big Ben heißt eigentlich nur die Uhr, der korrekte Name des Turms ist Elizabeth Tower. Dahinter liegen die Houses of Parliament. © AFP

Großbritannien wählt ein neues Parlament. Vom Ausgang der Wahl hängt nicht nur der britische Premier ab - sondern auch die Ausgestaltung des Brexit. Alle wichtigen Infos.

London - Das Superwahljahr in Europa geht weiter: Nach Holland und Frankreich - und noch vor Deutschland und Österreich - ist heute Großbritannien an der Reihe. Dort wählt die Bevölkerung ein neues Unterhaus, das House of Commons - die wichtigste Parlamentskammer also, vergleichbar mit dem deutschen Bundestag.

Es ist eine durchaus bedeutsame Wahl. Nicht zuletzt, weil das Vereinigte Königreich bald die heiße Phase der Brexit-Verhandlungen mit der EU aufnehmen muss. Alles, was sie über die Unterhauswahlen wissen müssen, vom einzigartigen britischen Wahlsystem bis zu den Programmen der wichtigsten Parteien, erfahren Sie in diesem Artikel.

Den Ausgang der Unterhauswahl in Großbritannien können Sie in unserem Live-Ticker verfolgen.

Unterhauswahl in Großbritannien: Darum wählen die Briten vorzeitig

Eigentlich war in Großbritannien erst im Mai 2015 ein neues Parlament gewählt worden - in Normalfall hätte es bis 2020 Bestand gehabt. Dass es nun anders gekommen ist, das hat wesentlich mit einem großen Einschnitt in der jüngsten Geschichte Britanniens zu tun: dem beschlossenen Brexit.

Theresa May spricht im Januar 2017 vor dem House of Commons.
Theresa May spricht im Januar 2017 vor dem House of Commons. © dpa

Als Premierministerin Theresa May am 19. April über die Auflösung des Unterhauses - englisch: „House of Commons“ - abstimmen ließ, führte sie jedenfalls den Brexit als Hauptargument an. Sie wolle das britische Volk um ein Mandat bitten, „den Brexit zu vollenden und daraus einen Erfolg zu machen“, sagte die Nachfolgerin des im Juli 2016 zurückgetretenen David Cameron. Zuvor hatte May stets versichert, sie wolle den ursprünglichen Wahltermin im Jahr 2020 einhalten.

Tatsächlich könnte es für May Sinn machen, sich bei den Wählern rückzuversichern: Der Brexit ist eine große Entscheidung. Und eine umstrittene. Immer wieder kommen Rufe nach einer Abkehr oder einem erneuten Referendum auf. May, die das Amt der Premierministerin erst während der laufenden Wahlperiode übernommen hat, könnte sich von einer erneuten Wahl größere Autorität versprechen, zum Beispiel für ihr Auftreten in den Verhandlungen mit der EU. 

Oder auch nur ganz allgemein eine größere Parlamentsmehrheit für ihre Tories: Zum Zeitpunkt der Entscheidung für die Neuwahlen lagen die Konservativen in allen Umfragen weit vor ihren Kontrahenten der Labour-Partei. Wahltaktik wird also auch eine Rolle gespielt haben. Das Unterhaus störte sich daran nicht: Mit den Stimmen von 522 der 650 Abgeordneten stimmte das House of Commons Neuwahlen zu. Am 3. Mai löste sich das Parlament vorerst auf.

In diesem Artikel erfahren Sie, ab wann es am 8. Juni Ergebnisse gibt. Hier haben wir für Sie außerdem zusammengefasst, wie Sie die Wahl live im TV und im Live-Stream sehen können.

Unterhauswahl in Großbritannien: Darüber entscheiden die Wähler

Bei der Wahl wird das britische Unterhaus neu besetzt. 650 Mandatsträger werden dann neu oder erneut in die heiligen Hallen von Westminster einziehen.

Das bereits im 14. Jahrhundert gegründete House of Commons stand im Vereinigten Königreich lange nur an zweiter oder gar dritter Stelle hinter dem mit Adeligen besetzten House of Lords und der Krone. Seit dem Parliament Act von 1911 ist es aber der mächtigste Teil der britischen Volksvertretung.

In seiner Bedeutung ist das Unterhaus mit dem Bundestag vergleichbar. Es beschließt de facto alle Gesetze des Vereinigten Königreichs - das House of Lords kann die Gesetzgebung nur verzögern, die Queen darf nur abnicken. 

Der wichtigste Unterschied zum Parlament der Bundesrepublik ist nur ein formaler: Das Unterhaus wählt zwar nicht direkt den Premierminister; dieser wird von der Queen ernannt. Gemäß einer der vielen - in der britischen politischen Kultur sehr wichtigen - ungeschriebenen Übereinkünfte muss der Monarch aber eigentlich den Parteiführer der stärksten Fraktion im Unterhaus zum Premier ernennen.

Das heißt: Auch, wenn das Unterhaus den Premier nicht selbst wählt, zieht eine Veränderung der Machtverhältnisse auch einen Wechsel in diesem Amt nach sich. Notfalls kann das House of Commons dem Premierminister die Unterstützung auch durch ein Misstrauensvotum entziehen. Es geht also am 8. Juni auch um das Duell Theresa May gegen Jeremy Corbyn.

Unterhauswahl in Großbritannien: So funktioniert das britische Wahlrecht

Für Deutsche ungewohnt ist das britische Wahlrecht. Anders als bei Wahlen des Bundestags werden die Sitze nicht vorrangig proportional nach dem Gesamt-Stimmenanteil der Partien verteilt. Stattdessen wählt jeder Wahlkreis einen Abgeordneten direkt ins Parlament - wer im Wahlkreis die meisten Stimmen erhält, zieht ins Unterhaus ein. Die Stimmen der unterlegenen Kandidaten verfallen.

Dieses - Mehrheitswahlrecht genannte - System hat gravierende Auswirkungen. Die wichtigste: Die mit Abstand besten Aussichten auf Parlamentssitze haben die beiden Großparteien Labour und Conservative Party. Denn dass kleine Parteien - wie die Liberalen, die rechtspopulistische UKIP und diverse Regionalbündnisse - in einem Wahlkreis die meisten Stimmen für sich einheimsen können, ist selten.

Zur Einordnung: Wäre bei der Bundestagswahl 2013 rein nach Mehrheitswahlrecht abgestimmt worden, wären lediglich fünf Mandate an Parteien abseits von CDU/CSU und SPD gegangen: Die Linke hätte vier Sitze gewonnen, die Grünen einen - allesamt in Berlin.

Unterhauswahl in Großbritannien: So ging die Wahl 2015 aus

2015 waren es noch David Cameron (Tories) und Ed Milliband (Labour), die ihre Parteien in den Wahlkampf führten. Cameron avancierte zum großen Gewinner: Die Tories holten 36,9 Prozent der Stimmen - vor allem aber 330 der Direktmandate und damit die absolute Mehrheit. Zuvor hatte die Partei noch eine Regierungskoalition mit den Liberalen bilden müssen.

Die Liberalen zählten mit 49 verlorenen Mandaten ebenso zu den Wahlverlierern wie Labour mit einem Minus von 26 Sitzen. Bemerkenswert war aber auch das Ergebnis der Scottish National Party (SNP). Die EU-freundliche, linksliberale Partei holte in Schottland satte 56 von 59 Mandaten. Die rechtspopulistische UKIP gewann trotz 7,9 Prozent der Gesamtstimmen nur einen einzigen Wahlkreis.

Unterhauswahl in Großbritannien: Diese Partien treten an und so sehen ihre Wahlprogramme aus

Insgesamt 13 Parteien waren 2015 in das Unterhaus eingezogen. Bis auf die Tories, Labour und die SNP übertraf aber keine die Schallmauer von 10 Mandatsträgern im Unterhaus. Nimmt man die Anfang Mai abgehaltenen Kommunalwahlen zum Maßstab, dann wird sich das wohl nicht ändern: Die Liberaldemokraten schwächelten weiterhin und UKIP flog gar aus zahlreichen Gemeindeparlamenten. Eine Analyse der wesentlichen Wahlprogramme kann sich also auf Theresa Mays Tories und Jeremy Corbyns Labour Party beschränken:

Conservative Party: Die Tories fahren vor den Wahlen einen deutlich national gefärbten Kurs. Ganz oben in ihrem Programm steht das Ziel, die Zuwanderung zu begrenzen. Unwillkommen sind praktisch alle einwanderungswilligen Ausländer: Sowohl die Zuwanderung aus der EU als auch aus Ländern außerhalb der Union steht im Fokus. Unternehmen sollen künftig auch höhere Gebühren bezahlen, wenn sie Ausländer beschäftigen - ein Passus, der auch in der Wirtschaft für Kritik sorgt. Vorgesehen sind darüber hinaus Kürzungen bei Staatshilfen für ältere Menschen und beim kostenlosen Schul-Essen. Die Unternehmenssteuer soll gesenkt werden.

Jeremy Corbyn im Wahlkampf.
Jeremy Corbyn im Wahlkampf. © AFP

Labour Party: Mitte Mai hat Labour das „Manifest“, sein offizielles Wahlprogramm, vorgestellt - es ist inhaltlich so weit von den Konservativen entfernt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Ein Kernpunkt sind Verstaatlichungen: Parteichef Corbyn kündigte an, die Bahn sowie Wasser- und Energieversorger in Staatseigentum überführen zu wollen. Zudem soll der Mindestlohn bis 2020 um 33 Prozent auf 10 Pfund pro Stunde steigen. Im Gegenzug schlägt Labour höhere Steuern für Spitzenverdiener und Unternehmen vor. Das Motto der Kampagne lautet „For the many, not the few“.

Unterhauswahl in Großbritannien: Das bedeuten die Wahlen für den Brexit

Auch an den Wahlprogrammen der beiden potenziellen Regierungsparteien ist es ablesbar: Ein plötzlicher Kurswechsel in Sachen Brexit ist vorerst nicht zu erwarten. Theresa May hat sich mittlerweile ohnehin als zuverlässige Unterstützerin des Brexit-Votums positioniert. Jeremy Corbyn vermied zwar bisher eine allzu klare Positionierung in Sachen Brexit - von einem Rücktritt vom Austritt spricht aber auch er nicht. Genau darüber sind auch so einige Labour-Wähler verärgert.

Theresa May will einen „harten Brexit“
Theresa May will einen „harten Brexit“ © dpa

Durchaus bedeutsam ist die Unterhauswahl aber mit Blick auf das „Wie“ des Brexit. Zum einen wird ein durch eine frische Unterhaus-Mehrheit bestätigter britischer Premier der EU selbstbewusst einen guten Deal abringen wollen. Zum anderen haben Theresa May und Jeremy Corbyn durchaus unterschiedliche Brexit-Strategien. Corbyn etwa hat in Aussicht gestellt, im Falle seiner Wahl die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien zu garantieren, um die Verhandlungen zu beschleunigen. May hingegen will einen „harten“ Brexit: Also auch den Ausstieg aus dem Binnenmarkt und der Zollunion und die Loslösung von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes.

Unterhauswahl in Großbritannien: Das sagen die Umfragen

Den jüngsten Zahlen zufolge ist nicht mehr so ganz klar, ob Theresa Mays Plan aufgehen wird. Dabei lagen die Tories lange in allen relevanten Umfragen weit vorne: In Auswertungen der Institute Kantar und Panelbase von Mitte Mai kamen die Konservativen jeweils auf 47 Prozent der Stimmen. Labour folgte mit 29 beziehungsweise 33 Prozent der Stimmen abgeschlagen dahinter.

Für Verwunderung sorgt das nicht. Die Beobachter der Webseite „UK Polling Report“ etwa weisen vielmehr darauf hin, dass die Labour-Werte unerwartet hoch ausfallen, gerade angesichts der geringen Popularität Jeremy Corbyns. Als Grund machen die Experten die „Loyalität“ der Labour-Wähler zu ihren örtlichen Abgeordneten aus - und die Gewissheit, dass Corbyn ohnehin nicht Premier werden wird.

Spätestens Ende Mai kippte die Stimmung allerdings spürbar. Nach dem Anschlag von Manchester schmolz Mays Vorsprung auf gerade mal fünf Prozent vor der Labour-Partei dahin. Aktuellen Befragungen zufolge liegen die Tories mit 41 Prozent nur noch einen Prozentpunkt vor der Labour-Partei, die auf 40 Prozent der Stimmen kommt. 

Abzuwarten bleibt also, wie die britischen Bürger am Ende wirklich abstimmen werden. Und auch, wie sich die Umfragewerte in gewonnene Direktmandate umsetzen.

Update vom 23. Mai 2017: Wenige Wochen vor der Wahl erschüttert ein weiterer Anschlag Großbritannien. In Manchester hat ein Selbstmordattentäter bei einem Popkonzert mehrere Menschen in den Tod gerissen. Alle Infos im News-Ticker.

fn

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