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Gerd Müller: „Wir sind nicht die Onkels mit dem Geld“

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Von: Sebastian Horsch, Marcus Mäckler

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Sondierungsgespräche
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller. © dpa

Entwicklungsminister Gerd Müller spricht im Merkur-Interview über Probleme und Chancen der Entwicklungspolitik – und darüber, warum er Afrika für das Zukunftsthema hält.

München – Gerd Müller kann auf seine entschleunigte Art mitunter sehr radikal sein. „Hunger ist Mord“ ist einer dieser Sätze, die sich nicht jeder Entwicklungsminister zu sagen traut. Der CSU-Mann sagt ihn oft und meint damit, dass der reiche Westen Verantwortung für die armen Regionen der Welt übernehmen muss – auch aus Eigeninteresse. Gestern ging es in den Jamaika-Sondierungen unter anderem um das Thema Entwicklung. Wenige Tage vorher war Müller zu Besuch in unserer Redaktion. Wir haben mit ihm über Probleme und Chancen der Entwicklungspolitik gesprochen – und darüber, warum er Afrika für das Zukunftsthema hält.

Herr Müller, seit Jahrzehnten fließen Entwicklungsgelder nach Afrika. Warum sehen wir trotzdem so wenige Fortschritte?

Gerd Müller: Es gibt jede Menge Fortschritte, nicht nur in Afrika. Die Zahl der Hungernden hat sich in den vergangenen 30 Jahren halbiert, obwohl die Weltbevölkerung jedes Jahr um 80 Millionen wächst. Polio ist nahezu ausgerottet, es gibt fast 40 Prozent weniger Malaria-Erkrankungen, die Mütter- und Kindersterblichkeit konnte fast halbiert werden. Jetzt müssen wir den Klimawandel in den Griff bekommen, der immer mehr Menschen dazu zwingt, vor Dürren oder Überschwemmungen zu fliehen. Wir leben in einem globalen Dorf. Wenn wir nicht zu Problemlösungen vor Ort beitragen, kommen die Menschen zu uns.

Sie brechen mit der klassischen Entwicklungshilfe. Was ist Ihr Ansatz?

Müller: Es geht vor allem um Know-how. Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus Indien: Jedes Jahr verrotten dort 40 Prozent der Ernte, weil Lagerhäuser, Trocknungs- und Weiterverarbeitungsanlagen fehlen. Das sind einfache Technologien. Hier können wir mit unserem Wissen Enormes erreichen. Oder das Thema Energie: Wenn Indien und Afrika ihren riesigen Energiehunger mit Kohle stillen, dann brauchen wir uns in Deutschland über Klimaschutz gar nicht erst zu unterhalten. Stattdessen können wir Afrika zum grünen Kontinent machen.

Wie konkret?

Müller: Wir haben zum Beispiel das weltweit größte Gasturbinenkraftwerk in Ägypten mit ermöglicht, ich war kürzlich erst dort. Siemens baut es, die KfW finanziert es über Kredite mit, es wird einen großen Teil des Stroms in Ägypten liefern. Gleichzeitig habe ich mit Siemens ein Ausbildungszentrum gestartet, in dem über 5 000 Jugendliche zu Fachkräften ausgebildet werden. Deutsche Technologie sichert Arbeitsplätze vor Ort und in Deutschland. Und das Potenzial der erneuerbaren Energien in Afrika ist unerschöpflich.

Aber für solche Projekte brauchen Sie verlässliche afrikanische Partner. Profitieren am Ende nicht irgendwelche Eliten?

Müller: Jeder Euro muss Wirkung zeigen, kein Euro darf in korrupte Kanäle fließen. Deshalb binden wir unsere Entwicklungszusammenarbeit an klare Bedingungen: Erfolge bei der Bekämpfung von Korruption, Einhaltung grundlegender Menschenrechte und Rechtssicherheit.

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Gerd Müller beim Redaktionsbesuch mit den Merkur-Redakteuren Marcus Mäckler (r.) und Sebastian Horsch. © Haag

Schön und gut. Aber wie kontrollieren Sie, dass Ihre Bedingungen eingehalten werden?

Müller: Nehmen wir Ruanda. Wir haben dort mit deutschen Beratern einen Rechnungshof aufgebaut, jetzt wird genauso kontrolliert wie bei uns in Deutschland. Natürlich ist Korruption ein Problem. Aber zur Orientierung: In Europa läge Ruanda beim Korruptionsindex im Mittelfeld, weit vor Bulgarien und Rumänien.

Im Moment geht es darum, schnelle Effekte zu erzielen, Stichwort: Bekämpfung von Fluchtursachen. Was ist möglich?

Müller: Schauen Sie nach Mossul im Irak. Nach der Befreiung vom IS haben wir dazu beigetragen, dass über 250.000 Menschen zurückkehren konnten. Unsere Partner haben dafür gesorgt, dass es wieder Wasser und Strom gibt. In über 100 wieder aufgebauten Schulen werden mehr als 60.000 Kinder unterrichtet. In der Türkei finanzieren wir 12.000 Lehrerinnen und Lehrer für syrische Flüchtlingskinder, in Jordanien 5.000. Die Hilfe vor Ort gibt den Menschen eine Bleibeperspektive und verhindert, das sich Tausende auf den Weg nach Europa machen.

Da geht es aber um Kriegsflüchtlinge. Was machen Sie mit Millionen von perspektivlosen Afrikanern?

Müller: Das ist eine Riesenaufgabe. Afrikas Bevölkerung wird sich in den nächsten Jahrzehnten auf über zwei Milliarden Menschen verdoppeln. Jedes Jahr werden 20 Millionen neue Jobs benötigt. Allein Ägypten hat 25 Millionen Jugendliche zwischen 15 und 25, zwei Drittel davon haben weder eine Ausbildung noch Arbeit. Präsident Al Sisi sagte mir bei meinem Besuch, die Sehnsucht nach Europa sitze fest in den Köpfen all dieser Jugendlichen. Es stimmt: Die jungen Leute haben Smartphones, sie wissen, in welchem Wohlstand wir leben.

Wie verhindern, dass sie sich auf den Weg nach Europa machen?

Müller: Diese jungen Menschen brauchen Chancen in ihrer Heimat. Deshalb haben wir auch unsere Bildungs- und Ausbildungsprogramme massiv aufgestockt. Bildung ist in allen Ländern ein Schwerpunkt unserer Arbeit. In neuen Migrationszentren bieten wir Rückkehrern eine Ausbildung an, die sie in Deutschland beginnen und in ihrer Heimat abschließen können.

Schaffen Sie so nicht einen neuen Grund für diese Menschen, zu uns zu kommen?

Müller: Für mich ist das der beste Weg, freiwillige Rückkehr mit Chancen zu Hause zu verbinden. Zu uns kommen vor allem junge Männer, die den klaren Auftrag haben, ihre Familien zu Hause zu unterstützen. Wenn sie zurückkehren, gelten sie als Verlierer. Wir geben ihnen stattdessen eine Perspektive.

Sie fordern Kooperation von Afrikas Staatschefs. Vielen wäre schnelles europäisches Geld wahrscheinlich lieber.

Müller: Mag sein. Aber Entwicklungshilfe war gestern. Wir sind nicht die reichen Onkels, die Koffer voller Geld bringen. Wir sind Partner und wir haben ein Eigeninteresse daran, die globalen Herausforderungen zu meistern. Dass das Bevölkerungswachstum und seine Auswirkungen beherrschbar bleiben. Schaffen wir das nicht, wird es immer mehr Kriege um Wasser, Land und Nahrung geben. Die Folge ist Flucht. Wir müssen gemeinsam Lösungen finden, deshalb fordern wir auch mehr Eigenanstrengungen der afrikanischen Regierungen ein.

90 Prozent der afrikanischen Flüchtlinge fliehen in Nachbarstaaten, wo sie teils jahrelang festsitzen.

Müller: Afrika muss mehr tun, um seine Kriege und Krisen zu bewältigen – zum Beispiel durch den Aufbau von eigenen Sicherheitsstrukturen, einer Stärkung der Steuersysteme, Investitionen in Ausbildung und Landwirtschaft. Das Weltflüchtlingsproblem ist lösbar, aber nicht dadurch, dass Millionen zu uns kommen. Wir Reichen müssen uns unserer Verantwortung bewusst werden. UN-Generalsekretär Guterres hat vorgerechnet, dass die Notlagen aller in der Welt leidenden Menschen mit jährlich 20 Milliarden Dollar zu beheben wären. Was ist das schon im Vergleich zu den Wahnsinnssummen, die für eine Fußball-WM in der Wüste in Katar ausgegeben werden.

Sie haben die Bevölkerungsentwicklung angesprochen. Lässt die sich in den Griff bekommen?

Müller: Das Thema Familienplanung war viele Jahre ein Tabu. Aber wir müssen dringend noch intensiver mit den Entwicklungsländern darüber sprechen. Und es braucht konkrete Maßnahmen: Gleichberechtigung und Stärkung der Frau, Zugang zu Verhütungsmitteln – und Bildung. Wo Frauen Zugang zu Bildung haben, reduziert sich die Zahl der Kinder erheblich. Das sieht man in Ghana, Ruanda oder Tunesien.

Aber es gibt auch Länder wie Uganda, dessen Bevölkerung stark wächst.

Müller: Ugandas Präsident hat mir kürzlich Folgendes gesagt, und zwar ganz im Ernst: „Wir sind nicht überbevölkert, wir sind unterbevölkert. Und ich fühle mich wie der Großvater all dieser Kinder.“ Das Land hat sich in seiner Regierungszeit verdreifacht – und er ist stolz darauf.

Bleibt viel zu tun. Was passiert eigentlich mit all Ihren Maßnahmen, wenn Sie im nächsten Kabinett Landwirtschaftsminister werden?

Müller: Ich würde die Aufgaben, die ich begonnen habe, gerne weiterführen. Mit dem Marshallplan mit Afrika habe ich ein Konzept vorgelegt, das schnell umgesetzt werden kann. Es steht im Regierungsprogramm von CDU und CSU und muss Teil einer Koalitionsvereinbarung werden. Zudem braucht es ein Entwicklungsinvestitionsgesetz, das gezielte Anreize für den deutschen Mittelstand setzt, vor allem in Nordafrika. Wir sollten die großen Marktchancen dort nicht nur den Chinesen überlassen.

Interview: Marcus Mäckler und Sebastian Horsch

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