Die Meloni-Metamorphose: Darum bändelt Italiens Postfaschistin plötzlich mit der EU an

Die Prophezeiungen waren düster, als Giorgia Meloni die Macht in Italien übernahm. Doch die Postfaschistin regiert geräuschlos. Steckt dahinter Kalkül?
München – Gemessen daran, dass sie für Deutschland nicht viel übrighat, scheint sich Giorgia Meloni in deutscher Gesellschaft ganz wohlzufühlen. Beim Treffen mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen Anfang Januar lächelte sie breit und herzlich. Den Chef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, traf sie zuletzt zwei Mal, man kommt offenbar gut klar. Am Freitag reist Italiens Ministerpräsidentin nun nach Berlin, später Antrittsbesuch beim Kanzler. Sie wird mit militärischen Ehren empfangen.
Ein wenig verkehrte Welt ist das alles schon, denn es ist nicht lange her, da weckte die 46-Jährige in Europa große Ängste. Ausgerechnet sie, die Chefin einer Partei voller Mussolini-Verehrer, würde künftig die drittgrößte Volkswirtschaft der EU führen. Der Stern nannte sie die „gefährlichste Frau Europas“, Beobachter warnten vor Chaos, die Neue von den postfaschistischen Fratelli d’Italia wolle Italien zu einem zweiten Ungarn machen. Nach 100 Tagen im Amt ist die Lage dann doch etwas anders.
Giorgia Meloni: Postfaschistin gibt sich in den ersten 100 Tagen im Amt unauffällig
Meloni regiert das dauerkriselnde Land weitgehend geräuschlos und pragmatisch. Beim Staatshaushalt knüpft sie – entgegen großer, teurer Versprechen im Wahlkampf – an den vorsichtigen Kurs ihres Vorgängers Mario Draghi an. Die scharfen Anti-EU-Parolen („Der Spaß ist vorbei!“) sind Geschichte. Meloni tut, was niemand erwartete: Sie gibt sich konstruktiv, vor allem Brüssel gegenüber.
Es sei Staatspräsident Sergio Mattarella gewesen, der sie nach einem frühen, heftigen Eklat mit Paris um die Anlandung von Flüchtlings-Booten „auf einen klar pro-europäischen Kurs eingeschworen“ habe, analysiert die Konrad-Adenauer-Stiftung. Meloni habe „erkannt, dass sie ihr Profil ändern muss, um eine glaubwürdige internationale Führungspersönlichkeit zu sein“, urteilt auch die italienische Politologin Sofia Ventura. „Wir haben so etwas wie eine Metamorphose erlebt.“
Trotz Putin-Freund in der Regierung: Meloni sichert Ukraine Hilfe im Krieg gegen Russland zu
Besonders groß waren die Brüsseler Ängste in Bezug auf die Ukraine, zumal Melonis Koalitionspartner – Putin-Freund Silvio Berlusconi und Putin-Fanboy Matteo Salvini – aus ihrer Russland-Bewunderung keinen Hehl machen. Doch Meloni bremste sie ein, Italien gehört zu den festen Unterstützern Kiews. Selbst den Draht zu Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, einst ihr Vorbild, scheint sie vorerst gekappt zu haben. Der autoritäre Moskau-Versteher steht ihr nicht gut. Es ist, als wolle Meloni sich gänzlich unverdächtig machen. Die Frage ist nur, ob das einer neuen Überzeugung entspringt – oder Kalkül.
Schmusekurs mit der EU: Melonis Metamorphose folgt einem Kalkül – Sie will Geld aus Brüssel
Der Schmusekurs mit Brüssel lässt sich jedenfalls auch sehr sachlich erklären: Italien ist auf das Geld aus dem EU-Wiederaufbaufonds, insgesamt 191 Milliarden Euro an Zuschüssen und Krediten, angewiesen. Freunde in Brüssel zu haben, ist also nützlich. Kritiker werfen Meloni zudem vor, ideologisch ein doppeltes Spiel zu spielen: Einerseits sagte sie sich zu Beginn ihrer Amtszeit vom historischen Faschismus los und nannte die Rassegesetze als „Tiefpunkt der italienischen Geschichte“. Andererseits machte sie ihren Parteifreund Ignazio La Russa zum mächtigen Senatspräsidenten, einen Mann, der sich rühmt, eine Wohnung voller Mussolini-Devotionalien zu besitzen. Auch beim umstrittenen Partei-Logo bleibt Meloni stur, obwohl es einen stilisierten Mussolini-Sarg zeigt.
Bei den Wählern schadet ihr das nicht, im Gegenteil. Befördert von einer in Selbstbefassung gefangenen Opposition, liegen die Fratelli in Umfragen bei 30 Prozent, ein großer Teil der Zustimmung kommt aus der bürgerlich-konservativen Mitte. Es ist jener Teil der Wähler, der „Salvini für zu ordinär und Berlusconi für zu korrumpiert“ hält, schreibt die Konrad-Adenauer-Stiftung. „Diese Sehnsucht nach einer neuen Christdemokratie der rechten Mitte weiß Meloni zu bedienen.“ Auch ihr Flirt mit der bürgerlichen EVP dürfte diesem Zweck dienen.
Die 100-Tage-Schonfrist ist jetzt vorbei und sie ist aus Melonis Sicht ohne größere Verwerfungen in ihrer ultra-rechten Koalition verstrichen. Das war ja auch das Ziel: Nicht gleich über die ersten Hürden zu stolpern, länger durchzuhalten als die zig Regierungen zuvor. Die Zurückhaltung war nützlich, aber sie ist nicht in Stein gemeißelt. Da kann noch was kommen.