Deutschlands Wohlstand dramatisch von Migranten abhängig
Der demografische Wandel in Deutschland beschleunigt sich. Zuwanderer in den Arbeitsmarkt sind dringend notwendig, um den hiesigen Wohlstand zu sichern.
Köln - Der demographische Wandel ist in Deutschland in vollen Gange. Der Anteil der einheimische Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter sinkt, so dass sich die Wirtschaft immer schwerer tut, Arbeitsplätze in Büros, Fabriken oder Krankenhäusern zu besetzen. Eine aktuelle Studie des arbeitsgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt die Dramatik der Situation. Demnach dürfte die Zahl der Erwerbsfähigen in allen 401 deutschen Stadt- und Landkreisen bis 2024 im Schnitt um vier Prozent sinken.
Demnach ist in allen Regionen die Gruppe der 60- bis 64-Jährigen größer als die der 15- bis 19-Jährigen. Das heißt, ohne Zuwanderung werden die Älteren bei ihrem Renteneintritt eine Lücke am Arbeitsmarkt hinterlassen, die von den Jüngeren vor Ort nicht vollständig gefüllt werden kann. Das Institut selbst sagt, dass dies als Gedankenexperiment und nicht als Prognose zu verstehen ist. Denn in der Realität finden stets Wanderungsbewegungen statt und auch die Erwerbsbeteiligung verändert sich laufend.
IW-Studie zum Arbeitskräftepotenzial: Auch in München sinkt die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter
Von 2014 bis 2019 war der Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials vor allem ein ostdeutsches Problem. Doch laut IW werden von 2019 bis 2024 auch Westdeutschland und alle großen Städte auf Zuwanderung angewiesen sein, um ihre Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter konstant zu halten. Da Binnenwanderung innerhalb Deutschlands ein Nullsummenspiel ist, braucht es für eine Stabilisierung des Arbeitskräftepotenzials qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland.
Am schlimmsten betroffen ist nach dem IW-Szenario der Kreis Spree-Neiße in Brandenburg, dem bis 2024 eine Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung von 10,5 Prozent bevorsteht. Das heißt, dass auf zehn Menschen im erwerbsfähigen Alter ein Zuwanderer hinzukommen müsste, damit das Arbeitskräftepotenzial stabil bleibt.
Aber auch Boomregionen soll es treffen. In München Stadt soll die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter um 0,91 Prozent sinken, im Landkreis München um 1,5 Prozent. In Bayern ist Freyung-Grafenau mit einem Rückgang von 5,31 Prozent der Landkreis mit dem höchsten Minus.

IW-Studie zum Arbeitskräftepotenzial: Die Nettozuwanderung sinkt
Ergebnisse der IW-Studie werden durch eine Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für 2021 bestätigt, wie die Welt berichtet. Demnach sinkt die Zahl der Arbeitskräfte in diesem Jahr alterungsbedingt um 350.000. Der Demographieeffekt dürfte in jedem Jahr der aktuellen Dekade vergleichbar hoch sein. „Um das abzufedern, müssten stets 300.000 bis 400.000 Personen mehr zuwandern als andere gehen“, erklärt der Direktor des IAB, Bernd Fitzenberger. Doch das bedeute nicht, dass Arbeitskräfte jeder Art benötigt werden. Die Betriebe suchten vor allem qualifiziertes Personal.
Derzeit sind es allerdings deutlich weniger. 2019 sind 327.000 Menschen im Jahr mehr nach Deutschland gekommen als weggezogen. Im Pandemiejahr 2020 sank die Bevölkerung Deutschlands erstmals seit neun Jahren, hauptsächlich, weil die Nettozuwanderung 85.000 Menschen niedriger war als im Vorjahr. 2021 werden voraussichtlich nur 200.000 Migranten mehr zu- als abwandern.
IW-Studie zum Arbeitskräftepotenzial: Erwerbstätigenquote muss erhöht werden
Die IW-Studie gibt der Politik einige Handlungsempfehlungen zur Hand, um der Situation Herr zu werden. So wird eine Erhöhung der Erwerbstätigenquote der über 60-Jährigen durch mehr Anreize und den Abbau von Hemmnissen vorgeschlagen, zum Beispiel eine Zurücknahme der 2012 eingeführten abschlagsfreien Rente mit 63.
Eine weitere Maßnahme könnte die Erhöhung der Jahresarbeitszeit pro Erwerbstätigem sein, beispielsweise durch den Ausbau der Kinderbetreuung, um den Anteil der Frauen, die arbeiten, zu erhöhen. Eine weitere Möglichkeit wäre es, die Jahresarbeitszeit aller zu erhöhen. Die Schweizer etwa arbeiteten laut IW durchschnittlich zwei Wochen mehr als die Deutschen.
Zudem sollten die Chancen der Digitalisierung für eine Arbeitszeitausweitung sowie Produktivitätssteigerungen genutzt und Geringqualifizierte weitergebildet werden.
IW-Studie zum Arbeitskräftepotenzial: Qualifizierte Zuwanderung muss gefördert werden
Doch vor dem Hintergrund des begrenzten innerdeutschen Arbeitskräftepotenzials sollten laut IW vor allem die Rahmenbedingungen für mehr qualifizierte Zuwanderung weiter verbessert werden. Zwar sei Deutschland für internationale Fachkräfte durchaus beliebt, stehe aber in Konkurrenz zu attraktiveren Ländern. Um mehr qualifizierte Fachkräfte ins Land zu locken, müsste etwa der Schriftverkehr digital gestaltet werden. Um Jobs suchen zu können, müsse die Antragsstellung finanziell gefördert und die Einreise leichter werden.
Dabei sollten Regionen, aus denen bislang viele Menschen wegziehen, eine Willkommenskultur entwickeln. Neuzuwanderer treffen die Wahl ihres Arbeitsortes häufig auf Basis hiesiger sozialer Netzwerke von Menschen gleicher Herkunft. Einmal geschaffene ausländische Communities führen somit häufig zur Ansiedlung weiterer internationaler Fachkräfte. (mhof)