Herrmann im Interview: Das sind die Reaktionen auf Terror
München - Joachim Herrmann ist nach den Anschlägen und dem Amoklauf in jüngster Zeit häufig gefragt. Bayerns Innenminister will nun geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen. Unser Interview:
Der Amoklauf in München, der Terror von Ansbach und im Regionalzug nach Würzburg: Diese zehn Tage im Juli waren schreckliche Tage für Bayern - und insbesondere für den zuständigen Innenminister Joachim Herrmann, der von Tatort zu Tatort eilte. Am Donnerstag diskutiert der CSU-Minister mit seinen Unions-Amtskollegen über die politischen Konsequenzen dieser Ereignisse, mit denen der weltweite Terror zu uns nach Deutschland kam. Vorher sprach er mit der tz über seine Pläne.
Waren diese Tage im Juli mit dem Münchner Amoklauf und den Terroranschlägen von Ansbach und Würzburg die schwersten Tage in Ihrer bisherigen politischen Laufbahn?
Joachim Herrmann, Bayerns Innenminister: Ja. Ich bin jetzt fast neun Jahre lang Innenminister, habe in dieser Zeit viele schreckliche Erlebnisse - Unfälle, Morde - begleiten müssen. Aber diese dramatischen zehn Tage, so etwas habe ich - glücklicherweise - vorher noch nie erlebt. Und ich hoffe auch, dass ich es nie wieder erleben werde.
Wie nah geht einem das persönlich? Schafft man da noch, die professionelle Distanz zu wahren?
Herrmann: Wenn ich mit dem Leid der Menschen konfrontiert werde, wenn ich Eltern treffe, die beim Amoklauf von München ihr Kind verloren haben, nimmt mich das natürlich mit. Aber genauso wie es meinen Polizeibeamten geht, die vor Ort im Einsatz sind, die aber in dieser Situation auch nicht nur weinen können, selbst wenn es ihnen sehr nahegeht, muss ich meinen Dienst tun und meine Aufgaben wahrnehmen.
Jetzt, da wir einen gewissen Abstand zu den Ereignissen haben: Gibt es auch Anlass zur Selbstkritik? War es beispielsweise nicht doch eine Überreaktion, gleich den gesamten U- und S-Bahnverkehr zu stoppen?
Herrmann: Die Münchner Polizei konnte wegen der vielen

Meldungen aus dem ganzen Stadtgebiet, dass es dort weitere Schießereien gebe, nicht anders handeln. Wir mussten davon ausgehen, dass hier wie bei den Terroranschlägen von Paris an verschiedenen Orten gleichzeitig angegriffen wird. Da war es absolut richtig, zum Schutz der Bevölkerung so zu reagieren. Durch den Stopp der U- und S-Bahn sind natürlich Unannehmlichkeiten entstanden, aber es ist kein Schaden angerichtet worden. Die meisten Bürger sind froh, dass sie eine Polizei haben, die so schnell reagiert hat und auch in Absprache mit der Stadt München und den Verkehrsbetrieben alles so gut gemanagt wurde.
Am Donnerstag wollen die Innenminister von CDU und CSU gemeinsame Vorschläge zur Sicherheitspolitik vorlegen. Burka-Verbot, Doppelpass-Kritik: Ist das Wahlkampf für Berlin und Mecklenburg-Vorpommern oder ernsthafte Sicherheitspolitik?
Herrmann: Burka-Verbot und doppelte Staatsbürgerschaft haben nichts mit der Terrorbekämpfung zu tun, das muss man deutlich trennen. Wir werden bei der Konferenz am Donnerstag vor allem über die Sicherheit reden, darüber, dass wir die Polizei deutlich ausbauen wollen. Wir in Bayern haben ja beschlossen, die Polizei in den nächsten vier Jahren um noch einmal 2000 Beamte verstärken zu wollen - zusätzlich zu den 3000, die wir schon in den letzten sechs Jahren geschaffen haben. Der Bund will die Bundespolizei verstärken, aber auch die Länder, die in den letzten Jahren bei der Polizei gekürzt haben, sollen Konsequenzen ziehen.
Findet man angesichts der guten Arbeitsmarktlage überhaupt genug geeignete Bewerber für den Polizeidienst?
Herrmann: Wir haben zuletzt jedes Jahr zwischen 1000 und 1300 neue Kolleginnen und Kollegen eingestellt - und wir haben sechsmal so viel Bewerber gehabt. Wir konnten uns also die besten aussuchen. Der Polizeiberuf ist offensichtlich in der jungen Generation angesehen und attraktiv, auch wenn es keine Spitzenbesoldung gibt.
Angela Merkel hat ihren Neun-Punkte-Plan für mehr Sicherheit vorgelegt, Thomas de Maizière seine "Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit in Deutschland" und das bayerische Kabinett das Konzept "Sicherheit durch Stärke": Braucht es da heute schon wieder neue Sicherheits-Vorschläge?
Herrmann: Unser bayerisches Konzept ist ausgereift, und jetzt geht es darum, möglichst viel von dem, was wir vom Bund und von Europa fordern, was dort entschieden wird, durchzusetzen. Thomas de Maizière hat sich bei seinen Vorschlägen allein auf die Terrorbekämpfung konzentriert - das ist gut so, aber genauso wichtig sind die Fragen der Grenzkontrollen: Wissen wir, wer sich eigentlich in unserem Land aufhält? Dass nicht oder zu spät Fingerabdrücke genommen worden sind, dass jedes mal, wenn ein Asylbewerber behauptet, Selbstmord begehen zu wollen, von einer Abschiebung Abstand genommen wird - das sind konkrete Dinge, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, weil der IS offensichtlich auch unter den Flüchtlingen zu rekrutieren versucht. Generell ist wichtig, dass wir über die Sicherheitsmaßnahmen intern reden und dann gemeinsam Konzepte vorlegen, nicht öffentlich streiten, wie etwa in München über die Maßnahmen zur Sicherung des Oktoberfests.
Da waren manche CDU-Innenminister ja kein gutes Vorbild, die in den Medien mit Plänen vorpreschten, die eigentlich erst heute diskutiert werden sollen…
Herrmann: Der Sinn von Konferenzen ist, dass man gemeinsam berät und anschließend das Ergebnis vorstellt. Insofern fand ich das nicht so gelungen.
Wie stehen Sie zu dem Vorstoß, die ärztliche Schweigepflicht weiter zu lockern?
Herrmann: Es ist richtig, hier mit der Ärztekammer zu reden. Aber schon nach jetziger Gesetzeslage ist der Arzt nicht nur seinen Patienten verpflichtet. Laut dem Hippokratischen Eid muss ein Arzt Leben retten. Wenn also sein Patient unmittelbar davor steht, Leben vernichten zu wollen, dann ist der Arzt oder Psychologe verpflichtet, auch anderes Leben zu schützen, nicht nur seinen Patienten. Da kann er sich nicht auf seine Schweigepflicht zurückziehen.
Aber selbst wenn dann die mögliche Gefährlichkeit bekannt ist: Was kann der Staat tun? Neben jeden psychisch Labilen einen Polizisten stellen?
Herrmann: Es gibt einige wenige Top-Gefährder, die wir unter

ständige Beobachtung stellen - aber vom Ausmaß her sind da natürlich Grenzen gesetzt. Wir haben zum Beispiel den Vorschlag gemacht, dass bei Fällen im Graubereich elektronische Fußfesseln angeordnet werden dürfen, so wie es jetzt schon bei rückfallgefährdeten Sexualstraftätern möglich ist.
Aber in Frankreich hat ein Terrorist trotz seiner elektronischen Fußfessel eine Kirche gestürmt und Menschen getötet…
Herrmann: Es wird immer Situationen geben, wo bestimmte Sicherheitsmaßnahmen versagen. Aber deswegen sollte man die Dinge nicht einfach vom Tisch wischen. Die Fußfessel hat auch eine abschreckende Wirkung.
Ändern Sie persönlich Ihr Verhalten nach diesen Terroranschlägen? Sorgen Sie sich, wenn Ihre Tochter oder Ihre beiden Söhne auf die Wiesn gehen?
Herrmann: Nein. Wir müssen die Risiken klar benennen - deswegen verstärken wir auch die Sicherheitsmaßnahmen, wofür die meisten Menschen großes Verständnis haben. Aber wir dürfen solchen Terroristen nicht den Gefallen tun, unser Leben zu verändern. Wir dürfen uns nicht in Mauselöcher verkriechen. Ich selbst werde selbstverständlich das Oktoberfest besuchen.
Wegen Ihrer besonnenen Reaktion nach der Anschlagsserie werden Sie nun als potenzieller Nachfolger von Horst Seehofer gehandelt. Schmeichelt Ihnen das?
Herrmann: Ich freue mich, wenn die Arbeit der Polizei in Bayern positiv wahrgenommen wird und wenn in dem Zusammenhang auch die Arbeit des Innenministers positiv wahrgenommen wird. Aber das hat mit irgendwelchen anderen Personalfragen überhaupt nichts zu tun.
Und wie schaut's aus? Sind Sie der lachende Dritte im Kronprinzen-Streit Söder - Aigner?
Herrmann: Angesichts der jetzigen Sicherheitslage habe ich wirklich genug zu tun und bleibe dabei, dass ich mich an dieser Diskussion, für die es im Sommer 2016 noch keinen Anlass gibt, nicht beteilige.
Interview: Klaus Rimpel