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Jürgen Todenhöfer: "Islamischer Staat will uns in die Falle locken"

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Von: Klaus Rimpel

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Jürgen Todenhöfer Islamischer Staat IS
Diese Szene fotografierte Jürgen Todenhöfers Sohn Frederic, der ihn auf seiner Reise in die Welt des IS begleitete. © F. Todenhöfer

München - Der Autor Jürgen Todenhöfer war vor einem Jahr im IS-Kalifat. Die tz sprach mit dem Ex-CDU-Abgeordneten darüber, wie der Islamische Staat besiegt werden könnte. Am Sonntag war er im TV zu sehen.

Jürgen Todenhöfer erlebte ISIS aus nächster Nähe. Nach monatelangen Vorbereitungen reiste er mit seinem Sohn Frederic im November 2014 als erster und einziger westlicher Journalist in das vom

Jürgen Todenhöfer Islamischer Staat Buch
Jürgen Todenhöfer: "Inside IS – 10 Tage im Islamischen Staat" (Bertelsmann, 17,99 Euro) © Verlag

Islamischen Staat (IS) kontrollierte Gebiet. Die Einnahmen aus seinem Buch, „Inside IS – 10 Tage im Islamischen Staat“ (Bertelsmann, 17,99 Euro), spendet Todenhöfer für Kinder in Gaza (bislang 100.000 Euro) und syrische Flüchtlingskinder (50.000 Euro). Die tz sprach mit dem Ex-CDU-Abgeordneten darüber, wie der Islamische Staat besiegt werden könnte.

Paris hat jetzt offiziell militärischen Beistand angefordert. Die Luftangriffe wurden verstärkt. Können Sie diese Reaktion von Hollande verstehen?

Jürgen Todenhöfer: Emotional ja, rational nein. Die ganzen Kriege gegen den Terror, die vor 14 Jahren begonnen haben, waren ein totaler Flopp. Vor 14 Jahren gab es ein paar hundert Terroristen in den Bergen des Hindukusch. Mit Hilfe dieser Bombardements gegen Afghanistan, Libyen, Syrien usw. haben wir jetzt Hunderttausende internationaler Terroristen. Wir haben den Terrorismus gezüchtet. Und es ist eine absurde politische Fehlleistung immer noch zu glauben, dass man es mit Bomben schaffen kann.

Alle Entwicklungen zum Terror in Paris können Sie in unserem Ticker vom Donnerstag nachlesen. Falls Sie den Mittwoch verpasst haben: Hier gibt es alle wichtigen Entwicklungen nach dem Paris-Terror.

Aber wenn man weiß, dass die Terror-Chefs im syrischen Rakka sitzen – muss man nicht versuchen, sie dort zu treffen?

Jürgen Todenhöfer: Wo die sind, weiß keiner wirklich. Ich war in Rakka: Eine Kleinstadt mit wenigen hunderttausend Einwohnern – und auf diesen Ort werfen zig Staaten und zwei Großmächte im Minutentakt Bomben ab! Das ist politisches Show-Geschäft auf dem Rücken der Bevölkerung von Rakka, die den IS auch nicht mag. Die Bomben in diesen Ländern töten zu 90 Prozent Zivilisten. Für jedes Kind, das in diesen Ländern getötet wird, stehen zehn neue Terroristen auf.

Jürgen Todenhöfer: Bodentruppen wären der Traum des Islamischen Staates

Wäre es, um diese vielen zivilen Opfer zu vermeiden, besser, mit Bodentruppen nach Syrien zu gehen?

Jürgen Todenhöfer: Bodentruppen wären der Traum des IS! Der IS hat die Anschläge in Paris auch deshalb gemacht, um die USA, Frankreich und England zu provozieren, Bodentruppen zu schicken. In den zehn Tagen, an denen ich im vergangenen Jahr im IS-Kalifat war, haben mir die Kämpfer dort immer wieder gesagt, ihr Traum ist gegen Amerikaner, Franzosen und Engländer zu kämpfen. In diese Falle dürfen wir nicht tappen! Der IS will zudem Zwietracht im Westen schüren zwischen der muslimischen und nichtmuslimischen Bevölkerung. Sie sehen Pegida als einen fabelhaften Verbündeten an – auch das haben mir IS-Leute gesagt.

Aber was ist die Alternative zur militärischen Gewalt? Könnte man mit diesen fanatischen IS-Kriegern diplomatische Lösungen finden?

Jürgen Todenhöfer: Nein. Aber es gibt Strategien als Alternative zu den Kriegen! Ich nenne mal drei Punkte: Den Waffen- und Munitionsnachschub aus den Golfstaaten wie Katar und Saudi-Arabien zu den Terror-Gruppen in Syrien stoppen. Dann bekommt der IS schnell gewaltige militärische Probleme. Zweitens müssen wir die Türkei dazu bringen, die Grenze zu Syrien wirklich dicht zu machen, so dass der IS-Nachschub an Kämpfern aus Europa versiegt. Die Grenzübergänge ins IS-Gebiet sind alle bekannt, auch ich habe sie benutzt, als ich nach Rakka reiste. Drittens: Der IS lebt davon, dass Irak und Syrien gespalten sind. Vor allem im Irak sind die Sunniten, ein Drittel der Bevölkerung, seit Saddams Sturz massiv diskriminiert worden. Deswegen muss unser Ziel eine nationale Aussöhnung sein, um dem IS die Operationsbasis zu entziehen.

Gibt es da Gesprächspartner? Wie könnte man die sunnitischen Clanchefs im IS-Kalifat von diesen Gotteskriegern loseisen?

Jürgen Todenhöfer: Ich kenne die Führer der sunnitischen Minderheit im Irak persönlich. Und es geht auch um die total von der Macht ausgeschlossenen früheren Mitglieder von Saddams Bath-Partei. Diese Leute haben mir immer wieder gesagt, an dem Tag, wo wir normale politische Rechte im Irak bekommen, werden wir dem IS sagen: Aus und vorbei! Ab diesem Augenblick wäre der IS kein Verbündeter mehr für die Sunniten, sondern ein Störenfried. Natürlich ist das politisch alles nicht einfach – da müsste man Zugeständnisse an den Iran, an die schiitische Regierung im Irak machen. Aber in Syrien hat ja am Wochenende ein Friedensprozess begonnen – das ist der richtige Weg!

Todenhöfer: Das bringen die russischen Angriffe auf den Islamischen Staat

Hat die russische Einmischung in den Krieg eine Friedenslösung leichter oder schwieriger gemacht?

Jürgen Todenhöfer: Die russische Intervention hat den Westen politisch gezwungen, die unkluge Position aufzugeben, mit dem Assad-Regime nicht zu verhandeln. Wenn Willy Brandt so gedacht hätte, hätten wir heute noch die Sowjetunion. Man muss mit seinen schlimmsten Feinden reden. Aber die Militärschläge der Russen sind genauso falsch wie die der Amerikaner oder der syrischen Luftwaffe. Ich habe es selbst erlebt: Die Wohnung, in der ich in Rakka lebte, war in meiner Abwesenheit durch einen syrischen Luftangriff total zerstört worden. Die Menschen in der Nachbarwohnung, alles Zivilisten, waren tot.

Wieviel Rückhalt hat IS in der syrischen und irakischen Bevölkerung?

Jürgen Todenhöfer: Im Irak, wo über 80% Prozent der Kämpfer Iraker sind, hat der IS einen relativ hohen Grad an Duldung. In Syrien aber sind 70 Prozent der Kämpfer Ausländer, die als Besatzungsmacht wahrgenommen werden. Assad hat in Rakka immer noch viele Anhänger – er bezahlt sogar noch die Regierungsangestellten in Rakka, um zu zeigen: Mein syrischer Staat funktioniert noch – was er in Wahrheit natürlich nicht mehr tut.

Jürgen Todenhöfer: Das fasziniert junge Menschen am Islamischen Staat

Wie kommt es, dass so ein brutaler Terroranschlag wie jetzt in Paris attraktiv auf junge Moslems und Konvertiten wirkt, die bei uns im Wohlstands-Westen aufwachsen?

Jürgen Todenhöfer: Die grausigen Bilder sind nur für eine überschaubare Zahl von Leuten attraktiv. In Deutschland gibt es 9000 Salafisten, von denen ist vielleicht maximal ein Drittel gewaltbereit und sympathisiert mit dem IS. 99,9 Prozent der Muslime in Deutschland lehnen den IS kategorisch ab! Der IS sieht in diesen gemäßigten, die Demokratie bejahenden Muslime Feinde, die getötet werden müssen. IS-Sympathisanten gibt es auch in München – ich habe solche Leute selbst getroffen. Der IS hat ihnen vorgegaukelt, dass sie in einem apokalyptischen Endkampf stehen, der in Syrien stattfindet. Zum ersten Mal in ihrem Leben sagt jemand zu diesen jungen Leuten: Ihr seid wichtig, kommt zu uns. Dazu kommt die Gewalt-Kultur im Internet. Die jungen Männer spielen erst brutale Ballerspiele. Dann sagt man ihnen: Kommt zum IS – da bekommt ihr ein schönes Haus und eine große Knarre. In Wahrheit müssen sie dann unter erbärmlichsten Bedingungen mit Plumpsklo in Syrien hausen. Die jungen Leute, die hier nichts sind, glauben so Phantasiegestalten zu werden, die mit dem Maschinengewehr über Leben und Tod entscheiden.

IS will 2020 vor Bayern stehen

Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass IS-Sympathisanten in Flüchtlingslagern neue Dschihadisten rekrutieren könnten?

Jürgen Todenhöfer: Der IS wird sicher versuchen, überall zu rekrutieren, wo jemand alleine gelassen ist, keine Perspektive hat. Aber ich glaube nicht, dass sie unter den Flüchtlingen damit viel Erfolg haben werden – denn sie sind aus Angst vor dem Tod geflohen. Die Neigung dieser Leute, sich als Märtyrer zu opfern, dürfte nicht sonderlich groß sein. Aber ausschließen können Sie natürlich gar nichts.

Update 2 vom 10. Mai 2016: Wie sich mittlerweile herausgestellt hat, handelt es sich bei dem Angreifer nicht um einen IS-Terroristen, sondern um einen verwirrten Mann, der wohl unter Drogeneinfluss stand.

Update 1 vom 10. Mai 2016: Messerattacke am Dienstagmorgen: Ein mutmaßlicher Islamist des IS hat in Grafing-Bahnhof mehrere Menschen mit einem Messer verletzt. Aktuell gibt es einen Toten.

Update vom 23. Dezember 2015: In einem weiteren Interview äußert sich Jürgen Todenhöfer über die Bedrohung durch den islamischen Staat. Er prangert ein falsches Islambild an, das im Westen verbreitet sei und meint: Der Westen habe vie vom Islam profitiert.

Update vom 4. Dezember: Beide sind umstritten und machen jetzt gemeinsame Sache: Jürgen Todenhöfer stellt exklusiv den neuen Song von Xavier Naidoo auf Facebook vor. Der Song-Text macht etwas ratlos.

Update vom 22. November: Jürgen Todenhöfer war am Sonntag zu Gast bei Günther Jauch. Die ARD-Sendung begann um 21.45 Uhr und thematisierte "Terrorziel Deutschland - Wie groß ist die Gefahr?". 

Update vom 20. November: Jürgen Todenhöfers Aussagen in diesem Interview bleiben nicht unwidersprochen. Der renommierte Historiker Michael Wolfssohn meint: "Pauschalaussagen gehören an den Stammtisch und ersetzen keine seriöse Analyse." Mehr lesen Sie im Interview mit Michael Wolffsohn zum IS.

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Interview: Klaus Rimpel

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