„Nicht demokratisch“: Buschmann kritisiert Klima-Aktivisten und Bayerns „Präventivhaft“

Aktionen der Klimaschützer sorgen für Diskussion. Bei Anne Will diskutiert Justizminister Buschmann mit „Letzte Generation“-Aktivistin Carla Hinrichs.
München - Die Aktivisten der „Letzten Generation“ wollen mit Straftaten der Politik Druck für mehr Veränderungen beim Klimaschutz machen. Im „Anne Will“-Talk im Ersten wird dieses Verhalten hitzig diskutiert.
In den letzten Minuten kochen die Emotionen hoch. Justizminister Marco Buschmann und Zeit-Journalistin Petra Pinzler keifen sich an. Keiner der beiden will den anderen noch zu Wort kommen lassen. Moderatorin Will sucht hilfesuchend zum Bildschirm auf dem bereits Tagesthemen-Kollegin Caren Miosga erschienen ist und ruft ihr zu: „Caren, hilf mir!“ Will bringt die beiden Debatten-Kontrahenten schließlich doch zum Schweigen, kommentiert trocken: „Das haben wir verstanden: Dass hier ganz viel übereinander hinweg geredet wird!“
Dagegen kann sich Bayerns Staatsminister fürs Innere, Joachim Herrmann von der CSU, bei dem Disput ein Schmunzeln nicht verkneifen. Es wirkt als falle eine gewisse Anspannung von ihm ab: Wenige Minuten zuvor stand Herrmann heftig in der Schusslinie und musste sich für die vermeintlich lange blockierende Haltung Bayerns in Sachen Klimapolitik, dem Ausbau der Erneuerbaren Energie und dem Umgang mit Klimaaktivisten rechtfertigen.
„Anne Will“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Marco Buschmann (FDP) - Bundesminister der Justiz
- Katrin Göring-Eckardt - (Bündnis 90/Die Grünen) - Bundestagsvizepräsidentin
- Joachim Herrmann (CSU) - Bayerischer Staatsminister des Innern, für Sport und Integration
- Carla Hinrichs - Sprecherin der Gruppe „Letzte Generation“
- Petra Pinzler - Korrespondentin im Hauptstadtbüro Die Zeit
Das offenkundig aufwühlende Thema des Polit-Talks im Ersten lautet: „Straßen blockieren, Kunst attackieren – helfen diese Aktionen beim Kampf ums Klima?“. Im Fokus stehen die Aktionen der Klimaschutzaktivstengruppe „Letzte Generation“. Um die Reduzierung der CO2-Gase voranzutreiben, bewerfen die Mitglieder dieser Gruppe Kunstwerke mit Brei sowie Farbe und kleben sich an Museumswände, Brückengeländern und auf dem Straßenbelag fest. Für Dutzende der Aktivisten folgten bereits Festnahmen und Anklagen. Die Gruppe hat vor allem zwei konkrete Forderungen an die deutsche Regierung: Die Wiedereinführung des Neun-Euro-Tickets und Tempo 100 auf Autobahnen. Gegen beides positioniert sich vor allem die FDP.
Aktivisten-Sprecherin Carla Hinrichs, gegen die derzeit selbst mehrere Verfahren anhänglich sind, rechtfertigt die Aktionen mit der Dringlichkeit der Lage: „Das Zeitfenster schließt sich“, ruft sie quälend und mahnt, man rase derzeit in eine „Katastrophe“. Die Aktionen seien „moralische Pflicht“, so Hinrichs und aus Sicht ihrer Mitstreiter im Rahmen des „friedlichen Widerstandes“. „Wir haben einfach keine andere Wahl mehr, das ist ein Akt der Verzweiflung“, so die Jura-Studentin, die berichtet, sie habe Angst, „Kinder in die Welt zu setzen, die ich nicht mehr ernähren könne.“
Buschmann hat kein Verständnis für Straßenblockaden: Erpressung der Regierung
Justizminister Marco Buschmann kann für die Aktion der Gruppe kein Verständnis aufbringen. Seine Sichtweise ist eindeutig: „Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel“, macht er Aktivistin in belehrendem Tonfall klar. „Wir leben in einer Demokratie. Da geht man nicht los und setzt die eigenen Anliegen gegen Recht und Gesetz durch“. Und befindet, Regierung und Parlamente „zu erpressen“, sei nicht demokratisch, „indem man mit weiteren Straftaten drohe, wenn die eigenen Bedingungen nicht erfüllt“ würden.
Die Gesetzesbrüche ihrer Gruppe stellt Hinrichs den Rechtsbruch der politisch Verantwortlichen entgegen: „Unsere Regierung bricht gerade unser Grundgesetz“, meint Hinrichs pauschal und bezieht sich dabei auf einen Gerichtsbeschluss von 2021 als Folge von Verfassungsbeschwerden mehrerer Klimaschützer, der die damalige Bundesregierung zur Nachbesserung des Klimaschutzgesetzes aufgefordert hatte. In der Kritik stand die Wahrung der Freiheitsrechte jüngerer Generationen. Vor allem die Nicht-Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles wurde damals beanstandet.
Das lässt Buschmann nicht gelten. „Hier bricht niemand das Grundgesetz“, befindet er kategorisch und stellt fest: „Wir sind vermutlich die engagierteste Bundesregierung in der Geschichte dieses Landes für das Thema Klimaschutz!“ Buschmann verweist auf den Klima- und Transformationsfonds für 170 Milliarden Euro, den die Ampel durchgebracht habe und kündigt fürs kommende Jahr 36 Milliarden für Klimaschutz und den Umbau der Energieinfrastruktur an. „Es ist nicht die Bundesregierung, die bremst“, meint der Justizminister. Doch die Zustimmung der Runde hat er nicht.
Für Göring-Eckardt ist die Politik nicht radikal genug, „Letze Generation“ aber zu radikal
Göring-Eckardt fordert dagegen eine Politik, die „extrem radikal sein“ müsse. Die Radikalität der „Letzte Generation“-Aktivisten lehnt sie aber ab: „Ich glaube, es schadet dem Anliegen mehr, als dass es nützt“, so die Grünen-Politikerin. Vor allem, weil die Diskussion darüber zu viel Zeit in Anspruch nehme. Kritik übt Göring-Eckardt auch in der in Bayern gegen Klimaaktivisten verhängten „Präventivhaft“ von 30 Tagen. Auch Buschmann kommentiert den richterlichen Beschluss kritisch und meldet Zweifel an der Verhältnismäßigkeit an.
Staatssekretär Herrmann rechtfertigt das Gerichtsurteil, da die in Gewahrsam genommenen Personen ihre erste Freilassung dazu genutzt hätten, erneut Straßenblockaden durchzuführen und dieses fortsetzen wollten. Herrmann nennt die Situation aber auch eine „Herausforderung für den Rechtsstaat“. Auch weil sich die Betroffenen weigerten „Rechtsmittel“ einzulegen, sie zu „Märtyrer hochstilisieren lassen“, befindet der Christsoziale.
Fazit des „Anne Will“-Talks
In der Sendung zeigte sich, wo der Gräben in Sachen Klimaschutz verlaufen: Zum einen zwischen Jungen und Alten, die in unterschiedlicher Betroffenheit die Dinge bewerten. Während die einen die langfristige Zukunft sichern wollen, blicken die anderen auf die Lösungen der Jetztzeit. Das gleiche gilt für die vom Wohlstand profitierenden und denen, die Status und Prestige weniger wichtig sind. Eine Lösung bot die Sendung nicht. Im Gegenteil: Am Ende wirkten die Positionen verhärtet. (Verena Schulemann)