Für Scholz wird es ernst: 48 Stunden der Wahrheit im Februar - welche Stolperfallen dem Kanzler blühen

Ein Kanzler, noch zurückhaltender als Angela Merkel? Für Olaf Scholz endet noch im Februar die Schonfrist. In Sachen Corona und Russland wird es ernst - eine Analyse.
Berlin/Moskau - 100 Tage gewähren Beobachter üblicherweise einer neuen Regierung als erste Bewährungsprobe. So viel Zeit hat die Ampel nicht: Die Regierung von Überraschungskanzler Olaf Scholz (SPD) steht im Dauerfeuer der Krisen - Omikron-Welle hier, Ukraine-Konflikt dort. Von in normalen Zeiten aufsehenerregenden Baustellen wie steigenden Energiepreisen ganz zu schweigen.
Die Lage ist also schwierig. Und gerade deshalb verlieren einige Kritiker schon jetzt die Geduld mit Scholz: In den ersten Februar-Tagen kursierte der Hashtag „WoIstScholz“ auf Twitter. Nicht nur die Union sprang mit Freude auf den Zug auf. Denn Scholz, der in merkel‘schem Stile mit möglichst wenig Angriffsfläche den Wahlkampf gewonnen hatte, hält sich betont im Hintergrund. Bereits Mitte Februar könnte die Schonfrist beendet sein - der Kanzler muss wohl liefern. Zweimal binnen 24 Stunden.
Scholz vor Corona-Gipfel und Putin-Besuch - Stunden der Wahrheit noch im Februar
Denn auf Scholz‘ Terminplan stehen seit diesem Freitag (4. Februar) gleich zwei hochbrisante Februar-Termine: Schon länger ist der nächste Corona-Gipfel auf den 16. Februar datiert. Einen Tag zuvor, das ist nun klar, wird der Bundeskanzler nach Moskau reisen, um direkt in das Ringen mit Russland einzugreifen. Verkündet hatte das übrigens nicht das Kanzleramt - sondern der Kreml. Scholz war am Mittwoch bei seiner Ankündigung eines Treffen im ZDF einen konkreten Termin schuldig geblieben.
Dann werden klare Positionierungen nötig sein. Der letzte Corona-Gipfel hatte weitgehend bestehende Regelungen fortgeschrieben - nun tobt eine Lockerungsdebatte, auch quer durch die Ampel-Fraktionen. Russland und die umstrittene Pipeline Nord Stream 2 schien Scholz zunächst zur Chefsache machen zu wollen. Doch Außenministerin Annalena Baerbock reiste zuerst nach Moskau. Und wurde mit ihrer kritischen Haltung dann auch noch zur Vorreiterin. Auch hier wird das Stillhalten schwierig.
Scholz muss nun einige Fragen klären - die wichtigsten Aufgaben im Überblick:
Scholz unter Druck: Was dem Kanzler bei seiner Russland-Reise blüht
- Sanktionen für Russland: Scholz wird seine mehrfach proklamierte „Doppelstrategie“ aus Druck und deeskalierenden Verhandlungen mit Leben füllen müssen - eventuell auch mit klareren Ansagen. Seine Ampel-Koalition schweigt mit Rücksicht auf die außenpolitisch brisante Lage weitgehend zur Russland-Frage. Noch. Ein Besuch ohne klare Haltung in Moskau könnte ein Machtvakuum greifbar machen. Viel hängt von der Frage ab, wie sich der Konflikt an der russisch-ukrainischen Grenze weiterentwickelt. Sollte sich, was nicht unbedingt zu erwarten ist, die Lage verschärfen, könnten Sanktionen nötig werden. So oder so wird sich Scholz in Moskau (und danach innenpolitisch) für seine Haltung zu Strafmaßnahmen rechtfertigen müssen.
- Verhältnis zu Putin und Russland klären: Die Kanzlerpartei SPD hat zuletzt viele Fragezeichen im Umgang mit Russland produziert. Es steht die Frage im Raum, ob die Sozialdemokraten mit ihrem für russisches Gas lobbyierenden Kanzler a.D. Gerhard Schröder eine zu große Nähe zu Russland pflegen. Schröder lieferte am Freitag neues Futter für die Debatte. Womöglich muss sich Scholz noch klarer von Schröder und damit von Interessen der Regierung Putin distanzieren. Genau das könnte in Moskau - und bei einigen Parteifreunden - für Verstimmung sorgen. Ein allzu freundlicher Auftritt wiederum könnte den Kanzler in Erklärungsnöte bringen. International und im Bundestag.
- Klare Kante zu Nord Stream 2: Direkt verknüpft: Scholz hatte Sanktionen für Nord Stream 2 lange eine Absage erteilt - unter dem eher lapidaren Hinweis, es handle sich um ein „privatwirtschaftliches Projekt“. Diese Haltung ließ sich offenbar unter Druck von außen und innen nicht ganz aufrechterhalten. Offiziell angedroht sind Konsequenzen für die Pipeline aber nach wie vor nicht. Die SPD verweist darauf, dass gerade Unklarheit über konkrete Folgen ein effektives Druckmittel sei. Doch auch in dieser Frage ist das letzte Worte noch nicht gesprochen. Die Forderung nach konkreteren Drohungen könnte wachsen.
- Waffenlieferungen an die Ukraine: Helme will die Bundesregierung an die Ukraine liefern - ein Angebot, dass nicht nur in Kiew (gelinde gesagt) mit Stirnrunzeln aufgenommen wurde. Zuletzt sandte die Ukraine eine Waffenlieferungs-Wunschliste gen Berlin. Scholz hat Argumente für die Haltung: Neben der speziellen Geschichte Deutschland als Aggressor in Osteuropa auch eine Sonderrolle der Bundesrepublik als mehr oder minder neutraler Vermittler. Dennoch wird der Termin in dieser Hinsicht heikel. Sowohl aus der Ukraine, als auch Russland könnten Rufe nach Zugeständnissen und Versprechen laut werden. Und Scholz muss antworten.
- Botschaften zwischen den Zeilen: Treffen zwischen Regierungschefs sind hochdiplomatisches Terrain - mit markigen Worten ist legitimierweise in Moskau nicht zu rechnen. Umso mehr werden Zwischentöne in den Fokus rücken. Scholz‘ Außenministerin Baerbock hatte mit einem kühlen, aber nicht ruppigen Auftritt im Kreml ihre Mission recht souverän absolviert. Für Scholz wird der Termin an Wladimir Putins Seite nun zur Nagelprobe. Dass man neben dem russischen Präsidenten auch dank politischer Abhängigkeiten in schiefes Licht gerückt werden kann, hatte etwa Donald Trump erfahren. Auch Angela Merkel musste einst einen unangenehmen Moment erdulden.
- Unter dem Strich: Scholz steht als Vermittler in spe unter Druck, keine Seite zu verprellen - und muss sich zugleich ausreichend hart positionieren: Um innenpolitische Aufregung zulasten der SPD zu vermeiden, aber auch Deutschland als wichtige Stimme zu positionieren. Eine schwere Aufgabe. Die durch die Umstände noch schwerer wird. Als Antrittsbesuch früh in der Kanzlerschaft und inmitten der Ukraine-Krise steht der Termin unter besonderer Beobachtung - längst wurden international Sehnsuchtsbekundungen nach Angela Merkel laut. Zugleich gibt es bilateralen Ärger auch zwischen Deutschland und Russland: Wegen der Wirren um RT DE und die Deutsche Welle, aber durchaus auch aufgrund der fortdauernden Inhaftierung Alexej Nawalnys oder dem Verbot Moskaus für die Menschenrechtsorganisation Memorial. Auch diese Themen werden vor dem Besuch in Deutschland wohl hochkochen.

Scholz‘ heikler Corona-Termin: Beim Gipfel Mitte Februar wird es ernst in Sachen Lockerungen
- Unklare Omikron-Situation: Die Corona-Lage ist unstrittig komplex: Omikron mit seiner massiven Ansteckungskraft und den leichteren Verläufen könnte als Gamechanger wirken - und ist zugleich gerade mit dem neuen Subtyp BA.2 noch lange nicht vollends in allen infektiologischen Konsequenzen ergründet. Doch der Druck wächst. Zumindest Forderungen nach einem klaren Exit-Plan aus den Corona-Maßnahmen sprießen aller Orten. Gute Vorbereitung wird nötig sein.
- Lockerungsdebatte: Gerade die Union setzt Scholz unter Druck: Vor allem CSU-Chef Markus Söder war zuletzt mit Lockerungswünschen vorgeprescht. Brisanter ist für den Kanzler aber womöglich die Gemengelage in der Koalition. Auch die FDP zeigt Zeichen von Unruhe, etwa beim Thema 2G im Einzelhandel. Sogar Ärzte erhoben zuletzt Forderungen nach Neubewertung. Die nächste Bund-Länder-Runde unter Scholz-Ägide wird sich positionieren müssen - ohne Vertrauens- und Wirtschaftsschäden durch voreilige Öffnungen zu riskieren. Ein möglicher taktischer Vorteil: So ganz einig ist sich die intern auch die Union nicht.
- Impfpflicht: Auch die heiß geführte Debatte um die allgemeine Impfpflicht geht langsam Richtung Zielgerade. Sie wird womöglich Gipfel-Thema werden, auch wenn Scholz den Bundestag als Schlüsselspieler in Szene setzt. Schon beim vorangegangenen Gipfel brachten die unionsgeführten Länder die Frage auf die Agenda. Dabei drängt ein brisantes Problem in den Vordergrund: Ist die Impfpflicht im Angesicht von Omikron noch verhältnismäßig? Scholz könnte zu einem Statement gedrängt werden - und wird den Eindruck völliger Zurückhaltung rechtfertigen müssen. Die SPD scheint zwar weitgehend einig. Angesichts einer wachsenden Zahl an Entwürfen könnte aber auch eine interne Ampel-Linie gefragt sein.
- Ampel-Debatten: Eine klare Kanzler-Positionierung könnte auch aus anderem Grund nötig werden: Bislang ist es nur die Union, die nach „Führung“ in den Corona-Debatten ruft. Doch angesichts kreuz und quer verlaufender Öffnungs-Debatten auch in der Ampel könnte sich die Problematik ausweiten. Scholz droht auch hier zwischen die Stühle zu geraten. Seine Ampel verbindet höchst unterschiedliche Standpunkte - von den vorsichtigen Grünen bis zu den auf Freiheits-Thematiken ausgerichteten Liberalen. Scholz setzt bislang offenbar darauf, Koalitions-Knatsch durch weitgehendes Laufenlassen zu vermeiden. Die Strategie könnte aber an Grenzen geraten.
- Corona-Kommunikation: Selbst der von Scholz eingesetzte Expertenrat hatte zuletzt Kommunikationsdefizite gerügt. Das Problem droht wieder virulent zu werden. Der Kanzler bremste zuletzt bei schnellen Lockerungen - schwieg aber auch zu Langfrist-Plänen. Ein mögliches Kalkül: Keinen vorauseilenden Leichtsinn in der Bevölkerung zu schüren. Ob dieser Kurs aber zu verteidigen ist, bleibt abzuwarten. Viele Beobachter fordern nun offene, gut erklärte Schritte. Scholz dürfte schon bei der Gipfel-PK in der Pflicht stehen. Beileibe nicht nur in Sachen Rhetorik. Ein bitterer Aspekt: In einer am Freitag veröffentlichten Civey-Umfrage für den Fernsehsender Welt gaben 56 Prozent der Befragten an, die Corona-Politik eher nicht oder eindeutig nicht nachvollziehbar zu finden.
Die Zeit der Zurückhaltung jedenfalls dürfte für Scholz Mitte Februar beendet sein. Offen scheint, ob hinter der Terminballung Kalkül steckt, oder doch nur der Terminkalender Wladimir Putins: Zumindest innenpolitisch könnte der Auftritt in Moskau mit dem Corona-Gipfel schnell wieder in den Hintergrund rücken. Ob das von Vorteil sein wird, bleibt abzuwarten. Stunden der Wahrheit werden der 15. und 16. Februar für Scholz und seine Ampel so oder so. (fn)