Update vom 30. April, 13.05 Uhr: Die Bundesregierung strebt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine zügige Anpassung des Klimaschutzgesetzes an. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Freitag in Berlin, die Bundesregierung werde alles daran setzen, noch in dieser Legislaturperiode einen Gesetzesvorschlag zu machen. Seibert sprach von einem wegweisenden Urteil. Kernforderungen des Gerichts an die Regierung sollten noch in dieser Legislatur umgesetzt werden.
Update vom 30. April, 11.42 Uhr: Vizekanzler Olaf Scholz hat nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein neues Klimaschutzgesetz noch in dieser Legislaturperiode angekündigt. Dies habe er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vereinbart, teilte der SPD-Politiker am Freitag in Berlin mit. „Beim Klimaschutz muss schnell mehr passieren, damit wir vor 2050 klimaneutral werden.“
Scholz erklärte, er wolle zusammen mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) zügig einen Vorschlag für mehr Klimaschutz vorlegen. „Damit schützen wir unsere Lebensgrundlagen und schaffen Planungssicherheit für die Unternehmen. Ich habe immer gesagt: Klimaschutz ist die wichtigste Aufgabe unserer Zeit. Bremser und Blockierer haben nichts mehr zu sagen, es geht jetzt ums Handeln.“
Update vom 29. April, 13.50 Uhr: CSU-Chef Markus Söder hat nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine Generalrenovierung des Bundes- und auch des bayerischen Klimaschutzgesetzes gefordert und angekündigt. Man müsse jetzt handeln und dürfe das nicht auf die lange Bank schieben, sagte Söder am Donnerstag nach Beratungen der CSU-Spitze mit der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft. Dabei müssten die Unionsparteien „Schrittmacher“ sein und dürften nicht anderen hinterherlaufen.
Söder nannte das Urteil „wuchtig, aber richtig“. Es müsse von allen als positive Chance verstanden werden. Noch nie habe ein Gericht in einer solchen Art und Weise einen Generationenvertrag eingefordert. „Das muss man jetzt umsetzen in positive Energie“, verlangte Söder. Man dürfe sich nicht wegducken, sondern müsse „jetzt anpacken“.
CSU-Generalsekretär Markus Blume wurde konkreter. Er forderte eine „Entscheidung noch in dieser Legislaturperiode“ - und brachte mögliche weitere Folgen des Richterspruchs auf den Tisch: „Generationengerechtigkeit als eine Frage der Freiheit kommender Generationen“ zu sehen sei „epochal und wegweisend! Ich denke neben #Klimaschutz an #Schuldenbremse, #Rentenpolitik etc.“
Update vom 29. April, 12.45 Uhr: Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gerät nach einem jubilierendem Tweet zum Urteil des Verfassungsgerichts nun auch regierungsintern in die Kritik. „Nach meiner Erinnerung haben Sie und CDU/CSU genau das verhindert, was nun vom Bundesverfassungsgericht angemahnt wurde. Aber das können wir rasch korrigieren. Sind Sie dabei?“, schrieb der Bundesfinanzminister und Vizekanzler am Donnerstag auf Twitter. Zuvor hatte Altmaier bei dem Kurznachrichtendienst geschrieben, dass das Bundesverfassungsgericht ein „bedeutendes Urteil“ erlassen habe, das „epochal für Klimaschutz“ sei und für „Planungssicherheit für die Wirtschaft“ sorge.
Aus der CDU kamen dennoch weiterhin positive Reaktionen zu vernehmen. Das Urteil schlage „ein ganz neues Kapitel im grundrechtlichen Schutz der Bürger gegen freiheitsgefährdende Untätigkeit des Gesetzgebers auf“, sagte CDU-Politiker Norbert Röttgen am Donnerstag dem Nachrichtenportal t-online. „Das Bundesverfassungsgericht hat sich als Garant von Zukunfts- und Freiheitsschutz betätigt.“
Scharfe Kritik kam auch von der FDP: Partei-Vize Wolfgang Kubicki griff die große Koalition an. „Die Schludrigkeit, mit der die Koalition aus Union und SPD Gesetze formuliert, zeugt von einer ausgeprägten Unprofessionalität“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der Liberalen-Vorsitzende Christian Lindner bezeichnete das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in der Heilbronner Stimme als „Anlass für einen klimapolitischen Neustart in Deutschland“.
Update vom 29. April, 12.00 Uhr: Nüchterner als Wirtschaftsminister Peter Altmaier (siehe voriges Update) hat die umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Marie-Luise Dött, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimagesetz aufgenommen. „Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist zu akzeptieren. Im Grundsatz verstößt der Gesetzgeber aber nicht gegen das Klimaschutzgebot des Artikels 20a GG. Es werden lediglich fehlende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 bemängelt“, erklärte sie. Der neu gewählte Bundestag werde sich „ohnehin über eine Anpassung des Bundes-Klimaschutzgesetzes beugen müssen, da die EU ihr Klimaziel für 2030 erhöht hat und dies Auswirkungen auf Deutschland haben wird“.
Grünen-Chefin und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock* hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hingegen als „historische Entscheidung“ gefeiert. „Klimaschutz schützt unsere Freiheit und die Freiheit unserer Kinder und Enkel“, erklärte Baerbock am Donnerstag auf Twitter. „Deshalb konkreter Auftrag für das Hier und Heute: Klimaschutzgesetz jetzt überarbeiten. Die nächsten Jahre sind entscheidend für konsequentes Handeln.“
Die Karlsruher Richter verpflichteten den Gesetzgeber, bis Ende kommenden Jahres die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 näher zu regeln.
Update vom 29. April, 10.45 Uhr: Das Bundesverfassungsgericht hat dem Klimagesetz der Regierung von Kanzlerin Angela Merkel eine Absage erteilt: Bis Ende 2022 müssen die Reduktionsziele für das Jahr 2030 präzisiert werden (siehe voriges Update). Das Echo fiel am Donnerstag deutlich aus: Die Kläger - unter anderem von Fridays For Future - jubelten. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) setzte sich mit einer freudigen Reaktion in die Nesseln.
Umweltverbände bezeichneten das Urteil als bahnbrechend. Luisa Neubauer von Fridays for Future sagte: „Es ist ein unfassbar großer Tag für viele“. Klimaschutz sei ein Grundrecht. Felix Ekardt als rechtlicher Vertreter erklärte, das Gericht habe der Bundesregierung eine schallende Ohrfeige verpasst. Der Rechtsanwalt Remo Klinger sprach von einem Meilenstein. Die Klimaziele bis 2030 müssten deutlich verschärft werden. Die Klägerin Sophie Backsen sagte: „Wir sind superglücklich und erleichtert.“ Wirksamer Klimaschutz müsse nun umgesetzt werden und nicht erst in zehn Jahren, wenn es zu spät sei.
Altmaier - selbst als Minister am Gesetz beteiligt - twitterte, Karlsruhe habe ein „großes und bedeutendes Urteil erlassen. Es ist epochal für Klimaschutz und Rechte der jungen Menschen“. Zugleich sorge es für Planungssicherheit für die Wirtschaft. Spott kam daraufhin schnell von den Grünen: „Putzig: Der Rädelsführer der #Klimschutzbremse begrüßt seine Verurteilung durch das Bundesverfassungsgericht“, antwortete Ex-Minister Jürgen Trittin in dem Kurznachrichtendienst.
Die FDP hält unterdessen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bundes-Klimaschutzgesetz einen „Neustart beim Klimaschutz“ für nötig. Die Entscheidung des Gerichts sei ein „Plädoyer für Langfristigkeit und Generationengerechtigkeit in der Politik“, schrieb Marco Buschmann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Bundestag, am Donnerstag auf Twitter. Zu einem Neustart gehöre ein klarer CO2-Deckel und Zertifikatehandel. „Das wirkt effektiv, langfristig und generationengerecht“, schrieb er.
Der fraktionslose Bundestagsabgeordnete Marco Bülow (PARTEI) fällte ein hartes Urteil über die Klimapolitik der Bundesregierung: „Sie können es nicht - die ‚Profis‘“, twitterte er. Bülow forderte eine entschiedene und parteiübergreifende Reaktion. Das Thema sei zu wichtig für Wahlkampf.
Update vom 29. April, 9.35 Uhr: Das Bundes-Klimaschutzgesetz greift aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts zu kurz. Die Karlsruher Richter verpflichteten den Gesetzgeber am Donnerstag, bis Ende kommenden Jahres die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 näher zu regeln. Verfassungsbeschwerden mehrerer Klimaschützer waren zum Teil erfolgreich (Az.: 1 BvR 2656/18 u.a.).
Die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden - darunter waren Vertreter von Fridays For Future - seien durch die Regelungen in dem Gesetz in ihren Freiheitsrechten verletzt, erklärten die Richter. „Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030.“
Einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur wie geplant auf deutlich unter 2 Grad und möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, sei dann nur mit immer dringenderen und kurzfristigeren Maßnahmen machbar. „Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind“, heißt es in der Erklärung. Zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit hätte der Gesetzgeber Vorkehrungen treffen müssen, „um diese hohen Lasten abzumildern“.
Bundestag und Bundesrat hatten Ende 2019 dem Klimapaket der Bundesregierung zugestimmt, nachdem Bund und Länder noch Kompromisse ausgehandelt hatten. Wesentlicher Punkt ist das Klimaschutzgesetz. Es legt für einzelne Bereiche wie Verkehr, Landwirtschaft oder Gebäude fest, wie viel Treibhausgase sie in welchem Jahr ausstoßen dürfen.
„Zweck dieses Gesetzes ist es, die Erfüllung der nationalen Klimaschutzziele sowie die Einhaltung der europäischen Zielvorgaben zu gewährleisten“, heißt es dazu vom Bundesumweltministerium. Nach dem Pariser Klimaabkommen - das die Grundlage des deutschen Gesetzes bildet - soll der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad und möglichst auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden, um Folgen des Klimawandels so gering wie möglich zu halten.
Vorbericht: Karlsruhe - Das Bundesverfassungsgericht verkündet am Donnerstag (9.30 Uhr) seine Entscheidung über Verfassungsbeschwerden gegen verschiedene Vorschriften des Bundes-Klimaschutzgesetzes. Die Umweltorganisation BUND sowie unter anderen Vertreter von Fridays for Future hatten Verfassungsbeschwerden eingereicht, weil sie die Maßnahmen zur Minderung der Treibhausgasemissionen und zur Begrenzung der globalen Erwärmung als unzureichend erachten (Az.: u.a. 1 BvR 2656/18).
Dabei handelt es sich um insgesamt vier Verfassungsbeschwerden gegen die deutsche Klimapolitik - die den Klägern nicht ausreicht.
Sie sehen ihre Grundrechte verletzt, wenn die Politik die Erderwärmung nicht ausreichend eindämmt. Die erste Klage wurde bereits 2018 vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, dem Solarenergieförderverein Deutschland und mehreren Einzelklägern eingereicht. Die beiden anderen Klagen folgten Anfang 2020, nachdem das neue Klimaschutzgesetz in Kraft getreten war.
In ihm wurde festgeschrieben, wie viel Kohlendioxid einzelne Sektoren wie Energiewirtschaft oder Verkehr in den kommenden Jahren noch ausstoßen dürfen. So soll der Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent zurückgehen, verglichen mit dem Stand von 1990.
Gegen das Gesetz klagen zahlreiche junge Menschen, unterstützt von verschiedenen Umweltschutzorganisationen. Zwei der Verfassungsbeschwerden, eine von zehn Deutschen und eine von 15 Menschen aus Bangladesch und Nepal, unterstützt die Deutsche Umwelthilfe. Eine weitere Klage von neun jungen Erwachsenen aus Deutschland wird von Germanwatch, Greenpeace und Protect the Planet unterstützt.
„Es geht um eine menschenwürdige Zukunft für die heute Jungen und nächsten Generationen“, sagte Caroline Schroeder, Referentin für die Klimaklagekommunikation bei Germanwatch, der Nachrichtenagentur AFP. „Ihre Grund- und Freiheitsrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit, aber auch auf Eigentum und Berufsfreiheit, werden verletzt, wenn die Klimakrise nicht besser eingedämmt wird.“
Unter den neun von den drei Umweltverbänden unterstützten Klägern sind Luisa Neubauer von Fridays for Future* und junge Menschen, deren Familien von Tourismus oder Landwirtschaft leben und die Auswirkungen der häufiger werdenden extremen Wetterereignisse und des steigenden Meeresspiegels fürchten. „Sie wollen den Betrieb übernehmen und wissen nicht, ob das noch möglich sein wird“, sagte Schroeder. Der Generation werde durch die Klimakrise die Entscheidungsmöglichkeit über ihre Zukunft genommen.
Die Verfassungsbeschwerde zielt darauf ab, dass das Gericht das Klimaschutzgesetz für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber zum Nachbessern verpflichtet. Aber auch eine Nichtannahmeentscheidung wäre schon ein Gewinn, wenn sie gut begründet wäre, sagte Schroeder. „Wenn Karlsruhe anerkennt, dass der Bund gewisse Schutzpflichten hat, dann könnten wir darauf aufbauen.“
Es ist nicht das erste Mal, dass sich ein Gericht mit Klimapolitik befassen muss. 2019 wies das Berliner Verwaltungsgericht eine Klage von drei Familien von Biolandwirten als unzulässig ab, die auf die Einhaltung des Klimaziels 2020 zielte. Die Berliner Richter erklärten unter anderem, dass es sich bei den Klimazielen um eine politische Absichtserklärung handle, nicht um eine rechtsverbindliche Regelung.
Im vergangenen Monat wies der Europäische Gerichtshof in Luxemburg eine Klage von Bürgern aus EU-Ländern sowie aus Kenia und Fidschi gegen das EU-Klimapaket von 2018 ab. Die Kläger seien nicht unmittelbar individuell betroffen, weswegen ihre Klage unzulässig sei, hieß es von den europäischen Richtern.
In anderen Ländern hatten Klimaklagen dagegen Erfolg: So entschied der oberste Gerichtshof der Niederlande Ende 2019, dass der Staat den Ausstoß von Treibhausgasen stärker als bislang begrenzen müsse. Das Verwaltungsgericht in Paris gab im Februar einer ähnlichen Klage von Umweltschutzorganisationen gegen den französischen Staat statt und urteilte, dass Frankreich zu wenig für den Klimaschutz tue.
Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg liegt außerdem eine Klage von acht Kindern und Jugendlichen aus Portugal gegen 33 Staaten, darunter Deutschland. Sie argumentieren, dass die Politik der betreffenden Regierungen die Erderwärmung nicht genügend eindämme und damit Waldbrände und Dürren in Portugal wahrscheinlicher gemacht habe.(afp/dpa). *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA