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Kommentar zum Fall Lübcke: Die verlorene Unschuld der AfD

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Von: Georg Anastasiadis

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Georg Anastasiadis, Chefredakteur des Münchner Merkur. © Klaus Haag

Der Fall Lübcke ist trauriger Höhepunkt einer Serie von inakzeptablen Anfeindungen und Angriffen auf Politiker. Ein Kommentar von Merkur-Chefredakteur Georg Anastasiadis.

Gewalt beginnt in den Köpfen, und sie beginnt mit Worten. Vom Aufruf des Studentenführers Rudi Dutschke 1967, „mit aller Gewalt“ gegen das herrschende politische System vorzugehen, war es nur noch ein kurzer Weg bis zum Terror der RAF. War die 68-er Bewegung also im weitesten Sinne mitverantwortlich für die späteren Morde an Buback, Ponto und Herrhausen? Dieselbe Empörung, die diese Frage bis heute in der politischen Linken hervorruft, spricht aus den Reaktionen der AfD auf den Vorwurf, mitschuld am Tod von Walter Lübcke zu sein. Aber die Partei macht es sich zu leicht mit ihren Unschuldsposen.

Die späte Distanzierung der AfD ist kaum glaubhaft 

Natürlich hat die AfD, indem sie die Grenzen des Sagbaren verschoben hat, das geistige Klima im Land verändert. Worte wie Lügenpresse, Systemparteien oder Volksverräterin (gemünzt auf die Kanzlerin) gehen ihren Leuten so flüssig über die Lippen, dass man sich nicht wundern darf, wenn manche ihrer Anhänger daraus ein „Notwehrrecht“ ableiten. Sinnbildlich dafür steht der Galgen, den ihre Vorfeldorganisation Pegida bei einer Demonstration mit sich führte und dazu „Wir sind das Volk“ skandierte. Ihre späte Distanzierung, gar der Versuch, sich als Rechtsstaatspartei an die Spitze der Aufklärer im Fall Lübcke zu setzen, sind kaum glaubhaft, ebenso wenig die Hoffnung, die AfD werde sich nun mäßigen. Ihre Führungsleute haben den Tabubruch ja gerade zum Geschäftsmodell gemacht.

Gegen die Verrohung des Diskurses, besonders in den vermeintlich straffreien Räumen des Internets, muss sich die Gesellschaft mit aller Kraft zur Wehr setzen – dabei aber penibel darauf achten, dass unter dem Banner des „Kampfs gegen Rechts“ jetzt nicht alle zu Tätern stilisiert werden, die andere Auffassungen zu Nation, Migration oder Klima vertreten als die tonangebenden Eliten. Mit solchen Wählern müssen die Parteien im Gespräch bleiben, wenn sie der AfD nicht erlauben wollen, sich wie in Görlitz als Bollwerk gegen grün-rot-schwarze „Volksfront“-Bündnisse aufzuspielen. Radikal ausgegrenzt gehören die Hassprediger.

Sie erreichen den Autor unter georg.anastasiadis@merkur.de

Lesen Sie auch: Nach Mord an Walter Lübcke: Fall gibt Rätsel auf - Warum jetzt?

Gibt es eine Neonazi-Armee im deutschen Untergrund? Journalisten und Politiker diskutierten bei „Maybrit Illner“ über den Mord an Walter Lübcke. Unter anderem fiel das Zitat: „Wir haben Netzwerke von Nazis, die töten wollen.“ Zu Gast war neben Verfassungsschützer Stephan Kramer (“rechtzeitig die Täter zu fassen, gleicht einem Lotteriegewinn“) auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der sich gegen ein Spezialgesetz für das Internet aussprach.

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