Die Vorsitzende der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann, wertete die EU-Beschlüsse als einen ersten Schritt, forderte aber weitere Strafmaßnahmen gegen Russland. "Wir müssen ein ganz klares Signal senden ans russische Regime, dass mit uns kein 'Weiter so' zu machen ist - eben auch nicht bei der Bezahlung von Gas", sagte Brandmann den Sendern RTL und ntv. Sie kritisierte, dass weiterhin riesige Geldbeträge an Russland überwiesen würden "in einer Zeit, in der Russland diesen Angriffskrieg in der Ukraine führt".
Grundsätzlich gegen das EU-Ölembargo wandte sich AfD-Chef Tino Chrupalla. Er warnte, auch das beschlossene Teilembargo werde nur dazu führen, Preise in die Höhe zu treiben. Ähnlich äußerte sich Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch. "Die Embargopolitik treibt die Ölpreise in die Höhe und führt aktuell zum gegenteiligen Effekt: Sie füllt die Staatskasse Putins", erklärte er in Berlin. Das Embargo werde zudem in Deutschland "die Inflation weiter anheizen."
Der EU-Sanktionsbeschluss aus der Nacht zum Dienstag sieht vor, dass zunächst nur Ölimporte auf dem Seeweg gestoppt werden. Einfuhren per Pipeline sollen dagegen weiter möglich bleiben. Allerdings haben sich Deutschland und Polen darauf festgelegt, diese Möglichkeit höchstens noch bis zum Jahresende zu nutzen. bk/cha
Er hat es wieder einmal geschafft: Beim EU-Gipfel in Brüssel stand Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban als Blockierer im Zentrum der Verhandlungen und der internationalen Kritik - und konnte sich am Ende doch in vielen Punkten durchsetzen. Die eigentlich geplanten Diskussionen zu Verteidigungsfragen und Hilfen für die Ukraine traten durch den Streit um das Öl-Embargo gegen Russland in den Hintergrund.
Den 27 EU-Staats- und Regierungschefs gelang es am Ende, die Blockade zu lösen. Gegen Mitternacht traten Ratspräsident Charles Michel und Kommissionschefin Ursula von der Leyen vor die Presse und verkündeten ein weitreichendes Embargo auf russische Öl-Importe. Für Budapest hatte Orban aber bedeutende Ausnahmen heraus gehandelt.
Er habe Ungarn vor einer "Atombombe" bewahrt, prahlte der Regierungschef später auf Facebook. "Der Vorschlag der Europäischen Kommission, die Verwendung von Öl aus Russland in Ungarn zu verbieten, wurde abgelehnt (...) Die Familien können heute Nacht ruhig schlafen."
Orbans Vorgehensweise ist bekannt: Für das heimische Publikum kritisiert er die "EU-Bürokraten", gegen die es die ungarischen Interessen zu verteidigen gelte. In Brüssel droht er dann mit dem Veto, das jedem EU-Mitglied in Sanktionsfragen zusteht, da dafür auf EU-Ebene Einstimmigkeit vorausgesetzt wird.
Für seine Zustimmung zum Ölembargo hatte Orban zunächst deutlich mehr Zeit und 800 Millionen Euro für den Umbau der ungarischen Infrastruktur gefordert. Die EU-Kommission machte daraufhin das Angebot, zunächst die Öl-Lieferungen per Pipeline vom Embargo auszunehmen. Diese machen für die gesamte EU rund ein Drittel der Importe aus. Für das Binnenland Ungarn, das nicht per Schiff beliefert werden kann, sind sie äußerst wichtig.
In Brüssel forderte Orban dann plötzlich zusätzliche Garantien, sollte die durch die Ukraine verlaufende Druschba-Pipeline beschädigt werden. EU-Diplomaten zeigten sich überrascht. Orban habe wohl zeigen wollen, dass er seine Veto-Drohung stets aufrecht erhalten könne, mutmaßte einer.
Aus dem Umfeld von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron war während der Verhandlungen Frustration zu spüren: "Es gibt weiterhin eine Unbekannte: Viktor Orban", hieß es. "Ich habe es aufgegeben, zu versuchen zu verstehen, was in Viktor Orbans Kopf vorgeht", sagte ein weiterer EU-Diplomat.
Am Ende erhielt Orban zwar weitgehende Zusagen. Russisches Öl darf noch jahrelang durch die Pipeline nach Ungarn geliefert werden. Zu groß war der Druck auf die EU-Chefs, angesichts des Krieges in der Ukraine Einheit zu demonstrieren.
Der Ungar musste dafür allerdings erneut die Eskalationsstufe erhöhen. Auch die Reihen seiner Verbündeten haben sich inzwischen merklich gelichtet. In Fragen der Migration hatte Orban stets eine ganze Reihe von EU-Staaten zumindest schweigend hinter seinem harten Abschottungskurs. Beim Thema Klimaschutz waren es vor allem östliche Staaten, die ebenfalls mehr EU-Geld für Investitionen forderten.
Die langjährige Duldung durch Alt-Kanzlerin Angela Merkel und die Union ging ihm spätestens mit seinem durch Austritt verhinderten Rauswurf aus der konservativen europäischen Parteienfamilie im vergangenen Jahr verloren. Eine neue politische Heimat hat seine Fidesz-Partei auf europäischer Ebene bisher nicht gefunden.
Bei der Kritik am undemokratischen Umbau der Institutionen in Ungarn konnte sich Orban stets auf Polen verlassen, das sich mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert sieht. Mit seinem russlandfreundlichen Kurs hat Budapest aber auch Warschau verprellt.
Zudem hat Orban vorerst eines seiner Ziele nicht erreicht: Frisches Geld aus Brüssel gibt es erst einmal nicht. Denn die EU-Kommission hat die Hilfen für die Energiesicherheit der Mitgliedstaaten an die Kriterien des Corona-Aufbaufonds verknüpft. Und die Corona-Milliarden für Ungarn sind eingefroren, weil Brüssel wegen umstrittener Justizreformen Sorge vor Misswirtschaft mit den ungarischen Geldern hat.
Ein Gläschen wird sich Orban nach den langen Verhandlungen am Montag vermutlich aber gegönnt haben: Am Dienstag wurde der am längsten amtierende Regierungschef eines EU-Landes 59 Jahre alt. pe/kol/ju