Kopf-an-Kopf-Rennen: Briten wählen Regierung

London - Kopf-an-Kopf-Rennen bei der Parlamentswahl in Großbritannien: Millionen Briten haben am Donnerstag über ihre nächste Regierung entschieden.
Der Ausgang der Parlamentswahl war jedoch bis zuletzt so offen wie selten zuvor. Keine der beiden großen Parteien - weder Labour noch die favorisierten Tories - konnte mit einer absoluten Mehrheit rechnen. Die kleineren Liberaldemokraten konnten sich Hoffnung machen, erstmals in ihrer Parteigeschichte auf der Regierungsbank Platz nehmen zu können. Schon am Morgen strömten Millionen Wähler in die Wahllokale. Prognosen sollten nach deren Schließung um 22.00 Uhr (23.00 Uhr MESZ) einen ersten Trend zeigen. 44 Millionen Wahlberechtigte konnten entscheiden, ob die Labour-Partei des angeschlagenen Premierministers Gordon Brown nach 13 Jahren an der Macht wieder in die Opposition muss.
Die Abgeordneten für das Unterhaus wurden in 649 Wahlkreisen gewählt - viele von ihnen waren Neulinge, weil nach dem Spesenskandal viele Parlamentsmitglieder nicht mehr angetreten waren. Zittern müssen alle Parteien: Zwar waren die konservativen Tories von Parteichef David Cameron bis zuletzt mit rund 36 Prozent der Stimmen Spitzenreiter in den Umfragen. Jedoch konnten sie nicht mit einer sicheren Regierungsmehrheit rechnen. Einen Wahlsausgang mit unklaren Mehrheiten, ein so genanntes “hung parliament“, hatte es in Großbritannien zuletzt 1974 gegeben.
Premier Brown musste derweil gewaltig um sein Amt bangen. Er kämpfte für eine vierte Amtszeit seiner Labour-Partei. Er selbst stellte sich aber zum ersten Mal in einer Wahl als Kandidat für das Amt des Premierministers, weil er vor drei Jahren seinem Vorgänger Tony Blair ungewählt nachgefolgt war. Die meisten großen Zeitungen hatten sich offen gegen Brown und Labour ausgesprochen. Die Wahl war auch deshalb so spannend, weil die Optionen danach so vielfältig sind: So könnte es sowohl zu einer Minderheitsregierung kommen, bei der sich eine der großen Parteien von kleineren regionalen Gruppen aus Schottland, Nordirland und Wales tolerieren lässt. Aber auch eine Koalition zwischen Tories oder Labour mit den Liberaldemokraten ist möglich, bei der die kleinere Partei auch Ministerämter besetzt.
Bedingung für Verhandlungen mit den “Lib Dems“ wird deren erklärter Wunsch sein, das britische Mehrheitswahlrecht mit nur einer Stimme pro Wähler zu reformieren. Denn das benachteiligt kleine Parteien extrem. Möglich war auch, dass Brown bei einer heftigen Niederlage seiner Partei abtritt und ihm ein neuer Parteichef folgt. Zünglein an der Waage könnten in jedem Fall die Liberaldemokraten werden. Die hatten sich im Wahlkampf, vor allem wegen erfolgreicher Auftritte ihres Spitzenkandidaten Nick Clegg bei drei TV-Debatten, vom Außenseiter zur echten Alternative gemausert. Die Wahllokale füllten sich schon in den Morgenstunden. “Die Wähler strömen geradezu bei uns herein, seit wir aufgemacht haben“, sagte ein Helfer in London.
Offizielle Zahlen zur Wahlbeteiligung gab es jedoch im Laufe des Tages noch nicht. Das ist eine historische Wahl, und ich möchte, dass sich etwas am System ändert“, sagte die 25 Jahre alte Wählerin Mariam Kemple in einem Londoner Wahllokal. Im Blitzlichtgewitter der Fotografen wählten die Spitzenkandidaten. Cameron konnte erst mehr als zwei Stunden später als geplant sein Kreuzchen machen, weil sich auf dem Dach seines Wahllokales in der Grafschaft Oxfordshire politische Gegner versammelt hatten. Brown musste gegen Nieselregen in North Queensferry in der Nähe des schottischen Edinburgh ankämpfen, lächelte jedoch in die Kameras. Clegg wählte in Sheffield. Alle drei brachten ihre Ehefrauen mit, wobei Cleggs Frau Miriam González Durántez als einzige nicht wählen durfte, weil sie spanische Staatsbürgerin ist. Normalerweise sind die Briten daran gewöhnt, dass sie innerhalb weniger Stunden eine neue Regierung haben.
Der Wahlsieger fährt traditionell am Tag nach der Wahl zur Queen, die ihn dann mit der Regierungsbildung beauftragt. Dann kann die neue Regierung mit der Arbeit beginnen. Am 25. Mai ist die Thronrede angesetzt, bei der die Queen das Regierungsprogramm für das erste Jahr der Legislaturperiode verliest. Am Wahltag verletzte sich der ehemalige Chef der anti-europäischen Partei UKIP, Nigel Farage, bei einem Absturz mit einem Leichtflugzeug. Farage trug bei dem Unfall Kopfverletzungen davon und musste ins Krankenhaus. Lebensgefahr bestehe nicht, sagte ein Polizeisprecher.
dpa