Russischer Widerstand gegen Putins System? Politiker fordert offen ein Ende der „Lügen“
Politischer Rückschlag für Wladimir Putin: Ein hochrangiger Politiker und Ex-Kommandeur unterstellt der eigenen Armee Lügen. Ein Wirtschaftsexperte sieht die russischen Invasionstruppen sogar am Ende.
München/Moskau - Wladimir Putin hat die ukrainischen Gebiete Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja völkerrechtswidrig annektiert. Doch die Gegenoffensive der Verteidiger im Ukraine-Krieg kann seine geschwächte russische Angriffsarmee offenbar nicht Bremsen. Anfang Oktober hatten die ukrainischen Streitkräfte die strategisch wichtige Kleinstadt Lyman im Norden der östlichen Region Donezk zurückerobert. Fotos dokumentierten erneute, offenbar schwere russische Verluste.
Widerstand gegen Wladimir Putin? Hochrangiger Politiker beklagt russische Verluste im Ukraine-Krieg
Das sorgt nun wohl auch in Moskau für Zorn. Ein hochrangiger russischer Parlamentarier hat die Armee jetzt aufgefordert, „mit dem Lügen“ über den Militäreinsatz in der Ukraine aufzuhören. „Das Volk weiß es. Unser Volk ist nicht dumm“, meinte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Duma, Andrej Kartapolow, an diesem Mittwoch (5. Oktober) im Onlinedienst Telegram. „Und es sieht, dass wir nicht bereit sind, ihm auch nur einen Teil der Wahrheit zu sagen.“ Dies könne zu einem Verlust von Glaubwürdigkeit führen, erklärte der frühere Kommandeur. Er wird unter anderem von der Bild zitiert.
Schwierig für Putin: Kartapolow, der 1963 im deutschen Weimar geboren wurde, ist ein politisches und militärisches Schwergewicht. Er sitzt nicht nur in der Duma, sondern ist seit Sommer 2018 Stellvertreter des Verteidigungsministers. Zuvor war der Generaloberst Befehlshaber des westlichen Militärbezirks.
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Offenbar sorgen die ukrainischen Erfolge bei der Gegenoffensive für Unruhe in Moskau. Nur ein Beispiel: Im der Oblast Luhansk hätten sich ukrainische Soldaten bei der Stadt Lyssytschansk festgesetzt, schreibt ein Militärsprecher der vom Kreml gelenkten Separatisten laut Kleiner Zeitung im Nachrichtendienst Telegram. Umgekehrt erklärte der ukrainische Gouverneur derselben Region, Serhij Gajdaj, bei Telegram: „Die Rückeroberung der Region Luhansk hat (...) begonnen.“ Mehrere Siedlungen seien „befreit“ worden.
Ukraine-Krieg: Verteidiger drängen russische Armee in Regionen Luhansk, Donezk und Cherson zurück
Laut ukrainischem Präsident Wolodymyr Selenskyj dringe die ukrainische Armee zudem „schnell und kraftvoll“ im Süden des Landes vor. Ortschaften im Gebiet Cherson seien wieder unter ukrainischer Kontrolle. Nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums sind bereits mehr als 61.000 russische Soldaten getötet oder verwundet worden. Ende September schätzte der britische Geheimdienst die Zahl getöteter russischer Soldaten sogar auf mehr als 55.000.
Das Volk weiß es. Unser Volk ist nicht dumm.
Der russische Verteidigungspolitiker Kartapolow schlägt nun Alarm. „Der Feind ist auf unserem Land. Alle Grenzdörfer in der Region Belgorod sind praktisch zerstört“, schrieb der ehemalige Militärkommandeur auf dem Telegram-Kanal des russischen Propagandisten Wladimir Solowjow: „Wir erfahren dies von jedem, von Gouverneuren, von Kriegsberichterstattern. Aber die Berichte des Verteidigungsministeriums bleiben unverändert.“
Ukraine-Krieg: Fehlen Russland Geld und Ausrüstung für die Teilmobilmachung?
Mehr noch: Laut einem Wirtschaftsfachmann kann Russland die angekündigte Teilmobilmachung von rund 300.000 Reservisten noch nicht einmal bezahlen. So behauptet laut Nachrichtenportal des Bayerischen Rundfunk (BR) Wladimir Milow in einem Beitrag für den im Ausland erscheinenden, russischsprachigen The Insider: „Putin hat nicht genug Geld, um den Krieg und die Mobilisierung weiter zu finanzieren.“ Selbst ein stark erhöhtes Budget von umgerechnet etwa 84 Milliarden Euro werde demnach nicht ausreichen, um die nötige Ausrüstung für die mobilisierten Soldaten anzuschaffen und ihren Sold zu bezahlen.

„Es stellt sich heraus, dass niemand diese riesige, neu rekrutierte 300.000-köpfige Truppe wirklich finanzieren oder ausstatten wird. Abgesehen von anderen Aspekten bleibt da nur ein Fazit: Eine unbezahlte und nicht versorgte Armee wird nicht kämpfen können“, meint Milow: „Tatsächlich werden die Neumobilisierten buchstäblich in den sicheren Tod geschickt – weil nicht genügend Geld für ihre Ausrüstung und Vorräte bereitgestellt wird.“ (pm)