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Lawrow schlachtet Merkel-Interview aus und behauptet: „Der Westen hat uns den Krieg erklärt“

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Von: Florian Naumann

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Eiszeit im Kreml: Angela Merkel 2017 in wenig trauter Runde mit Wladimir Putin (Mitte) und Sergej Lawrow (re.).
Eiszeit in Sotschi: Angela Merkel 2017 in wenig trauter Runde mit Wladimir Putin (Mitte) und Sergej Lawrow (re.). © Alexei Nikolsky

Angela Merkel spricht mittlerweile recht offen über die Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs. Sergej Lawrow will das nun als Beleg für eine „Kriegserklärung“ nutzen.

Moskau/München – Ein mehrere Wochen altes Interview von Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) beschäftigt den Kreml nach wie vor. Außenminister Sergej Lawrow zog die Aussagen nun im russischen Staats-Fernsehen als Beleg für eine vielbeschworene These seiner Regierung heran: Der Westen habe Russland schon vor langer Zeit „den Krieg erklärt“.

Merkel-Interview soll Russland als Munition dienen: „Der kollektive Westen ist im Krieg mit uns“

Merkel hatte am 7. Dezember in der Zeit erklärt, das Minsker Abkommen habe der Ukraine vor allem eine Schonfrist vor einem russischen Angriff beschafft. „Es war uns allen klar, dass das ein eingefrorener Konflikt war, dass das Problem nicht gelöst war, aber genau das hat der Ukraine wertvolle Zeit gegeben.“ 2014 hätte Russland das Land noch überrennen können, urteilte sie. Nach Weihnachten erneuerte Merkel diese These in einem Gespräch mit der italienischen Zeitung Corriere della Sera.

Lawrow griff nun laut der Staatsagentur Tass im TV-Kanal Rossija-1 zu einer weitreichenden Schlussfolgerung. „Der kollektive Westen, der von einer Atommacht angeführt wird – den Vereinigten Staaten – ist im Krieg mit uns“, sagte er. Dieser sei schon „vor ziemlich langer Zeit“ erklärt worden. Die Minsker Abkommen habe „niemand umsetzen wollen, wie es scheint, und Frau Merkel nun auch wieder bestätigt hat“. Ähnlich hatte sich im Dezember auch Putin selbst geäußert: Er sei stets davon ausgegangen, dass die deutsche Regierung „es ehrlich mit uns meint“.

Wie genau Lawrow aus dem angeblich wissentlich nicht umgesetzten Abkommen über eine Region der Ukraine eine buchstäbliche „Kriegserklärung“ an Russland ableitet, ging aus dem Bericht nicht hervor. Putins oberster Diplomat erneuerte aber im selben Atemzug auch russische Theorien und Vorwürfe: In der Ukraine habe es einen „von den USA orchestrierten“ und „von der Europäischen Union gestützten“ Staatsstreich gegeben, behauptete er – offenbar mit Blick auf die Maidan-Proteste im Jahr 2014.

Russland zeigt auf Merkel-Interview: Jahrelanger Streit um das Minsk-Abkommen

Merkel hatte die Sachlage rund um die Arbeit mit dem Minsker Abkommen schon im November anders geschildert. Der russische Angriff auf die Ukraine sei für sie nicht überraschend erfolgt, sagte Merkel damals dem Spiegel. „Das Abkommen von Minsk war ausgehöhlt.“ Sie habe im Sommer 2021 mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nochmals „ein eigenständiges europäisches Gesprächsformat“ mit Wladimir Putin schaffen wollen. „Aber ich hatte nicht mehr die Kraft, mich durchzusetzen, weil ja alle wussten: Die ist im Herbst weg.“ Für Putin zähle „nur Power“, erklärte Merkel.

Der Minsker Friedensplan war nach den ersten Kämpfen in der Ostukraine 2015 ausverhandelt worden. Es sah für den unter russischem Einfluss stehenden Osten der Ukraine weitreichende Verpflichtungen der Konfliktparteien vor, etwa einen Waffenstillstand, eine Sicherheitszone und den Abzug aller schweren Waffen. Die meisten wurden aber nie umgesetzt.

Minsk-Abkommen: Russland und Ukraine geben sich gegenseitig die Schuld

Russland und die Ukraine gaben sich gegenseitig die Schuld dafür – wobei sich Russland offiziell gar nicht als Konfliktpartei in den Kämpfen zwischen prorussischen Separatisten und der Zentralregierung in Kiew sah. Kiew warf Moskau unter anderem vor, Waffen über die Grenze an die Separatisten zu geben. Der Kreml monierte etwa das Ausbleiben einer ukrainischen Verfassungsreform samt eines Sonderstatus für die Gebiete Luhansk und Donezk in der Ukraine.

Nicht unwahrscheinlich scheint, dass auf beiden Seiten Kalkül im Spiel war. Der Westen spielte laut Merkel auf Zeit, um eine völkerrechtswidrige russische Annexion zu erschweren. „Das in Minsk verabschiedete Dokument ermöglicht es Russland, Kiew im nicht unwahrscheinlichen Fall des Scheiterns des Abkommens für dieses Scheitern verantwortlich zu machen“, erklärte andererseits schon 2015 der Politikwissenschaftler Wojciech Konończuk vom Zentrum für Osteuropastudien in Warschau in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung. (fn)

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