„Tiere haben mehr Rechte!“: Brandbrief aus griechischem Lager - österreichische Grüne geraten in Dilemma

Nicht nur Corona ist ein Problem in Europa: In griechischen Lagern herrschen teils verheerende Zustände. Appelle bringen die Politik unter Druck. Ganz besonders in Österreich.
Berlin/Brüssel - Die Aufmerksamkeit in der EU kreist an Weihnachten 2020 um einige wenige Themen: Das Coronavirus natürlich. Auch die Brexit-Einigung in letzter Minute machte Schlagzeilen. Doch an den Außengrenzen der Union schwelt noch eine andere Krise - aus den Geflüchtetenlagern auf der Insel Lesbos drangen zuletzt alarmierende Neuigkeiten - und dringliche Appelle, die nicht nur in Deutschland die Politik unter Druck bringen könnten.
So veröffentlichte kurz vor dem Fest die Hilfsorganisation medico international einen Brandbrief von Lagerbewohnern. Sie baten die EU-Kommission und die Bürger Europas, „uns die Rechte zu gewähren, die Tiere haben“. In dem Schreiben heißt es demnach: „Oft lesen und hören wir, dass wir in diesen Lagern wie Tiere leben müssen, aber wir denken, dass das nicht stimmt. Wir haben die Gesetze zum Schutz der Tiere in Europa studiert und herausgefunden, dass sie sogar mehr Rechte haben als wir“.
Lesbos: Schlimme Lage in griechischen Lagern - „ich wäre lieber in Syrien gestorben“
Auch Experten und Menschenrechtsorganisationen wiesen auf unerträgliche Zustände in griechischen Flüchtlingslagern hin. Manche Kinder dort seien inzwischen so verzweifelt, dass sie nicht mehr weiterleben wollten, sagte die Kinderpsychologin Katrin Glatz-Brubakk, die im Camp Kara Tepe auf Lesbos arbeitet, am Mittwoch dem Deutschlandfunk. „Ich wäre lieber von einer Bombe in Syrien gestorben, als langsam hier jeden Tag ein bisschen zu sterben“, hätten dort manche Flüchtlinge gesagt.
Die Psychologin der Organisation Ärzte ohne Grenzen warf den Behörden vor, die Geflüchteten unter menschenunwürdigen Bedingungen unterzubringen. „Es gibt keine Sanitäranlagen. Das heißt, es gibt Menschen im Lager, die haben seit drei Monaten nicht duschen können“, sagte Glatz-Brubakk. „Die Toiletten kippen um im starken Wind und da fließt der Inhalt raus“, für Kinder gebe es weder Schulen noch Spielmöglichkeiten.
Griechenlands Migrationsminister Notis Mitarakis sah sich zuletzt genötigt, Berichte zu dementieren, denen zufolge in Kara Tepe Babys von Ratten gebissen wurden. Die Vorfälle seien erfunden, teilte das Ministerium mit. Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hatte zuvor in einem Interview erklärt, es habe eine Tetanus-Impfaktion wegen entsprechender Bisse gestartet werden müssen. Ungeachtet dessen werde daran gearbeitet, die Situation zu verbessern, hieß es aus Mitarakis‘ Ressort.
Migration: 200 Duschen für 17.000 Geflüchtete in Kara Tepe - auch GroKo-Abgeordnete unterzeichnen Appell
Auf den griechischen Inseln sind weiterhin mehr als 17.000 Menschen Geflüchtete untergebracht. Im Lager Kara Tepe, das nach dem Brand des Camps Moria auf Lesbos eingerichtet wurde, befinden sich etwa 7500 Menschen. Sie teilen sich laut einem Bericht der Nachrichtenagentur dpa 400 Dixie-Klos sowie nur 200 Duschen, darunter nur einige wenige mit warmem Wasser ausgestattet.
Vor rund einer Woche hatten knapp 250 Bundestagsabgeordnete in einem fraktionsübergreifenden „Weihnachtsappell“ die Bundesregierung aufgerufen, zusätzliche Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen. Auch in diesem Appell wird auf die Aufnahmeangebote der Kommunen und mehrerer Bundesländer Bezug genommen.
Die deutsche Integrations-Staatsministerin Annette Widmann-Mauz (CDU) nannte die Berichte über die Lage in den griechischen Camps „beunruhigend“. „Es muss auch mit Blick auf den drohenden Wintereinbruch alles daran gesetzt werden, um den Menschen vor Ort zu helfen“, erklärte sie in Berlin. Dazu zähle der Bau menschenwürdiger und sicherer Unterkünfte. Widmann-Mauz begrüßte auch die erfolgte Aufnahme einiger besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge in Deutschland.
Streit über griechische Lager auch in Österreich: Grüne unter Druck
Im Nachbarland Österreich hat sich der Streit um den Umgang mit dem griechischen Lager über die Weihnachts-Feiertage verschärft. Es herrsche dort eine Notsituation, „die nach erster Hilfe ruft“, sagte Bundespräsident Alexander van der Bellen an Heiligabend. Die Zustände seien für Europa unwürdig. Zugleich veröffentlichte die drittgrößte Tageszeitung des Landes, der Standard, eine große Reportage aus dem Camp Kara Tepe.
Dem Bericht zufolge gibt es auch von ÖVP-Bürgermeistern die Forderung nach der Aufnahme von Geflüchteten - vergleichbar mit Initiativen in Deutschland. Die Partei von Kanzler Sebastian Kurz will allerdings weiter auf Hilfe vor Ort setzen, wie Integrationsministerin Susanne Raab dem Standard versicherte.
Diesen Weg lehnt allerdings zumindest die Gemeinde Mytilini ab, wie ein Berater des Bürgermeisters dem Blatt erklärte. „Niemand hat nach Geld gefragt. Wir brauchen auch keine Zelte. Nehmt Menschen von den Inseln auf!“ Politisch unangenehm ist die Situation vor allem für den Junior-Koalitionspartner - die Grünen, deren Parteibuch bis zur Wahl zum Staatsoberhaupt auch van der Bellen trug. Unter einem Weihnachts-Tweet der Partei hagelte es Kritik - „von meiner Seite wünsche ich euch allen Rückgrat zu Weihnachten“, beschwerte sich etwa ein Kommentator.
Vor einem recht wenig beachteten Problem stehen viele europäische Staaten unterdessen auch mit Blick auf Lager in Syrien, wie bei Merkur.de* zu lesen ist. (AFP/fn) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.