Linke im Chaos: Parteichefin tritt überraschend zurück - Bundesvorstand entschuldigt sich bei Opfern
Die Linke muss auf ihre Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow verzichten. Die 44-Jährige hat kurz vor mehreren Landtagswahlen ihren Rücktritt erklärt.
Update vom 21. April, 11.32 Uhr: Nach dem überraschenden Rücktritt von Linke-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow sieht der Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler seine Partei in einer schwierigen Lage. „Zu wenig Menschen in der Bundesrepublik vertrauen gerade der Linken, und da müssen wir natürlich dringend dran arbeiten“, sagte Schindler am Donnerstag im Deutschlandfunk. Damit begründete er auch seinen bereits am Mittwoch geäußerten Vorschlag, beim Parteitag im Juni einen neuen Vorstand zu wählen.
„Nach der Bundestagswahl haben wir einiges zu klären. Viele Menschen haben uns als uneindeutig wahrgenommen in zwei Fragen: beim sozial-ökologischen Umbau, den wir ja dringend benötigen, als auch bei der Außenpolitik“, sagte Schindler. Um dies zu ändern, benötige es „in der Partei und auch in der Fraktion eine neue Ausstrahlung, auch personell“. „Wir alle wissen doch, dass nicht nur Beschlusstexte entscheidend sind, sondern auch die dahinterstehenden authentischen Gesichter“, so Schindler. Dies bedeute auch, „dass die Partei sich neu zusammenfinden muss, sich geschlossen darstellen muss und auch nach vorne blicken muss“.
Zur Aufarbeitung der bekanntgewordenen Verdachtsfälle von sexuellen Übergriffen innerhalb der Partei wolle die Linke eine externe Kommission einsetzen: „Wir haben sehr ernst genommen, dass wir, obwohl wir Quotierungsregelungen haben, Frauenpläne haben, wir offenbar dort noch mehr tun müssen“, sagte Schindler. Ziel müsse sein, die Parteisatzung so zu ändern, dass Parteimitglieder, die sich übergriffig verhalten, schneller aus der Partei entfernt werden können.
Update vom 21. April, 6.12 Uhr: Die Linken-Vorsitzende Janine Wissler will die Partei nach dem Rücktritt von Co-Chefin Susanne Hennig-Wellsow (siehe Erstmeldung) vorerst alleine weiterführen. Wissler komme damit einer Bitte des Bundesvorstands nach.
Das sagte ein Parteisprecher am späten Mittwochabend nach einer Krisensitzung der Parteispitze der Nachrichtenagentur dpa. Ob die Parteispitze vorzeitig neu gewählt werden soll, blieb zunächst offen.
Der Linken-Bundesvorstand hat sich nach dem Rücktritt Hennig-Wellsows überdies für „sexualisierte Übergriffe“ in der Partei entschuldigt. Die Partei müsse ein Raum sein, in dem sich alle Mitglieder „ohne Angst, sexistisch behandelt, beleidigt oder gar mit Gewalt bedroht zu werden“, engagieren können, teilte der Vorstand am späten Mittwochabend mit. Er beschloss zudem „einstimmig“ eine Handlungsstrategie.
Linke-Chaos im Wahljahr: Hennig-Wellsow tritt überraschend zurück – Gysi spekuliert über Gründe
Erstmeldung vom 20. April: Berlin/Erfurt – Die Linke* steht im Superwahljahr 2022 vor dem nächsten Problem: Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow hat am Mittwoch (20. April) ihren Rücktritt erklärt. „Ich stelle heute mein Amt als Parteivorsitzende der Linken mit sofortiger Wirkung zur Verfügung“, schrieb Hennig-Wellsow auf ihrer Homepage.
„Wir haben zu wenig von dem geliefert, was wir versprochen haben. Ein wirklicher Neuanfang ist ausgeblieben“, erklärte sie in dem Text. Als Gründe nannte sie neben ihrer privaten Lebenssituation als Mutter eines achtjährigen Sohnes auch eine notwendige „Erneuerung“ der Partei und Defizite der Linken beim Umgang mit Sexismus.
Linke-Chefin Hennig-Wellsow tritt zurück - auch in NRW droht ein Wahldebakel
Am Freitag waren mutmaßliche Fälle sexualisierter Gewalt in der hessischen Linkspartei öffentlich geworden. Es gebe verschiedene Dokumente mit Hinweisen auf „mutmaßliche Grenzüberschreitungen, Machtmissbrauch und eine toxische Machokultur“, schrieb der Spiegel nach Gesprächen mit zehn Frauen und Männern.
Die Linke steckt allerdings auch politisch in einer tiefen Krise. Bei der Bundestagswahl im Herbst hatte die Partei nur dank dreier Direktmandate den Einzug ins Parlament geschafft, bei der Wahl im Saarland setzte es einen weiteren herben Schlag. In den kommenden Wochen steht neben Schleswig-Holstein auch die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen* ins Haus. Umfragen zufolge droht der Linken auch hier der Sturz unter die Fünfprozenthürde*.
Hennig-Wellsow gibt Linke-Chefposten überraschend auf - Entschuldigung zum Abgang
Hennig-Wellsow war erst seit Ende Februar 2021 als Linke-Chefin im Amt. Neben der Co-Vorsitzenden Janine Wissler vertrat sie den moderateren Flügel der Partei — und den starken Ost-Flügel der Linken. Größere bundesweite Bekanntheit hatte Hennig-Wellsow 2020 erlangt, als sie dem mit AfD-Stimmen zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählten FDP-Politiker Thomas Kemmerich* demonstrativ einen Blumenstrauß vor die Füße warf.
Die frühere Eisschnellläuferin räumte am Mittwoch auch ein, sie sei mit dem in ihrer Amtszeit Erreichten nicht zufrieden. „Das Versprechen, Teil eines Politikwechsels nach vorn zu sein, konnten wir aufgrund eigener Schwäche nicht einlösen“, schrieb sie mit Blick auf die Lage im Bundestag. Auch ein „wirklicher Neuanfang“ sei ausgeblieben: „Eine Entschuldigung ist fällig, eine Entschuldigung bei unseren Wählerinnen und Wählern, deren Hoffnungen und Erwartungen wir enttäuscht haben.“ Übernehmen sollten nun Menschen, die den Parteianhängern „wieder Mut machen“.

Linke in Führungskrise: Grüne bekundet „Respekt“ für Hennig-Wellsow
Nach Ansicht des ehemaligen Linken-Fraktionschefs Gregor Gysi war Hennig-Wellsow, „in ihrer Funktion nicht glücklich“. Er nehme ihre Entscheidung mit Respekt zur Kenntnis, sagte Gysi dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der heutige außenpolitische Sprecher der Fraktion fügte hinzu, Hennig-Wellsow „ist auch nicht glücklich gemacht worden“.
Co-Chefin Wissler äußerte sich zunächst nicht. Auf dem Twitter-Account der Linken hieß es am Mittwoch zum Rücktritt Hennig-Wellsows: „Wir bedauern diese Entscheidung sehr. Der Parteivorstand wird heute Abend und am Wochenende über die weiteren Schritte beraten.“ Der Bundesgeschäftsführer der Partei, Jörg Schindler, schrieb, er werde vorschlagen, dass auf dem schon lange geplanten Parteitag im Juni der Parteivorstand neu gewählt werde.
Die Leipziger Grüne-Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta bekundete auf Twitter „großen Respekt“ für die Entscheidung Hennig-Wellsows. Sie verknüpfte ihr Lob aber auch mit einem Seitenhieb auf die Linke: „Es sind immer die pragmatischen Linken, die wirklich für progressive Mehrheiten streiten statt sie verhindern zu wollen, die gerade ihre Funktionen in der Linkspartei verlieren.“
Erst vergangene Woche war mit Grüne-Familienministerin Anne Spiegel eine andere prominente Politikerin zurückgetreten. Auch im Falle Spiegels spielte die familiäre Lage eine Rolle – wenn auch unter gänzlich anderen Vorzeichen. Die Grünen haben bereits eine Nachfolgerin gefunden. Der Linken blüht nun eine neue Personaldebatte. (fn) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.