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Merkel-Satz entwickelt Eigenleben: Seehofer macht Dampf für Gipfel-Entmachtung

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Von: Florian Naumann

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Die Corona-Gipfel entscheiden über die Pandemie-Bekämpfung in Deutschland - noch. Nach einer Drohung Angela Merkels nimmt die Debatte über ihr Aus schnell Fahrt auf.

Berlin/München - Auf allzu markige Worte wollte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntagabend bei „Anne Will“ offenkundig verzichten. Wer genau hinhörte, konnte aber doch eine klare Drohung vernehmen: Sollten die Ministerpräsidenten nicht mit Ausgangssperren und Kontaktverboten durchgreifen - dann könnte auf den womöglich letzten Metern der Pandemie das viel kritisierte Konstrukt der Corona-Gipfel doch noch fallen.

Es wäre eine kleine Klatsche für die Landeschefs, die damit als Bremsklotz der Corona-Bekämpfung ausgemacht wären. Nichtsdestotrotz haben sich einige von ihnen schon auf Merkels Seite geschlagen und sich für ein Eingreifen des Bundes ausgesprochen - darunter Markus Söder (CSU) und der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Richten müssten es in diesem Fall der Bundestag und ein Gesetz. Pikanterweise gibt es dabei in einem Punkt Zweifel an Merkels Haltung: Womöglich ließe sich auf diesem Wege sogar komplett ohne Länder „durchregieren“. Die Kanzlerin hatte bei „Will“ betont, es brauche immer die Zustimmung der Bundesländer, zumindest im Bundesrat.

Corona-Gipfel vor dem Aus? Merkel erhöht bei „Will“ den Druck auf Landeschefs - Seehofer will Nägel mit Köpfen

Merkel hatte in dem ARD-Talk ein beherztes Durchgreifen der Ministerpräsidenten angemahnt. 14 Tage lang bis zum nächsten Gipfel werde sie sich jedenfalls steigende Corona-Fallzahlen nicht tatenlos ansehen. Merkel nannte die krachend gescheiterte letzte Ministerpräsidenten-Konferenz auch eine Zäsur - und brachte eine Alternative ins Spiel: „Das Infektionsschutzgesetz noch mal anzupacken und ganz spezifisch zu sagen, was muss in welchem Fall geschehen.“

Zustimmung kam schnell von CSU-Chef Markus Söder: „Ich hätte mir mehr Kompetenzen des Bundes über das Infektionsschutzgesetz vorstellen können, das die Länder auch zu klaren Regeln zwingt. Ich bin da sehr dafür und offen“, sagte der CSU-Chef - unmittelbar nach Merkels Interview - in den ARD-“Tagesthemen“. Söder hatte zuletzt zumindest Justierungen am Gipfelkonzept gefordert.

Möglich scheint nun, dass Merkels Gedankenspiel nach einem Jahr des Haderns mit den Corona-Gipfeln unerwartet schnell Realität wird. Innenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte der Süddeutschen Zeitung am Montag, man müsse jetzt „als Bundesregierung handeln“. Der Bund habe seit jeher die Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich, es müsse lediglich davon Gebrauch gemacht werden. Der Minister erklärte, es sei sowohl ein Update für das Infektionsschutzgesetz als auch ein zusätzliches Gesetz denkbar.

Seehofer ging zugleich mit den Corona-Gipfeln der Ministerpräsidentenkonferenz hart ins Gericht. „Dieses Verfahren kann man so nicht weitermachen“. Er führte zur Begründung auch seit langem von der Opposition vorgebrachte Argumente an: So könne eine Befassung von Bundestag und Bundesrat mit dem Thema die „Qualität“ der Beratungen und die Legitimität der Beschlüsse erhöhen.

Merkel bald weniger auf Ministerpräsidenten angewiesen? Bundestag wohl offen - Grüne macht Söder Vorwürfe

Bei Teilen des Bundestags schienen Merkel und Seehofer am Montag jedenfalls offene Türen einzurennen. „Hat sich seit Herbst 2020 abgezeichnet, dass es notfalls so kommen muss. Von mir aus sofort, auch per Sondersitzung“, twitterte etwa der SPD-Abgeordnete Detlef Müller. Die SPD-Fraktionsspitze zeigte sich nur ein wenig vorsichtiger: „Ich bin mehr als überrascht von den Überlegungen der Kanzlerin, das Infektionsschutzgesetz zu ändern“, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese der dpa. „Wir als SPD-Fraktion haben lange auf Änderungen gedrängt und sind dabei stets auf Widerstand in der Union und besonders im Kanzleramt gestoßen.“ 

Die bayerische Grüne-Politiker Manuela Rottmann betonte auf Twitter, sie habe bereits Anfang März klare Vorgaben im Infektionsschutzgesetz angemahnt - vor allem die Union habe sich gesperrt: „Jetzt stellt sich dieser Markus Söder hin und bedauert, dass der Bund nicht mehr im #IfSG geregelt hat. Schäbig.“ FDP-Chef Christian Lindner forderte schnelle Klarheit über Merkels Pläne, signalisierte aber Bereitschaft zur Zusammenarbeit: „Sollten Union und SPD eine Sondersitzung des Bundestages für nötig halten, würden wir uns dem nicht verschließen.“

Auch aus den Ländern abseits Bayerns gab es Zustimmung: „Man kann es im Infektionsschutzgesetz festlegen - ist mir auch recht - Hauptsache, es ist ein einheitlicher Rahmen“, sagte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow dpa. Ramelow betonte, seine Landesregierung erwarte seit Februar von der Bundesregierung, dass ein deutschlandweit einheitlicher Stufenplan beschlossen werde. Dies sei dem Bund auch schriftlich mitgeteilt worden. „Das Kanzleramt ist seit Februar gefordert, den Rahmen- und Stufenplan einfach abzuschreiben. Das könnte ein Praktikant machen - die bestehenden Stufenpläne aus Deutschland übereinanderlegen und dann gucken, ob das den Regeln entspricht, die das Kanzleramt sich wünscht“, sagte Ramelow.

Corona-Gipfel: Infektionsschutzgesetz wäre Alternative - Staatsrechtler sieht beste Möglichkeiten

Das Infektionsschutzgesetz gibt dem Bund eigentlich weitreichende Spielräume zur Pandemiebekämpfung. Während einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, die derzeit laut Bundestagsbeschluss besteht, kann Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) unter anderem Preise für wichtige Medizinprodukte festsetzen und deren Ausfuhr verhindern sowie Vorschriften für Krankenhäuser und Apotheken „zur Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung“ erlassen.

Die bekannten Einschränkungen des Alltags wie Kontaktbeschränkungen und Schließung von Geschäften und Restaurants sind hingegen Ländersache. Laut dem Gesetz sind sie verpflichtet, beim Überschreiten bestimmter Corona-Kennzahlen tätig zu werden - wie genau, ist jedoch nicht festgelegt. Hier könnte eine Neuerung ansetzen - mit sehr genauen Vorgaben, die die Länder dann umsetzen müssen.

Der Staatsrechtler Christoph Möllers erklärte dem Spiegel bereits vor einigen Wochen, mit einer vom Bundestag verabschiedeten Änderung im Infektionsschutzgesetz oder mit einem eigenen Bundesgesetz wäre es für Merkels Regierung möglich, „den Lockdown per Rechtsverordnung bundeseinheitlich anzuordnen“: „Bisher sind dazu die Landesregierungen ermächtigt, aber das ließe sich problemlos ändern.“ Eine Bundesratszustimmung brauche es dafür nicht, urteilte Möllers - der Bund habe ohnehin die Gesetzgebungskompetenz bei der Bekämpfung von Pandemien bei Mensch und Tier.

Corona-Politik in Deutschland: Söder und Laschet könnten Teile ihrer Macht verlieren

Ein parteipolitisch brisanter Aspekt einer möglichen Kompetenzverlagerung auf den Bund: Merkel würde damit ihre zwei Unions-Nachfolgekandidaten, Markus Söder und Armin Laschet, in der Krise teil-entmachten - schon der Flop des jüngsten Corona-Gipfels hatte die beiden Partei- und Landeschefs nicht gut aussehen lassen.

Laschet hatte nun schon am Sonntagabend eine Schelte Merkels für eine nicht konsequente Umsetzung der Corona-Notbremse über sich ergehen lassen müssen. Zumindest Ramelow rückte am Montag dann auch Söder in den Kreis der Quertreiber unter den Ministerpräsidenten. Bayern habe die Baumärkte ohne jegliche Rücksprache mit seinen Nachbarländern geöffnet. „Das war ein Affront gegen Baden-Württemberg und ein Affront gegen Thüringen“, sagte Ramelow. In der Kanzler-Frage macht Söder zuletzt offenbar dennoch Punkte gut - auch bei CDU-Politikern. (fn/dpa/AFP)

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