Wirtschaftsexperte warnt bei „Maischberger“ vor Pleitewelle – „Die sind für immer weg“

Zwei Frauen aus Mariupol schildern Sandra Maischberger den Schrecken des Krieges. Ein DIW-Experte gibt Ausblick auf die Möglichkeiten in der Energiekrise.
Berlin – Kabarettist Florian Schroeder arbeitet sich in der Experten-Runde des ARD-Talks „Maischberger“ an Bundeskanzler Olaf Scholz‘ „Doppel-Wumms“ ab. „Infantil“ sei diese Sprache, urteilt der Satiriker und fährt ironisch fort: „Man wartet darauf, dass Putin in der Ukraine Ritzeratzedong macht“. Ernst gemeint ist dagegen seine darauffolgende Analyse: „Darin zeigt sich eine Auffassung von Politikern, wie die Wähler oder das Volk wahrzunehmen sind, nämlich als Kinder, denen man Erwachsenensprache nicht mehr zumuten kann. Man hat das Gefühl, man muss nur zu ,Burger King’, holt sich was ab und dann ist alles gut.“ Schroeder hält das für grundfalsch: „Ich würde mir ein bisschen mehr Erwachsenheit wünschen.“
Sehr viel Erwachsenheit muss die Schülerin Xenia Fomina aus Mariupol in ihrem jungen Leben bereits an den Tag legen. Sie schildert in perfektem Deutsch ihre bereits zweimalige Flucht vor den russischen Truppen. Als Siebenjährige floh sie mit ihrer Familie aus der Donbass-Region, ihre Familie ließ dort Haus und Besitz zurück. In Mariupol schaffte die Familie den Neuanfang, bis sie Anfang des Jahres erneut vertrieben wurde. „Ich kann nicht sagen: Ist das wirklich in der Realität passiert, oder war das ein Alptraum?“, berichtet Fomina, die nun in Ostfriesland die Gesamtschule Wittmund besucht – dank des dortigen Schulleiters Reinhard Aulke, der den Angehörigen seiner Partnerschule in Mariupol half, dem Krieg zu entkommen.
„Maischberger“: Lehrerin und Schülerin schildern ihre Flucht aus dem Bunker in Mariupol
Auch ihre Lehrerin Viktoria Bakhur, die neben Fomina sitzt, floh im „kaputten Auto mit neun Insassen“ aus der lange umkämpften Stadt. Auf der Flucht hätten „ständige Bombenangriffe“ sie begleitet: „Du hörst die Flugzeuge, raus aus dem Auto, auf den Boden, Gesicht nach unten. Die Bomben fallen im Radius von vielleicht einem Kilometer. Dann zurück zum Auto und weiter. Für eine Reise von vier, fünf Stunden waren wir zwei Wochen unterwegs.“

Fomina harrte vor ihrer Flucht zwei Wochen im Bunker - in „Dunkelheit und Kälte“ - aus: „Mit nur einer Kerze“. Alle seien krank gewesen, schwangere Frauen hätten dort ohne medizinische Hilfe ihre Kinder zur Welt bringen müssen. Die Kinder in dem Schutzraum hätten ohne Pause geschrien, dazwischen seien die „leisen Gebete von Eltern“ zu hören gewesen, die nur noch „ihre Hoffnung hatten, dass wir irgendwann rauskommen“. Doch als sie endlich wieder ans Tageslicht kommen konnten, sei von der einst „wunderschönen Stadt am Meer“ nichts mehr übrig gewesen, außer „einem Steinhaufen“, so Fomina.
Ans Aufgeben denken die beiden Frauen dennoch nicht. Sie sind sicher, dass sich das Blatt wenden wird. „Die Ukraine ist ein sehr starkes Land mit einem sehr starken Volk“, so die Schülerin. „Wir kämpfen, und wir werden bestimmt gewinnen.“ Auch ihre Lehrerin ist voll Zuversicht: „Ich bin sicher, die ukrainische Armee schafft das.“
„Maischberger“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Prof. Marcel Fratzscher - Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)
- Hermann-Josef Tenhagen - Chefredakteur Finanztip
- Viktoria Bakhur - Deutschlehrerin, floh aus Mariupol nach Ostfriesland
- Xenia Fomina - Schülerin, floh aus Mariupol nach Ostfriesland
Als Experten:
- Florian Schroeder - Kabarettist und Moderator
- Eva Quadbeck - stellvertretende Chefredakteurin des Redaktionsnetzwerk Deutschland
- Jan Fleischhauer - Focus-Autor
Vor dem Hintergrund der Flucht und der Angst vieler Menschen in der Ukraine klingen die finanziellen Probleme in Deutschland fast überschaubar. Finanztip-Chef Hermann-Josef Tenhagen will mit Ratschlägen zeigen, dass den Verbrauchern Spielraum bliebe; die soziale Absicherung in Deutschland sei stark. Nach dem Motto „gewusst wie“ rät der Verbraucherschützer unter anderem allen Kleinverdienern, die nun eine fette Energie-Rechnung präsentiert bekämen, sich für diesen Monat beim Jobcenter anzumelden und Hartz IV zu beantragen, da die Bundesagentur diese Kosten übernehmen müsse.
Auch sein nächster Tipp zielt darauf, Kunden zu entlasten und den Schwarzen Peter der Politik zuzuschieben: Verbraucher, so Tenhagen, sollten darauf bestehen, ihre Energie beim Grundversorger zu beziehen, das würde die Preise zwar „verdoppeln, aber nicht vervierfachen“. Das den Kommunen drohende Überlastungsproblem müsse die Politik lösen. Da Industrie und Verbraucher derzeit um Energie, vor allem um Gas, auf dem Markt kämpften, rät Tenhagen aber grundsätzlich jedem Haushalt zum Sparen, um einen Anteil dazu beizutragen, dass der Markt sich beruhige.
Energiekrise bei „Maischberger“: DIW-Präsident sieht viele Unternehmen vor dem Aus
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, ist überzeugt, dass sich der hohe Inflationswert um die neun Prozent auch im kommenden Jahr „weiter fortsetzen wird“, da ein Teil der „hohen Energiekosten“ noch nicht an die Verbraucher weitergegeben wurde. Fratzscher bemängelt an der „höchst unsozialen Inflation“, dass dabei Menschen mit wenig Einkommen „prozentual viel mehr für den Lebenserhalt aufbringen müssen“ als Besserverdiener. Die Einführung des Mindestlohnes kommt laut Fratzscher sechs Millionen Menschen in Deutschland zu Gute, die Lohnentwicklung steige damit dennoch nur um vier bis fünf Prozent. Das reiche nicht aus, um die Inflation auszugleichen. Da zeitgleich auch die Preise anstiegen, treffe der Umstand vor allem Klein- und Mittelverdiener – „Vier-Personen-Haushalte mit 3000 Euro Brutto-Einkommen“ – besonders „hart“.
Auch vielen Unternehmen, vor allem jungen und kleinere Betrieben, prognostizieren die beiden Experten ein Aus. Deutschland stehe im globalen Wettbewerb. Doch die Wettbewerber im Rest der Welt hätten derzeit viel niedrigere Energiekosten, sie drohten Deutschland den Rang abzulaufen. Noch dazu habe die Konkurrenz im Ausland Planungssicherheit. Fratzscher: „Die Sorge ist, wenn viele Unternehmen pleitegehen, dann ist das ein permanenter Schaden. Die sind dann für immer weg.“ Daher sei es Aufgabe der Politik, diese Unternehmen nun bei ihrem „Weg in die Transformation“ zu unterstützen. Die Entlastungspläne der Ampel drohen allerdings zur Hängepartie zu geraten.
Fazit des „Maischberger. Die Woche“-Talks
Höhepunkt der Sendung waren die Schilderungen der beiden geflüchteten Frauen aus der derzeit von Russland annektierten ukrainischen Hafenstadt Mariupol. Lehrerin und Schülerin, deren zerbombte Schule Schlagzeilen gemacht hatte, schilderten tapfer, wie sie in den Kellern über Wochen Kälte, Dunkelheit, Bomben und Krankheit trotzten. Die beiden Frauen konterkarierten damit die zweite Gesprächsrunde mit den männlichen Energie-Experten. Der Bevölkerung sei mehr „zuzutrauen“, hatte Kabarettist Florian Schröder zu Beginn des Talks gesagt. Die Sendung schlug in diese Kerbe. (Verena Schulemann)