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„Grosny oder Aleppo, so sieht Mariupol aus“: Leichen auf der Straße, Flucht unmöglich - erschütternde Berichte

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Von: Linus Prien

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„Es gibt viele Leichen auf der Straße und niemand begräbt sie“: Die Lage im von Russland eingekesselten Mariupol ist dramatisch. Der Vize-Bürgermeister zieht einen dramatischen Vergleich.

Mariupol - Mariupol ist in Not. Russland beschießt im erschreckend eskalierten Ukraine-Konflikt die strategisch wichtige Stadt am Asowschen Meer seit zehn Tagen ununterbrochen mit Artilleriegranaten und Raketen, wie der Stadtrat Petro Andriuschtschenko berichtet. Die Militärverwaltung schätzt, dass mindestens 1200 Menschen getötet wurden. Unter den Trümmern werden allerdings noch viel mehr Tote befürchtet. Die Stadt ist von russischen Truppen eingekesselt.

 Mariupol im Ukraine-Krieg - Vize-Bürgermeister klagt: „Die Stadt existiert eigentlich nicht mehr“

„Die Stadt existiert eigentlich nicht mehr“, sagte der Vize-Bürgermeister von Mariupol, Sergej Orlow, am Freitag im ARD- „Mittagsmagazin“. Er beschuldigt die russische Armee, die Menschen aus Mariupol an der Flucht zu hindern: „Die Stadt ist unter ständigem Beschuss und Bombardement von Flugzeugen und Raketenbeschuss durch die russische Armee und außerdem haben sie die Stadt von allen Richtungen abgeschnitten“. Der Zugang zur Stadt sei auch für Medikamente-Lieferungen oder andere humanitäre Hilfen versperrt.

Orlow griff zu einem Vergleich mit einigen der schlimmsten Kriegsverheerungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte: „Die Bilder von Grosny und von Aleppo - so sieht Mariupol im Augenblick aus“, sagte er. Auch in vielen anderen Städten der Ukraine wird im Krieg in diesen Tagen weiter gekämpft.

Mariupol: Einrichtung von Fluchtkorridoren gescheitert

In Mariupol gibt es Informationen aus der Ukraine zufolge kein Wasser, kein Gas, keinen Strom und fast nichts mehr zu essen. Und auch kaum noch Handyempfang. Mehrere Versuche, einen Fluchtkorridor für die Zivilbevölkerung und zur Versorgung mit Hilfsgütern einzurichten, scheiterten zuletzt: Die Ukraine wirft Russland vor, die vereinbarte Waffenruhe zu brechen. Am Mittwoch sorgte ein Angriff auf eine Kinder- und Geburtsklinik in der Stadt international für Entsetzen. Derzeit sollen 200.000 Menschen darauf warten, dem Krieg in Mariupol entfliehen zu können.

Einen Einblick in verzweifelte Fluchtversuche bot am Freitag der Bericht einer ukrainischen Journalistin für die taz. Mehrere Hundert Menschen konnten ihr zufolge Mariupol verlassen - allerdings nur über abenteuerliche Umwege und unter großer Angst. Ein katholischer Priester, der sich auch im Konvoi befand, schilderte in der taz die Flucht: „Die Wagen waren voll besetzt. Frauen mit Kindern, Schwangere, Alte ….“

Nachdem man drei Posten passieren konnte, kam der Konvoi schließlich zum Halt, heißt es in dem Artikel. Der Grund dafür waren russische Soldaten, die keine Männer haben passieren lassen. Da keine der Frauen einen Führerschein besaß, sei der Tross für fünf Stunden stillgestanden. Schließlich wurde den Flüchtenden angeboten, in einem anliegendem Dorf zu schlafen.

Trotz der Furcht vor einer drohenden Erschießung am Zielort sei man dem Angebot gefolgt, den Flüchtenden sei bei Einbruch der Dunkelheit keine andere Wahl geblieben. Die Einheimischen hätten dem Konvoi Wege gezeigt, über die russischen Checkpoints umfahren werden konnten.

Mariupol: Große Not in der Ostukraine - „Es gibt viele Leichen auf der Straße und niemand begräbt sie“

Der Nachrichtenagentur AFP schilderte eine Betroffene unterdessen die Lage ihrer Angehörigen in Mariupol. Ihre Schwiegermutter berichte von unablässigen Angriffen und von vielen Toten, sagte die Frau namens Julia. „Es gibt viele Leichen auf der Straße und niemand begräbt sie. Sie liegen dort tagelang. Manchmal werden sie eingesammelt und in einem großen Grab verscharrt.“

Die 29-Jährige arbeitete bis vor Kurzem als Lehrerin in Mariupol. Sie und ihr Mann gehören zu den wenigen Einwohnern, denen die Flucht vorbei an russischen Kontrollposten gelang. Das war am 3. März. „Auf der Straße sahen wir ausgebrannte Autos, einige lagen umgestürzt am Straßenrand“, berichtete sie. „Zwei Kilometer vor Mariupol sahen wir Russen, deren militärische Ausrüstung mit dem Buchstaben ‚Z‘ gekennzeichnet war. Wir dachten, das wäre unser Ende, dass sie uns töten würden.“

Auch Jana Karban versuchte zuletzt verzweifelt, ihre Eltern in Mariupol zu erreichen. Ihr selbst gelang am zweiten Tag des Krieges die Flucht von Kiew über Polen nach Zürich, doch ihr Vater und ihre Mutter müssen in der belagerten Stadt ausharren. Am 2. März hat die 30-Jährige zuletzt direkt mit ihnen gesprochen. Das jüngste Lebenszeichen erreichte Karban über Nachbarn und deren Tochter, die ihr eine Nachricht ihrer Eltern weiterleiteten.

„Es ist eine totale Katastrophe in dem Gebäude. Sie wurden gerade beschossen und acht Wohnungen standen in Flammen“, fasste Karban die Botschaft zusammen. „Meine Eltern wollen die Stadt verlassen, aber es ist unmöglich, da sie überall beschossen werden, es ist unmöglich, auch nur aus dem Haus zu kommen.“

Große Sorge gibt es indes auch um die Menschen in Kiew: Großbritannien rechnet mit einer russischen Offensive auf die Stadt noch in den kommenden Tagen. (AFP/lp)

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