Trittin verteidigt Baerbock bei „Lanz“: „Sie hat damit vielen aus der Seele gesprochen“

Deutschland will außenpolitisch Stärke signalisieren, ohne seine Wirtschaftsbeziehungen zu gefährden. „Markus Lanz“ fragt, wie dieser Spagat gelingen soll.
Hamburg – Vor fast genau einer Woche hat die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock im Europarat wortwörtlich erklärt, dass wir (als Europäer) einen Krieg gegen Russland führen. Dieser Satz, der darauf abzielte, der Ukraine zusätzliche Unterstützung zukommen zu lassen, löste ein mediales Beben im In- und Ausland aus. Parteigenosse Jürgen Trittin verteidigt Baerbock für ihre Aussage bei Markus Lanz.
„Sie hat damit vielen aus der Seele gesprochen“, sagt der Grünen-Politiker, der zugleich einräumt: „Ich glaube, sie ist selber nicht glücklich über diesen Satz.“ Die Menschen hätten laut seiner Aussage aber verstanden, was Baerbock zu vermitteln versuchte. Bundeskanzler Olaf Scholz musste die Erklärung dennoch öffentlich einordnen, weshalb Lanz fragt, wer von beiden gerade für die deutsche Außenpolitik verantwortlich ist.
„Sie ergänzen sich gut“, versucht es Trittin mit einer diplomatischen Antwort. Der Moderator lässt ihn damit allerdings nicht vom Haken und kritisiert sowohl das Kanzleramt als auch das Außenministerium für die fehlende Abstimmung. „Das ist es, was das Land gerade nicht braucht“, so Lanz. Eine passende Erwiderung bleibt Trittin schuldig.
Trittin windet sich bei der Frage nach Kampfjet-Lieferungen
Wenn es um die Waffenlieferungen in die Ukraine geht, gibt Deutschland ein ebenso schlechtes Bild ab. Nach langem Zögern werden nun doch deutsche Leopard-Panzer geliefert. Die Zusicherung von Kampfjets bleibt hingegen aus – auch bei Jürgen Trittin, der auf Nachfrage jedoch Bedingungen für die Lieferungen deutscher Kampfjets nannte. Zu denen gehört unter anderem, dass Deutschland keine Kriegspartei wird.
Sinologin Janka Oertel fragt anschließend, an welchem Punkt wir China als Kriegspartei bezeichnen. Die Volksrepublik stabilisiere in ihren Augen immerhin die russische Wirtschaft, die durch europäische Sanktionen eigentlich geschwächt werden sollte. Mit Bezug auf die in der Runde häufig erwähnte „werteorientierte Außenpolitik“ regt Oertel an, China ebenfalls zu sanktionieren.
Dafür erntet sie sofortigen Gegenwind. Journalistin Ursula Weidenfeld erinnert etwa daran, dass wir eine Exportnation seien und deshalb so zahlungskräftige Abnehmer wie China benötigen würden. Zudem kreidet sie deutschen Unternehmen an, zu wenig Investitionen zu wagen, was zu einem Substanzverlust führe. Als Lanz nachhakt, ob die Folgen dafür absehbar seien, antwortet Weidenfeld trocken: „Das betrifft 80 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland.“ Kleine und mittelständische Betriebe würden dies am meisten zu spüren bekommen.
Ex-Siemens-Chef: „Wir haben alle versagt“
Der hiesige Arbeitsmarkt ist also stark auf die Wirtschaftsbeziehungen, die Deutschland zu anderen Nationen pflegt, angewiesen. Dies dürfe laut Joe Kaeser, dem langjährigen Siemens-Vorstandschef, jedoch kein Grund mehr für die Abhängigkeit von einzelnen Ländern sein. Mit Blick auf die Gasabhängigkeit von Russland trifft der Manager beispielsweise ein knallhartes Urteil: „Wir haben alle versagt.“ Damit adressiert er wohl Politik und Wirtschaft gleichermaßen. Es müsste in Zukunft der Spagat zwischen einer interessenorientierten und einer werteorientierten Außenpolitik gelingen.
„Markus Lanz“ - das waren seine Gäste am 02. Februar
- Jürgen Trittin, Politiker (Bündnis 90/Die Grünen)
- Joe Kaeser, Ex-Siemens-Vorstandschef
- Ursula Weidenfeld, Journalistin
- Janka Oertel, Sinologin
Kaeser nimmt danach noch einmal den Faden von Ursula Weidenfeld auf und spricht die fehlende Investitionsbereitschaft deutscher Firmen an. In seinen Augen müsse die Bundesregierung eine bessere Grundlage hierfür schaffen. „Wir brauchen mehr Anreize für Investitionen“, verlangt der Manager.
Trittin stimmt dieser Forderung zu und kritisiert die Politik für das Verschlafen wirtschaftlicher Trends. Zudem erwähnt er, dass beispielsweise die Photovoltaik-Industrie florierte, bis sie durch politische Aussagen zerstört wurde.
Der Fachkräftemangel wird angezweifelt
Um die deutsche Wirtschaft weiterhin auf Kurs zu halten, wird von Experten die Zuwanderung von Fachkräften empfohlen, da diese bei uns nicht ausreichend ausgebildet werden. Weidenfeld glaubt indes nicht an ein Defizit. „Wenn es einen Fachkräftemangel gäbe, müssten die Löhne steigen wie verrückt. Tun sie aber nicht.“
Weidenfeld sieht in den Subventionen die größere Gefahr für das Wirtschaftswachstum, weil zahlreiche Unternehmen auf diese Förderungen warten, bevor sie in ihre Unternehmen investieren. Markus Lanz fragt, wie Unternehmen dann vom deutschen Wirtschaftsstandort überzeugt werden können. Im Windenergiesektor müsste es doch beispielsweise genügend Nachfrage hierzulande geben.
Kaeser räumt unverzüglich mit diesem Vorurteil auf. „Das Potenzial ist riesig, die Nachfrage ist Null.“ Die Planungen für Windenergie-Konzepte laufen auf Hochtouren, Ausschreibungen gäbe es aber kaum. Die Energiewende sollte laut Kaeser als langfristiges Projekt betrachtet werden, das noch mindestens acht bis zehn Jahre in Anspruch nimmt.
Aufgrund der hohen Nachfrage kommt Weidenfeld außerdem zu folgendem Urteil: „Deutschland wird immer ein Energieimportland sein.“ Sie bezeichnet die Diskussionen über niedrigere Energiepreise im Ausland deshalb als nicht zielführend. Die deutsche Wirtschaft sei überdies viel stärker als ihr Ruf, wie sie in den zurückliegenden Krisen bewiesen hat.
„Markus Lanz“ – Das Fazit der Sendung
In der Runde herrschte Einigkeit darüber, dass Deutschland außenpolitisch sowohl die eigenen Werte als auch die Bedürfnisse seiner Bürger unter einen Hut bekommen muss. Doch auch vor der eigenen Haustüre darf gekehrt werden. Deutsche Unternehmen sollten viel stärker und schneller investieren, ohne erst auf die Unterstützung des Staates zu warten. Ansonsten verlieren sie zunehmend den Anschluss an die Konkurrenz. (Kevin Richau)