Söder nennt die Gründe für die grüne Krise - und kündigt „weitere Öffnungen“ an

Markus Söder ist nicht Kanzlerkandidat geworden - nun rührt er die Werbetrommel für Armin Laschet. Im Interview mit dem Münchner Merkur erklärt er die Gründe, warum der grüne Höhenflug vorbei ist.
München - Am Samstag stellt die CSU in Nürnberg ihre Liste für die Bundestagswahl auf. Im Vorfeld legt Parteichef Markus Söder* die Grundzüge seiner Politik für die nächsten Wochen dar – vor allem im Kampf gegen Corona schlägt er neue Wege ein. Und er erklärt, wie er die städtischen Wähler für die CSU* zurückgewinnen will.
Die CSU stellt morgen ihre Liste für Berlin auf. Wie traurig sind Sie noch, dass oben nicht SÖDER steht?
Ich habe ein Angebot gemacht, denn viele Fürsprecher aus ganz Deutschland haben mich zur Kandidatur ermuntert. Am Ende habe ich die Entscheidung akzeptiert. Es ist alles ausgeräumt und besprochen. Armin Laschet und ich haben ein sehr gutes menschliches Miteinander. Wir werden ihn nach Kräften unterstützen.
So? Sie sagten im Mai, Laschets Kandidatur habe Sie nicht überzeugt. Was hat sich seither geändert?
Das ist jetzt Vergangenheit. Der Himmel hellt sich auf und der grüne Höhenflug ist gestoppt. Das hat drei Gründe: die gute Leistung unseres Kanzlerkandidaten, die Geschlossenheit, die wir als CSU einbringen, und die Kette an Fehlern der Grünen. Sie entwickeln sich wieder zurück in die alte ideologische Rolle: Tempolimit, Flugverbote, Benzinpreiserhöhung. Das taugt nicht fürs Kanzleramt.
Sie drucken Laschet auf Plakate? Und hängen die dann in Bayern auch auf?
Armin Laschet wird plakatiert, wie alle Kanzlerkandidaten von Kohl bis Merkel. Natürlich unser Spitzenkandidat Alexander Dobrindt. Und auf vielfachen Wunsch der Partei bin ich auf Plakaten auch dabei.
Markus Söder: „Wir müssen so stark werden, dass nicht ohne uns regiert werden kann“
Wie viel muss die Union am 26. September holen?
Wir müssen so stark werden, dass nicht ohne uns regiert werden kann und wir souverän und selbstständig Politik gestalten können. Am Ende dürfen nicht ein paar Stimmen den Ausschlag geben für eine wackelige Ampelkoalition oder gar ein Linksbündnis.
In Zahlen?
Das Ziel 30 plus x bedeutet, dass nicht gegen die Union regiert werden kann. Das wollen die Menschen auch nicht. Deutschland ist nicht bereit für die Grünen im Kanzleramt – das wäre ein unsicheres Experiment für unser Land.
Ihr Lieblings-Grüner Kretschmann sagte heute: In einer Pandemie müsse der Staat noch viel härter durchgreifen können. Ist das nicht Ihre Meinung?
Nein. Auch Corona* hebelt das Grundgesetz nicht aus. Wir sind bisher mit unserem Konzept sehr gut gefahren, jede einzelne Maßnahme dahingehend abzuwägen, was effizient, notwendig und vertretbar ist. Das heißt auch: In einer denkbaren vierten Welle mit der Delta-Mutation muss es neue Instrumente geben.
Markus Söder: Delta-Variante „wird weniger die Älteren, sondern mehr Schüler und Studenten angreifen“
Kein Lockdown mehr?
Das ist unser Ziel. Wir haben jetzt ein Drittel der Menschen vollständig geimpft, die Hälfte zumindest erstgeimpft. Wir müssen bei einem Anstieg nicht sofort wieder zur klassischen Notbremse greifen, also automatisch Geschäfte und Gastronomie schließen.
Wir sind überrascht: Das aus Ihrem Munde?
Warum? Es geht immer um die Verhältnismäßigkeit. Die Gefahr ist jetzt eine andere: Delta wird weniger die Älteren, sondern mehr Schüler und Studenten angreifen. Wir müssen deshalb die Schulen besser vorbereiten. Ich habe den Kultusminister gebeten, dazu im Juli ein Konzept vorzulegen. Über die Sommerpause sollten wir an jeder Schule die Lüftungsproblematik in den Griff bekommen.
Das sagt die CSU seit Monaten. In vielen Kommunen passiert: nichts. Wie lange schauen Sie zu?
Wir haben fast 100.000 Klassenzimmer und Übungsräume, aber die Kommunen haben nur 14.000 Filteranlagen angeschafft oder bestellt. Das reicht nicht. Die Schulen auszustatten, ist jedoch nicht nur Aufgabe des Freistaats, sondern ein Gemeinschaftsprojekt. Für mich ist nach wie vor völlig unverständlich, warum zum Beispiel die Landeshauptstadt München Luftfilteranlagen für die Klassenzimmer ablehnt. Das wäre ein wichtiger Beitrag, Gefahren zu reduzieren und Präsenzunterricht zu erhalten.
Was planen Sie konkret?
Wenn das freiwillig nicht funktioniert, müssen wir uns eine Verpflichtung überlegen, in jedem Klassenzimmer einen Luftfilter zu haben. Wir müssen alles tun, um im Herbst nicht wieder in die gleiche Situation mit Distanzunterricht zu kommen. Generell gilt: Wir müssen trotz niedriger Inzidenzen vorsichtig bleiben. Es wäre ein Fehler, jetzt alles blind freizugeben.
Markus Söder: „In der Bundesligasaison sind auch hier Zuschauer möglich“
Bars, Clubs, Discos...?
Im Mai hatten wir eine Inzidenz von 150. Heute liegen wir unter 8. Das ist sehr gut – aber wir sollten diesen Erfolg nicht im Überschwang riskieren. Wir werden weitere Öffnungen ermöglichen und die Zuschauerzahlen bei Kultur und Sport schrittweise erhöhen. Aber nicht alles auf einmal, wie es FDP und leider teils auch der Koalitionspartner wollen. Deswegen brauchen wir beim Nachtleben noch ein bisschen Geduld. In die Disco gehen ja genau die jungen Zielgruppen, die von Delta attackiert werden und die noch nicht geimpft sind.
Wie wollen Sie das Impfen beschleunigen?
Mehr Tempo ist wichtig. Dazu muss der Bund die Zusagen über die Impfstofflieferung einhalten. Wir werden die Impfmöglichkeiten in den kommenden Wochen massiv ausbauen: Betriebsimpfungen und Impfungen im Migrationsbereich. Vor allem für Menschen, die sonst keinen Arzt aufsuchen oder nicht ins Impfzentrum gehen würden. Neulich haben wir in Nürnberg sogar ein Impfangebot in einer Moschee gemacht: Wir haben dafür bis zu 600 Impfdosen bereitgestellt.
Die Vorrunde ist vorbei. Zwischenbilanz: Haben sich München und Bayern massiv Infektionsgefahren eingehandelt mit dem EM-Reisezirkus?
Ich glaube, es ist insgesamt ganz ordentlich gelaufen – auch wenn es mit den Masken im Stadion anfangs sehr zäh war. Am Ende war die Zusammenarbeit mit der Uefa in Ordnung.
Was heißt das für die nächste Bundesligasaison?
Dass auch hier Zuschauer möglich sind. Wir sind dazu gerade in Gesprächen.
CSU hofiert Orbán? Söder: „Wenn Sie genau hinschauen ...“
Im Stadion sah man Sie mit Regenbogen-Maske. Vor der Staatskanzlei haben Sie die Regenbogen-Fahne gehisst. Schwimmen Sie mit auf der Welle?
Es geht da um Haltung. Der Regenbogen ist ein Symbol für Freiheit und Toleranz. Ich stehe für ein liberales und weltoffenes Bayern. Viele haben die Uefa nicht verstanden, warum sie sich so gesperrt hat.
Die CSU im Landtag hat die Regenbogenfarben am Parlament verhindert*...
Die CSU im Landtag ist den Bedenken des Landtagsamts gefolgt. Dafür gab es auch formale Argumente. Ich habe für die Staatskanzlei anders entschieden. Und ich sage ganz deutlich: Diese Fahne steht auch für mein Schutzversprechen als Ministerpräsident für alle Minderheiten und gegen den Angriff auf unsere Freiheit und Toleranz.
Ach: Ihre CSU hat doch Orbán so lang hofiert!
Wenn Sie genau hinschauen: Ich habe mich da immer sehr zurückgehalten. Ungarn entfernt sich leider immer weiter von unseren europäischen Werten. Viktor Orbán ist für mich eine tragische Figur. Der junge Orbán war ein Kämpfer für Freiheit und Demokratie. Der späte Orbán bewegt sich in eine andere Richtung. Wer sich mit Salvini, AfD und anderen Radikalen einlässt, verlässt die europäische bürgerliche Wertebasis.
Markus Söder „Offenbar wollen die Grünen mich länger im Amt haben“
Reden wir über Ihre Partei. CSU-Vize Weber riet Ihnen zur Kurskorrektur. Tenor: mehr Stammwähler pflegen statt Bäume umarmen. Beherzigen Sie den Rat?
Es wäre ein Fehler, Wähler in zwei Klassen einzuteilen – in gute alte und schlechte neue. Alle zehn Minuten stirbt leider ein traditioneller Wähler der CSU. Bayern ist jedoch ein junges Land mit enormem Zuzug. Neubürger und Erstwähler kommen nicht mehr automatisch zu uns. Aber wir können sie für die CSU begeistern. Wir müssen aus neuen Bayern Stammwähler machen. Wir wollen keinen Closed-Shop, sondern eine moderne und offene Volkspartei. Eine Lehre von Strauß: Konservativ sein, heißt an der Spitze des Fortschrittes stehen.
Das Unbehagen richtete sich doch gegen die Öko-Überbetonung. Ein Söder macht halt alles immer 150-prozentig.
Die CSU ist immer 150 Prozent! Wir machen Politik aus voller Überzeugung und nicht halbherzig. Volkspartei bleiben wir nur als breit aufgestellte Partei für ein Bayern von morgen. Und zur Erinnerung: Es gab Phasen, da hat Strauß die CSU so erneuert, dass er als „linker Städter“ kritisiert wurde. Seit jeher gibt es das Spannungsfeld von Tradition und Fortschritt. Wir müssen es immer wieder ausbalancieren.
Herr Söder, würden Sie Ilse Aigner gönnen, Bundespräsidentin zu werden?
Die Wahl des Bundespräsidenten wird erst nach der Bundestagswahl diskutiert.
Gibt es irgendeine Absprache mit der CDU?
Nein.
Sie haben am Anfang mal gesagt: Zehn Jahre Ministerpräsident, dann ist Schluss. Gilt das noch?
Ich wollte die Obergrenze in die Verfassung schreiben, die Grünen* haben das verhindert. Offenbar wollen die mich länger im Amt halten (lacht). Im Ernst: Zehn Jahre sind eine gute Zeit. Wenn das aber nicht in der Verfassung steht, werden das die Parteien und die Wähler jeweils zu den Landtagswahlen neu entscheiden.
Interview: geo/mik/cd - *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.