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Ukraine-Gretchen-Frage bei „Lanz“: Selenskyj-Berater bietet Kompromiss an - Klingbeil zweifelt

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Lars Klingbeil (SPD) und Alexander Rodnyansky zu Gast bei „Markus Lanz“ (ZDF).
Lars Klingbeil (SPD) und Alexander Rodnyansky zu Gast bei „Markus Lanz“ (ZDF). © Screenshot ZDF Mediathek

„Markus Lanz“ debattiert den Ukraine-Krieg - allen voran die Frage, warum Deutschland nicht mehr tut. Selenskyj-Berater Rodnyansky hat eine Forderung an Lars Klingbeil.

Hamburg – Bei „Markus Lanz“* findet SPD-chef Lars Klingbeil am Mittwochabend deutliche Worte für die erschütternden Geschehnisse in der ukrainischen Stadt Butscha: „Es zeigt, dass Putin Kriegsverbrecher ist, der größte Kriegsverbrecher dieses Jahrhunderts. Und es ist ein Beleg dafür, mit welcher Aggressivität und Brutalität Putin und die russische Armee diesen Krieg führen.“

Neben Klingbeil sitzt Alexander Rodnyansky, wirtschaftlicher Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.* Für ihn sind Kriegsverbrechen Russland keine Überraschung: Man habe von „kleineren Kriegsverbrechen“ gewusst, etwa dass Krankenwagen geklaut worden seien, aus denen anschließend geschossen wurde. Auch hätten russische Soldaten unter falscher Flagge ukrainische Soldaten ermordet hätten, sagt Rodnyansky.

SPD-Chef Lars Klingbeil bei „Markus Lanz“ über Ukraine-Krieg: „Wir machen alles, um zu helfen“

Ob es sich um einen Völkermord handele, will Klingbeil nicht beurteilen. Er spreche deshalb bewusst von Kriegsverbrechen. Ein Eingreifen von Nato-Truppen hält der SPD-Vorsitzende weiterhin für „eine Schwelle, über die wir nicht drübergehen sollten“. Es gelte, der Ukraine zu helfen, ohne mehrere Atommächte in einen Krieg zu verwickeln. Moderator Lanz stellt sich die Frage, „was Butscha denn dann überhaupt verändert, wenn wir es nur bei Lippenbekenntnissen belassen?“

„Es verändert konkret, dass wir jetzt nochmal die Sanktionen schärfer ziehen und dass wir beim Thema Waffenlieferungen mehr liefern und schneller liefern werden“, entgegnet Klingbeil, der versichert, die Bundesregierung unternehme „alles, um die Ukraine zu unterstützen“. Rodnyansky attestiert Deutschland und Europa zwar einen Haltungswandel. Angesichts der Bilder aus Butscha wünscht er sich jedoch ein schnelleres Agieren. Allen voran spricht er sich für ein baldiges und umfassendes Rohstoff-Embargo aus, „weil das die Kriegsmaschine zu einem Stillstand führen wird“.

Selenskyj-Berater Rodnyansky bei „Lanz“: „Wir verteidigen die europäische Friedensordnung“

Lanz bleibt skeptisch: Seit der Zeitenwende-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag sei in puncto Waffenlieferungen „nichts passiert“. Klingbeil weist das zurück: Lanz müsse sich auch die Mühe machen, auf die Details zu schauen. So stünden zwar 60 Marder-Panzer bei Rheinmetall, diese müssten jedoch für einen Einsatz in der Ukraine erst vorbereitet werden. „Das dauert Wochen“, stellt Klingbeil fest. Die Bundeswehr habe außerdem Munition aus ihren ohnehin überschaubaren Beständen geliefert. Auch Rodnyansky selbst bestätigt: „Es wird schon etwas getan, ich will jetzt auch nicht allzu unfair klingen. Natürlich gibt es da gewisse Prozesse. Wir wünschen uns einfach nur, dass es schneller geschieht.“

Die Diskussion darüber, ob künftig auch schweres Kriegsgerät in die Ukraine geliefert werden solle, habe Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Dienstag angestoßen, sagt Klingbeil: „Die Debatte um schweres Gerät ist eröffnet, sie muss aber international mit unseren Partnern abgestimmt sein. Da darf es keine nationalen Alleingänge geben.“ Dass schweres Kriegsgerät in die Ukraine geliefert werden muss, steht für Rodnyansky außer Frage. Auch nach Ägypten liefere Deutschland Waffen in großem Volumen. Er kann nicht nachvollziehen, warum man sich im Ukraine-Krieg* anders verhalte: „Da fragen wir uns, warum wir das nicht bekommen. Wir verteidigen ja die europäische Friedensordnung im Endeffekt.“

Waffen für die Ukraine – SPD-Vorsitzender Klingbeil bei „Markus Lanz“: „Ich erwarte, dass es schnell geht und dass es umfassend ist“

Klingbeil stellt klar, dass Waffenlieferungen nach Ägypten eine teilweise jahrelange Vorlaufzeit gehabt hätten. Die sei in der jetzigen Situation nicht gegeben. In Details des Regierungshandelns sei er nicht involviert, allerdings habe er einen klaren Anspruch an diese: „Das, was ich erwarte als SPD-Vorsitzender, ist, dass es schnell geht, dass es umfassend ist und dass der Ukraine geholfen wird. Aber immer in der Frage: Ist das vertretbar?“

So stehe etwa die Frage im Raum, ob das ukrainische Militär die lieferbaren Waffensysteme überhaupt bedienen könne. Rodnyansky nickt bei Klingbeils Ausführungen verständnisvoll - merkt dann aber an, dass die Ukraine aus diesem Grund keine Leopard-II-, sondern Marder-Panzer und Waffen aus alten DDR-Beständen anfordere.

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Auch Sanktionen bleiben Thema: Rodnyansky schlägt ein stufenweises Embargo vor, um Deutschlands Gas-Abhängigkeit von Russland entgegenzukommen. Am wichtigsten sei, dass Russland kein Öl mehr verkaufen könne. Dieses biete höhere Gewinnmargen als Gas und sei leichter zu ersetzen. Bis zu einem Drittel des russischen Staatshaushalts stütze sich auf die Exporte von Öl. Zwei Ziele ließen sich so erreichen, erklärt Rodnyansky: „Wir stoppen den Krieg und wir führen vielleicht auch langfristig einen Anreiz zu einer Demokratisierung in Russland ein.“

Lanz möchte von Klingbeil wissen, warum an dieser Thematik „nicht energischer“ gearbeitet werde. Der SPD-Chef widerspricht: Die Bundesregierung arbeite mit Hochdruck daran, „dass wir aus der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aus Russland herauskommen“.

Dass ein sofortiges Embargo zu einem schnellen Kriegsende führe, zieht Klingbeil jedoch in Zweifel. Wie die bereits verhängten Sanktionen trage es zwar zu einem Einbrechen der russischen Wirtschaft bei, aber Klingbeil meint: „Die Kriegskassen sind so gefüllt, dass ein Embargo bei den Energielieferungen nicht sofort dazu führen würde, dass Putin diesen Krieg einstellt.“

Rohstoff-Embargo gegen Russland? Klingbeil und Rodnyansky bei „Markus Lanz“ zweierlei Meinung

Rodnyansky vermutet hingegen, dass sich ein derart großes finanzielles Loch nicht einfach stopfen lasse: „Das ist eine Illusion“, ist sich der ukrainische Ökonom sicher. Die Folgen des fehlenden Geldes würden die russische Regierung vor ernsthafte Fragen stellen. Rodnyansky fragt: „Was passiert mit den Renten? Was passiert mit den Subventionen? Was passiert mit den Dienstleistungen, den Sozialleistungen? Natürlich wird das die Ressourcen vom Krieg wegziehen. Das geht einfach nicht anders.“

„Wenn es keinen Einfluss hätte“, gibt Rodnyansky weiter zu bedenken, „warum stellt Putin die Gaslieferungen dann nicht ein?“ Talkmaster Lanz vermutet ähnliches: Schließlich sei der russische Präsident auch eingeknickt, als er gedroht hatte, nur noch Rubel für russische Energie zu akzeptieren.

Klingbeil wendet ein, dass langfristige Folgen wie bedrohte Sozialleistungen in Russland ebenfalls nicht dafür sorgen, den Ukraine-Krieg schnell zu beenden. Den größeren Schaden habe Russland zu befürchten, wenn Deutschland sich aus der Energie-Abhängigkeit befreie – am besten „für immer“. Auf die letzte Frage des Moderators, ob Deutschland die moralische Verantwortung habe, einem sofortigen Embargo zuzustimmen, antwortet Rodnyansky erwartbar eindeutig: „Ich finde schon. Natürlich kann ich als Ukrainer auch nichts anderes sagen, bei dem Elend, das wir jetzt ertragen müssen.“

„Markus Lanz“ – Das Fazit der Sendung

„Markus Lanz“ bietet am Mittwochabend die Bühne für eine Diskussion zwischen Lars Klingbeil (SPD) und dem Ökonom Alexander Rodnyansky. Gegenstand der 45-minütigen Debatte sind der Ukraine-Krieg, die Frage von Waffenlieferungen und Sanktionen sowie ein mögliches Embargo auf russische Rohstoffe. Sich von diesen abhängig gemacht zu haben, sei ein Fehler gewesen, der aufgearbeitet werden müsse, um für die Zukunft zu lernen, meint Klingbeil: „Wir haben die Verantwortung, dass das nicht wieder passiert. Dass wir uns nicht beispielsweise technologisch von China abhängig machen.“ (Hermann Racke)

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