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Streeck geht Lauterbach bei „Illner“ aus dem Nichts an - der schaut erst zu Boden und kontert dann

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Die ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ am 08.07.2021.
Die ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ am 08.07.2021. © Screenshot ZDF-Mediathek

Nordrhein-Westfalen lockert Corona-Maßnahmen. Bei Maybrit Illner kommt es zu einem Disput zwischen Hendrik Streeck und Karl Lauterbach.

Berlin - „maybrit illner“ debattiert am Donnerstagabend die aktuelle Corona-Lage in Deutschland. Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) berichtet eingangs von der Situation in seinem Bundesland, das ab Freitag weitreichende Lockerungen und Öffnungen vornimmt. „Wir haben die Lockerungen mit einem breiten Schutzschild verbunden“, sagt Laumann und führt aus: „Wir haben die Coronaschutzverordnung vollkommen in Kraft gelassen (…) und da wollte ich nicht dran.“ Weil mehr als die Hälfte der nordrhein-westfälischen Kommunen derzeit eine Inzidenz von unter 4 aufweise, habe man die Verordnung in NRW um eine Stufe 0 ergänzt, die weitreichende Öffnungen ermögliche.

Corona-Maßnahmen in NRW werden gelockert – Laumann verteidigt das Vorgehen bei „Maybrit Illner“

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hatte Anfang der Woche außerdem erklärt, dass die Pandemie politisch vorbei sei, sobald alle Bürger ein Impfangebot erhalten hätten. Daher will Talkmasterin Illner von dessen Parteikollege Karl Lauterbach wissen, wie er die Situation einschätzt. Lauterbach widerspricht Maas in aller Deutlichkeit: „Nein, das wird nicht stattfinden und ist auch rein rechnerisch weit von der Realität. Das Impftempo ist zurückgegangen, daher sind wir niemals in der Lage, schon Mitte oder Ende August zu einer Herdenimmunität zu kommen. (…) Heiko Maas schlägt hier ja eine Boris-Johnson-ähnliche Öffnung noch im August vor.“

Aufgrund nicht vorhandener Impfstoffmengen, prognostiziert Lauterbach, werde Deutschland nicht in der Lage sein, allen Bürgern bis dahin ein Angebot gemacht zu haben. Sein Urteil über Maas‘ Vorstoß: „Er stößt eine Diskussion an und das ist immer gut (…) Aber ich halte es für unrealistisch.“ Der Virologe Hendrik Streeck würde zwar nicht wie England vorgehen, unterstützt aber Laumanns Konzept: „In NRW wird ausprobiert, ob man öffnen kann durch strikte Maßnahmen, durch ein konstantes Testen. Wenn es nicht funktioniert, wird sehr schnell die Reißleine gezogen und wieder geschlossen. Das sind für mich gute Vorgehensweisen, denn wir müssen ausprobieren, welche Hygienemaßnahmen funktionieren. Wir müssen schauen, wie wir uns vorsichtig an eine achtsame Normalität herantasten.“

„Maybrit Illner“ - Diese Gäste diskutierten mit

Als sich Karl Lauterbach und Hendrick Streeck anschließend nicht über Studienergebnisse einig sind (Schützt eine Doppelimpfung zu 99 oder 94 Prozent vor einem schweren Verlauf?), übernimmt Streeck für einen Moment die Moderation und bittet die per Video zugeschaltete Journalistin Christina Berndt um ihre Einschätzung: „Es bleibt in der Summe so”, erklärt sie, „dass die doppelte Impfung sehr gut gegen Delta, gegen die schweren Verläufe und gegen den Tod schützt. Aber tatsächlich zeigen die Daten aus Israel: Es ist etwas weniger gut als gegen die Alpha- und frühere Varianten. (…) Aber das sind letztlich Prozente. Also ob jetzt 98 oder 96 – solche Studien haben ja auch immer eine gewisse Unsicherheit.“

NRW-Lockerungen spalten die Meinungen der „Maybrit Illner“-Runde

Die Journalistin Anna Schneider unterstützt den Vorstoß von Heiko Maas und findet, man brauche sich nicht an einzelnen Prozentzahlen abarbeiten: „Wir rechnen in Prozentzahlen, die eigentlich so hoch sind, dass man sich fragen muss: Welches Risiko ist der Einzelne noch bereit, selbst zu tragen? Wir haben jetzt eineinhalb Jahre Pandemie hinter uns und das Werteverhältnis hat sich so stark in Richtung Sicherheit und weg von Freiheit verschoben, dass man gar nicht auf die Idee kommt, für den Rest müsste auch der Einzelne verantwortlich sein.“

„Vollkommen unklug“ findet dagegen Christina Berndt die Öffnungen in NRW: „Das erinnert mich alles an Anfang März, als auch Nordrhein-Westfalen vorpreschte und sagte: Jetzt öffnen wir. Und damals hatten wir die Alpha-Variante und jeder wusste, das bringt jetzt neuen Schwung, das bringt die dritte Welle. Trotzdem hat man geöffnet, um dann sehr bald diese Öffnungen wieder zurückzunehmen. Und so kommt es mir jetzt auch wieder vor.“ Zwar teile Berndt die Ansicht, dass die Pandemie irgendwann für beendet erklärt werden müsse, meint aber: „Diesen Punkt haben wir noch nicht. (…) Wir sind ja weit weg von einem doppelten Impfangebot plus 14 Tage für alle Menschen in dieser Republik.“

„Ich habe das Déjà-vu, dass wir seit einem Jahr auf die Inzidenzzahlen starren”, forciert Schäfer ihre Kritik und legt nach: „Ich glaube, da sind wir uns einig, dass das nicht der einzige Indikator sein kann. Und auch da: Wenn man ins Ausland blickt, steigen trotzdem die Hospitalisierungen nicht im selben Ausmaß – und auch die Todeszahlen nicht. Insofern verstehe ich es total, dass Nordrhein-Westfalen jetzt öffnet.“ Auch Laumann verteidigt die Öffnungen: „Wir sind nicht waghalsig. Weil wir zum Beispiel überall da, wo Menschen hingehen müssen, den Maskenzwang lassen.“ Der Unionspolitiker lenkt den Blick auf kleine Kommunen: „Wenn die Ministerpräsidenten und die Bundesregierung gemeinsam entscheiden, dass demnächst wieder Fußballspiele in ganz Deutschland, egal in welchem Bundesland, mit 25.000 Leuten möglich sind, wenn nicht mehr als 50 Prozent eines Stadions besetzt sind – dann finde ich, ist die Dorfkirmes in meinem Heimatdorf auch eine Sache, die gehen muss.“

Karl Lauterbach und Hendrick Streeck geraten bei „Maybrit Illner“ aneinander

Als die Diskussion bei der Frage der Kinderimpfung angelangt, nutzt Streeck die Gelegenheit, um gegen Lauterbach auszuteilen. Letzterer kritisierte wiederholt die Haltung der Ständigen Impfkommission (STIKO), was Impfungen für Kinder anbelangt: „Ich finde”, moniert Streeck und geht Lauterbach an, „dass das ein wenig zur Spaltung der Gesellschaft beiträgt. Ich finde es auch höchst unanständig, wie Sie mir unterstellen, dass ich den Lockdown überflüssig finde. Ich habe dreimal, viermal gesagt, dass ich den Lockdown alternativlos finde. (…) Ich finde, das hat einen Wahlkampfstil, der einfach für eine Pandemie nicht angebracht ist. Da sind Leute, die sich um ihre Existenz Sorgen machen und ich bin nicht im Wahlkampf. Ich möchte pragmatische Lösungsvorschläge machen.“

Lauterbach, der zu Boden schaute, während sich Streeck in Rage redete, reagiert: „Es ging jetzt gerade wirklich nicht um Sie. Es ging um die STIKO. Und ich habe nicht die STIKO angegriffen, sondern ich habe wissenschaftlich versucht herzuleiten, dass ich mit dem Inhalt der Entscheidung nicht zufrieden bin. Und das ist keine Majestätsbeleidigung. Die STIKO geht sehr transparent mit der Argumentation um und das finde ich großartig. Ich reagiere darauf rein inhaltlich. Ich finde, die STIKO macht gute Arbeit.“ Wenn ihm etwas bei der STIKO gefalle, erklärt Lauterbach, dann lobe er das und wenn nicht, dann kritisiere er das.

„Und so“, fährt Lauterbach an Streeck gerichtet fort, „mache ich das auch mit Ihnen. (…) Ich bin tatsächlich der Meinung, dass Sie den ein oder anderen Lockdown, den wir dringend benötigt hätten, entweder nicht gefordert (…) oder sogar abgelehnt haben. Ich war damals anderer Meinung. Aber dort, wo Sie Recht gehabt haben, da gebe ich Ihnen Recht. Ich habe unlängst gelobt, dass Sie die Saisonalität von Sars-Cov relativ früh erkannt haben. Da bricht mir kein Zacken aus der Krone.“ Lauterbach vollendet seine entwaffnend sachliche Reaktion: „Das ist nichts anderes als ein fachlicher Disput.“

Berndt springt Lauterbach aus dem Video-Off zur Seite und dreht den Vorwurf der Spaltung um: „Sie haben schon damals (…) gesagt, Sie finden, dieser Lockdown komme jetzt zu früh. Und da ging es ja um den November-Lockdown, als also die Inzidenzen dramatisch stiegen, haben Sie in dem Positionspapier gefordert, mehr die Risikogruppen zu schützen, was nach dem Konsens vieler Wissenschaftler*innen nicht möglich ist. Und daraufhin haben Sie auch bald darauf Ihre Ansicht geändert. Also ich finde schon, dass Sie an der Stellung zu einer Spaltung beigetragen haben“, sagt sie an Streeck gewandt.

„Maybrit Illner“ - Das Fazit der Sendung

Bei „maybrit illner“ kommt es zum Disput zwischen „Team Öffnung“ und „Team Vorsicht“. Während der Politiker Karl-Josef Laumann (CDU) und der Virologe Hendrik Streeck sich für Öffnungen unter strengen Bedingungen aussprechen, kann die Journalistin Anna Schneider das offizielle Ende der Pandemie kaum abwarten. Dagegen sind der Politiker Karl Lauterbach (SPD) und die Journalistin Christina Berndt der Meinung, es müsse noch so lange Vorsicht herrschen, bis die Mehrheit der Bevölkerung geimpft ist. In der von Streeck vom Zaun gebrochenen Konfrontation mit Lauterbach zieht der Virologe den Kürzeren. Lauterbach bleibt auch nach der Frontalattacke sachlich, lehnt die Einladung von Talkmasterin Illner, Streeck’sche Fehler zu benennen, dankend ab – und gesteht stattdessen eigene ein.

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