Afghanistan: Merkel hat bittere Botschaft - Nun soll Erdogan helfen
Kanzlerin Angela Merkel hat sich zur Lage in Afghanistan geäußert – vorerst allerdings nur intern. Sie setzt offenbar auf Hilfe der Türkei bei der Aufnahme von Geflüchteten.
Berlin - Angela Merkel hat sich Berichten zufolge intern zur dramatischen Lage in Afghanistan geäußert – und dabei indirekt Kritik an den USA geübt und bei der Aufnahme Geflüchteter auf Nachbarländer von Afghanistan und die Türkei verwiesen. „Es gab einen Domino-Effekt nach dem Abzug der Truppen“, sagte die Kanzlerin nach Informationen der Bild im CDU-Präsidium. „Wir erleben bittere Stunden, jetzt müssen wir uns auf die Rettung konzentrieren“, erklärte sie demnach.
Der Abzug sei dabei letztlich von den US-Amerikanern entschieden worden. Der Schritt Washingtons habe auch „innenpolitische Gründe“ gehabt. „Da ist eine große Abhängigkeit voneinander, die auch in solchen Momenten ausgehalten werden muss“, fügte sie dem Bericht zufolge hinzu.
Mit Blick auf die erschreckenden Szenen am Flughafen Kabul – wo tausende Menschen verzweifelt auf eine Flucht vor den vorrückenden Taliban in letzter Minute hoffen – erklärte Merkel dem Bericht zufolge, die Lage zeige, „was wir können und was wir nicht können“. Eine Sicherung des Airports sei nur mithilfe von US-Truppen möglich.
Afghanistan: Merkel äußert sich – Kanzlerin will offenbar Geflüchteten-Hilfe von Erdogan
Auch für die Bundeswehr soll der Bundestag nun ein Mandat für Evakuierungsmaßnahmen beschließen – der Vorstoß soll allerdings erst am Mittwoch durchs Kabinett und in der Folge vom Parlament verabschiedet werden. Angesichts des späten Handelns gab es am Montag teils heftige Kritik der Opposition. Die radikal-islamistischen Taliban hatten Afghanistan in den vergangenen Tagen in enormem Tempo eingenommen.
Merkel nahm unterdessen in dem CDU-Gremium auch den Umgang mit den geflüchteten Menschen in den Blick. Deutschland habe ein Interesse daran, dass Menschen „vor Ort“ versorgt würden. Dem Bild-Bericht zufolge schien die Kanzlerin einmal mehr auch die Türkei als Aufnahmeland zu betrachten: Man müsse „eng mit der Türkei zusammenarbeiten“ erklärte sie. Das Land von Regierungschef Recep Tayyip Erdogan spielt bereits bei der Aufnahme von Geflüchteten aus Syrien eine entscheidende Rolle für die EU – nutzt den Deal allerdings immer wieder auch als politisches Druckmittel.
Afghanistan: Merkels Sprecher äußert sich - Bundeswehr in „großer Sorge“
Auch ein offizielles Statement folgte am Montagmittag. Wichtigstes Ziel sei es im Moment, die letzten deutschen Staatsbürger sowie „so viele der afghanischen Ortskräfte wie möglich außer Landes und in Sicherheit zu bringen“, sagte unterdessen Regierungssprecher Steffen Seibert. Merkel werde laufend informiert. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sagte wegen der Entwicklung in Afghanistan alle Termine für diese Woche ab.
Die Bundesregierung wies Vorwürfe zurück, in Afghanistan ungeachtet des Vormarschs der radikalislamischen Taliban zu lange untätig geblieben zu sein. Es werde schon seit Monaten an Verfahren zur Evakuierung gefährdeter afghanischer Ortskräfte gearbeitet, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Montag in Berlin. „Richtig ist, dass unsere Einschätzung, wie sich die Lage entwickeln wird, falsch war“, räumte er allerdings weiter ein.
.Die Lage in Afghanistan bereite der Bundeswehr „große Sorgen“, sagte Seibert weiter. Sie mache sich Sorgen „um das Schicksal einzelner Afghanen, aber auch um die Entwicklung des Landes insgesamt“. Seibert sprach von einer „bitteren Entwicklung“ gerade auch „vor dem Hintergrund des langjährigen Einsatzes der westlichen Staatengemeinschaft“ in dem Land. Eine Bilanz des Einsatzes wollte der Regierungssprecher nicht ziehen - zunächst stehe die Rettung der bedrohten Menschen im Vordergrund. Er verwies darauf, dass der Einsatz gemeinsam mit den Verbündeten ausgeführt worden sei. „Die Bilanz dieses Einsatzes wird gemeinsam zu ziehen sein - ehrlich, aber auch kritisch“, sagte Seibert.
Afghanistan und die Flucht vor den Taliban: CDU-Politiker fordern Hilfe – aber nicht in Deutschland
Auch CDU-Chef Armin Laschet forderte, die Flüchtlinge in der Region um Afghanistan zu betreuen. Die EU müsse sich „dafür einsetzen, dass die Hilfe dort Priorität hat“, schrieb Laschet auf Twitter. „Die meisten Menschen werden in die Nachbarländer fliehen“, schrieb er. Die internationale Gemeinschaft müsse deshalb „die Nachbarländer unterstützen und dazu beitragen, die humanitäre Katastrophe zu lindern“.
„Wir sollten uns in Deutschland nicht parteipolitisch streiten“, fügte er laut Bild in der CDU-Sitzung hinzu. Zuvor hatte es bereits heftige Vorwürfe an die Bundesregierung gegeben. „Jetzt geht es um den Einsatz der Bundeswehr. Wir werden in den kommenden Wochen schreckliche Bilder sehen. Hinrichtungen.“
CDU-Vize Julia Klöckner äußerte vor der Sitzung Enttäuschung über das Vorgehen etwa der USA und Kanadas. Sie warnte, Flüchtlingsbewegungen wie im Jahr 2015 dürften sich nicht wiederholen, wies aber zugleich auf Gefahren für die Zivilbevölkerung in Afghanistan hin. Deshalb sei die Absprache in der Staatengemeinschaft so wichtig. 2015 und danach hatte eine große Flüchtlingsbewegung nach Deutschland zu einer schweren innenpolitischen Krise geführt. Alle wüssten, was es vor allem für Frauen und Mädchen bedeute, dass die militant-islamistischen Taliban das Land ohne großen Widerstand der dortigen Regierungstruppen „ins Mittelalter zurückbomben. Das heißt Vergewaltigung, das heißt Erniedrigung, das heißt am Ende: Keine Schule, kein Studienabschluss gerade für Frauen und Mädchen“, sagte Klöckner. (fn/dpa)