Bittere Flops zum Ende der Ära Merkel? Bei gleich drei Themen läuft der GroKo nun die Zeit davon

Mit vier Jahren ist eine Legislaturperiode recht lang. Doch der GroKo von Angela Merkel geht die Zeit aus. Ein wichtiges Projekt scheint schon gestorben. Bei zwei weiteren drohen Blamagen.
Berlin - Weit über drei Jahre dauert die Legislatur für Angela Merkels* dritte GroKo nun schon. Doch ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl türmen sich die Probleme: Keine zwei Monate vor der Bundestags-Sommerpause brennt es auf gleich drei Feldern lichterloh: Nicht nur ein Plan zu Corona-Lockerungen für Geimpfte, Getestete und Genesene ist trotz der absehbaren Entwicklung noch offen. Auch beim Klimagesetz und besseren Arbeitsbedingungen in der Pflege steht die Regierung mit dem Rücken zur Wand.
Ein Wettlauf mit der Zeit hat begonnen. Die Opposition rechnet schon mit einem krachenden Scheitern bei mindestens zwei der drei hochbrisanten Themen. In Merkels Kabinett hat unterdessen hektische Betriebsamkeit eingesetzt - wenn auch augenscheinlich teils etwas unkoordiniert. Kommt der Endspurt zu spät? Ein Überblick:
Nicht erst seit Corona: Pflege in Deutschland in Not - Spahns Pläne vor dem Aus
Die Pflege in Deutschland steht vor riesigen Problemen. Nicht erst seit Corona - doch in der Pandemie wurden Missstände besonders stark sichtbar*. Trotzdem lahmen seit Jahren alle Bemühungen für Besserung. Schon zum Jahreswechsel hatte VdK-Präsidentin Verena Bentele bei Merkur.de* „Nachbesserungen“ angemahnt. Doch auch Bemühungen um einen flächendeckenden Tarifvertrag platzten im Frühjahr. Nun macht vor allem die SPD Druck. Während Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fürchten muss, mit einem wichtigen Projekt zu scheitern.
In der GroKo laufen die Bemühungen nun kreuz und quer. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz* kündigte am Sonntag in Potsdam einen gemeinsamen Vorstoß mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) an, „der sicherstellt, dass Tarifverträge in der Altenpflege Realität werden“. Heil sagte der Bild am Sonntag, er schlage dazu ein „Pflege-Tariftreue-Gesetz“ vor, das noch im Sommer beschlossen werden solle. „Betreiber von Pflegeeinrichtungen bekommen nur dann Geld aus der Pflegeversicherung, wenn sie ihren Beschäftigten Tariflöhne zahlen.“ Spahn habe bisher keine konkrete Lösung vorgelegt, doch die Zeit dränge. Bessere Löhne würden dafür sorgen, „dringend benötigte Fachkräfte zu gewinnen“, schrieb Heil nach eigenen Angaben in einem Brief an den Kabinettskollegen.
Das was ich an Informationen gekriegt habe: Es geht wohl in die nächste Periode rein
Spahn hatte Eckpunkte für eine Reform der Pflegefinanzierung vorgelegt. Er sagte am Sonntag, ein Entwurf zur Pflegereform liege längst vor. Im Gegensatz zum Plan des Arbeitsministers würden dabei nicht nur die Interessen der Pflegekräfte berücksichtigt, sondern auch die der Pflegebedürftigen. „Wir alle wollen Pflegekräfte besser bezahlen. Aber das darf nicht auf Kosten der Schwächsten unserer Gesellschaft gehen.“ Wer Tarifbezahlung wolle, müsse daher auch die Eigenanteile deckeln. Auch Bentele hatte vor Armutsrisiken gewarnt. Spahn schoss in Richtung Scholz: „Dazu sollte sich der Finanzminister endlich mal verhalten.“
Allerdings hängt es nicht (nur) an der SPD. Einigen CDU-Vertreter sind die Kosten des Vorschlags zu hoch. „Die Milliardenkosten sind nicht zu verantworten“, sagte die Abgeordnete Jana Schimke Mitte April dem Spiegel. Spahn rechnet dem Bericht zufolge mit 6,3 Milliarden Euro jährlich. „Wir liegen inhaltlich noch sehr weit auseinander“, erklärte die SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas dem Blatt. Hinter den Kulissen scheint Resignation einzusetzen. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte am Sonntag in der BR-Sendung „Sonntags-Stammtisch“ seinen Informationen nach „geht es wohl in die nächste Periode“. Es hänge „an der Konstellation in Berlin“.
Klimagesetz: Verfassungsgericht erwischt Merkels GroKo kalt - in den „Mühlen des Wahlkampfs“
Mit einer möglicherweise nicht nur für die Klimapolitik folgenschweren Entscheidung* hat das Bundesverfassungsgericht Ende der Woche die Bundespolitik kalt erwischt. Bis Ende kommenden Jahres müssen nun die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 genauer geregelt werden.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sieht nur ein extrem enges Zeitfenster für eine Umsetzung der Vorgaben noch vor der Bundestagswahl. Das Parlament habe nicht mehr viele Wochen übrig, um Gesetze zu verabschieden. „Aber wenn es gelänge, in den nächsten zwei, maximal drei Wochen zu einer Einigung zu kommen, die im Parlament breit getragen wird, dann hielte ich ein solches Vorhaben für aussichtsreich“, sagte Altmaier am Freitag im Deutschlandfunk.
Die Grünen glauben indes nicht an den großen Wurf. Es sei richtig „in dieser Legislaturperiode konkrete Schritte für einen ambitionierten Klimaschutz einzuleiten“, heißt es in einem Brief der Parteispitze an Merkel, aus dem die Zeitungen der Funke Mediengruppe zitieren. „In der verbleibenden Zeit bis zur Bundestagswahl wird es nicht möglich sein, eine allumfassende Verständigung zu erzielen“, schreiben die Grünen um Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock* weiter. „Aber es wäre aus unserer Sicht deutlich zu kurz gesprungen, jetzt nur eine Reform des Klimaschutzgesetzes ins Auge zu fassen.“
Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, glaubt nicht, dass sich die Parteien noch vor der Bundestagswahl im September* einigen können. „Ich würde es mir wünschen. Aber es ist zu befürchten, dass jeder Vorschlag in den Mühlen des Wahlkampfes zerrieben wird“, sagte Buschmann der Augsburger Allgemeinen. Nach der Bundestagswahl müsse daher sehr schnell gehandelt werden.
Grüne und FDP nannten auch konkrete Vorschläge: Die Grünen* fordern, den CO2-Preis auf 60 Euro ab 2023 anzuheben, das Klimaschutzziel für 2030 auf eine Reduktion der Treibhausgase um 70 Prozent anzuheben und den Ausbau der Erneuerbaren Energien deutlich zu beschleunigen. Darüber hinaus müssten im Bundeshaushalt 2022 klimaschädliche Subventionen abgebaut werden. Die FDP setzt beim Klimaschutz vor allem auf einen nationalen CO2-Zertifikatehandel. Die Regierung blieb bislang eher unkonkret. Altmaier sagte, nötig sei bei der Umsetzung „ein sehr unabhängiges Monitoring“: „Das heißt, es muss überprüft werden, wenn diese Ziele in einem Jahr erreicht wurden“.
Corona-Lockerungen für Geimpfte, Getestete, Genesene? Debatte überrollt Merkels Regierung
Im Vergleich mit Pflege und Klima ist die Debatte um Lockerungen für corona-immune Menschen in Deutschland eine neue. Dennoch war seit langen Monaten absehbar, dass bei wachsendem Impf-Fortschritt die Frage nach Lockerungen geben wird*. Kanzlerin und Ministerpräsidenten stellten das Thema beim jüngsten Impfgipfel dennoch noch einmal zurück. Inzwischen sind mehrere Bundesländer vorgeprescht. Und ein geplanter Entwurf für eine Verordnung bleibt bereits weit hinter der laufenden Debatte zurück.
Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Sonntag in dieser Frage zwar eine schnelle Klärung in Aussicht gestellt. Er halte es für realistisch, dass die geplante Verordnung am Mittwoch ins Kabinett komme und noch bis Freitag die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat erhalte, sagte Scholz am Sonntag in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“. Der Entwurf von Justizministerin Christine Lambrecht sieht vor allem Erleichterungen bei Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen vor. Geimpfte und Genesene sollen auch ohne Corona-Test in Geschäfte, Zoos oder zum Friseur gehen können.
Doch sogar führende Unions-Politiker fordern längst mehr. „Impfen und Testen ist der Weg zurück in die Normalität - und dabei kann Normalität aber nicht nur heißen, dass Friseurbesuche ohne Test möglich sind und die Ausgangsbeschränkung nicht gilt, sondern Normalität heißt auch Zugang zu Kultur, Gaststätten und Hotels“, sagte etwa CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt der Bild am Sonntag.
Ungeklärt scheint auch die Frage, wie mit Lockerungen für Getestete zu verfahren ist*. Dabei könnte auch dieser Punkt in Bälde virulent werden. Noch seien 90 Prozent der Deutschen nicht komplett durchgeimpft, „von daher führen zurückgegebene Rechte dann wieder zu neuen Ungerechtigkeiten“, sagte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) dem Tagesspiegel am Sonntag. Möglich scheint, dass die Koalition schnell zu einer Lösung kommt - die aber so viele Frage offen lässt, dass direkt die Forderung nach Nachbesserungen ins Haus steht. (fn/dpa/AFP) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.