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CSU-Rebell Gauweiler fordert Friedrich Merz: „Er hat die nötigen Eier“

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Von: Mike Schier, Christian Deutschländer, Georg Anastasiadis

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Peter Gauweiler
CSU-Mitglied seit 1968: Rechtsanwalt und Ex-Minister Peter Gauweiler. © Sven Hoppe/imago

CSU-Rebell Peter Gauweiler (72) spricht im Interview über die Wahlklatsche, Söder und konservative Politik, die Zukunft hat.

München - Von unten ist leise das Quietschen und Klingeln der Trambahn zu hören. Draußen auf dem Balkon flattert eine große weiß-blaue Fahne im starken Herbstwind. Der Blick von hier, sechster Stock am Lenbachplatz, reicht über die Innenstadt auf die markanten Doppeltürme der Frauenkirche. Mittendrin, aber dem Lärm irgendwie entrückt: Das Büro in Münchner Toplage passt zu dem Herrn, der es bezogen hat. Peter Gauweiler (72) zeigt Gästen gern den Ausblick. Wir sind mit ihm, dem Ex-Minister, früheren Parteivize, für ein Gespräch über die CSU verabredet: eine Draufsicht auf eine Partei, die im politischen Sturm derzeit arg zerzaust wird – Verlust der Regierungsbeteiligung in Berlin, Absturz in Bayern auf jämmerliche 30 plus x.

Herr Gauweiler, wie würden Sie den aktuellen Gemütszustand Ihrer Partei beschreiben? (Sehr lange Pause. Er schnauft, gestikuliert stumm, ringt um Worte.)

Peter Gauweiler: Hm – vielleicht mit dem irischen Lyriker Samuel Beckett: „…wieder versuchen, wieder scheitern – besser scheitern.“ Oder, noch passender, mit Friedrich Hölderlin: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“.

Das Rettende schrumpft doch: Nur noch 31 Prozent bei der Bundestagswahl, Parteiaustritte, die JU streicht das „Zugpferd Söder“ aus einem Vorstandspapier. Brechen für den lange so unangefochtenen Parteichef jetzt ungemütliche Zeiten an?

Gauweiler: Söder bleibt, was er ist: ein führungsstarker und höchst fantasievoller Politiker. Das bestreiten ja auch seine Kritiker nicht. Franz Josef Strauß hat mir mal aus China ein Schriftzeichen mitgebracht, das eine doppelte Bedeutung hatte, die auch die Lage unseres CSU-Vorsitzenden von heute kennzeichnet: ein und dasselbe Emblem für „Krise“ und „Chance“. Ältere werden sich noch an 1969 erinnern: Damals, nach der schweren Niederlage der Union gegen Willy Brandt, begann für die CSU eine unglaubliche Erfolgs-Phase, mit allerbesten Ergebnissen, bis über 60 Prozent. Der Gang in die Opposition in Berlin eröffnet einem Politiker, der etwas taugt, große Möglichkeiten, gerade von Bayern her.

Sie haben über Wahlverlierer schon bitterer geurteilt. 2017 sagten Sie über Seehofer den aller bösesten Satz: „Die Verantwortlichen sind gewogen und für zu leicht befunden worden.“ Söder wiegt also noch genug?

Gauweiler: Das war nicht „allerbös“. Auch Niederlagen trägt man gemeinsam: Jetzt sollten wir einerseits nicht gleich in Sack und Asche gehen, andererseits aber auch nicht beleidigt alles angiften, was die Ampel plant.

Sondern? Was konkret muss Söder jetzt tun?

Gauweiler: Alternative in der Person sein und in der Sache. Und für die Bayern, überall wo es geht, den Weg ins Freie suchen und durchsetzen. Dem Wahlkampf mit seiner propagandistischen Angst vor Rot-Grün lag ja keine belastbare Strategie zugrunde: Eine Union, die – von der Einwanderung über die Quote bis zur Schuldenunion – sich von dem, was SPD und Grüne fordern, nur in Marginalien unterscheidet, warnte so faktisch vor sich selber. Viele der angeblich „gravierenden Unterschiede“ zwischen der real existierenden Union und Rot-Grün waren doch nur noch auf dem Millimeterpapier erkennbar.

Die Union braucht neue Themen, einen klareren Kurs?

Gauweiler: Es bringt nichts, nur auf „Klima“ zu setzen oder ständig von „Digitalisierung“ zu reden. Das eine haben die Grünen besetzt, das andere war als Worthülse durchschaut.

Also irrte Söder mit dem heftigen Umarmen von Bäumen?

Gauweiler: Achtung, Umweltschutz ist ein klassischer CSU-Wert und Sie sprechen gerade mit einem ehemaligen Umweltminister. Bayern hat schon vor über einem halben Jahrhundert als erstes Land der Welt sein Regierungsprogramm ressortpolitisch auf den Umweltschutz erweitert, was damals in ganz Europa als beispiellos galt. Wir hatten eine Energiepolitik aufgelegt, die – lange vor der CO2-Debatte – in einem Mix aus Kernenergie und Wasserkraft voll auf die Schonung der Atmosphäre angelegt war. Schon in den 90ern kam bei uns die Photovoltaik dazu – wieder vor allen anderen in Deutschland. Politik ist Problemlösen, auch beim Klimawandel, und nicht demagogische Apokalyptik. Der neue Physik-Nobelpreisträger Klaus Hasselmann hatte völlig Recht, als er dieser Tage ausdrücklich ablehnte, von der „Klimakatastrophe“ zu sprechen. Der Klimawandel ist keine Katastrophe, sondern Herausforderung, mit einem Problem klarzukommen. Aufgabe der CSU ist, die Leute nicht verrückt machen zu lassen und in Furcht und Schrecken zu jagen.

Aufgabe der CSU ist, die Leute nicht verrückt machen zu lassen und in Furcht und Schrecken zu jagen

Franz Josef Strauß Dr. Peter Gauweiler
Zwei konservative Urviecher: der junge Peter Gauweiler (re.) mit seinem Mentor Franz Josef Strauß auf dem Sommerempfang des Landtags Schloss Schleißheim (1987). © Heinz Gebhardt/imago

Sie sind der CSU 1968 beigetreten, als andere für Brandt schwärmten...

Gauweiler: ...oder für Mao und Lenin!

...würden Sie der Söder-CSU heute noch beitreten, wäre das Ihre Heimat?

Gauweiler: Natürlich. Die CSU ist nach wie vor die erfolgreichste Partei Europas. Sie hat über Jahrzehnte die Politik mit einer Rechts-Links-Mischung in ganz Deutschland belebt und vorangebracht. Und sie beherrscht beim politischen Volkstanz den „Zwiefachen“, also den Wechsel vom Zweiviertel- in den Dreiviertel-Takt und zurück. Das heißt: sozial und kapitalistisch handeln, heimattreu und weltverbunden, christlich und freigeistig.

CSU in der Krise? Gauweiler benennt größten politischen Corona-Folgeschaden

Gauweiler mit Markus Söder im Bierzelt, ein Foto aus dem Jahr 2011.
„Ein höchst fantasievoller Politiker“: Gauweiler mit Markus Söder im Bierzelt, ein Foto aus dem Jahr 2011. © Astrid Schmidhuber/imago

Muss die Union wieder ein Stück ideologischer werden, weltanschaulicher?

Gauweiler: Unbedingt! Da gibt es viele Themen. Nehmen Sie beispielhaft nur die Familienpolitik. Rücksichtnahme und Taktgefühl für unterschiedliche Lebensentwürfe sind selbstverständlich, aber wir brauchen deswegen nicht die Geschlechterordnung durcheinanderbringen zu lassen oder das Idealbild einer intakten Vater/Mutter/Kind-Familie aufzugeben. Es war auch richtig, die Interventionsstrategie in Sachen Corona, wie zuvor schon bei anderen übertragbaren Krankheiten, offensiv zu verteidigen. Die heutigen Einwände gerade der politischen Rechten dagegen kann ich nicht verstehen. Was soll das? Natürlich war auch die Maskenpflicht richtig. Andere anhusten und anstecken zu können, ist eine missverstandene Form von Freiheit! Die Kampagne für das Impfen sollte eher stärker sein. Ich begreife nicht das Zögern der Politik in Sachen gesetzliche Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen.

Sagt der Anwalt, der auch Gegner der Corona-Maßnahmen vertritt...

Gauweiler: Aber hallo, da geht es um das Kneifen der großen Versicherungsunternehmen, für versicherte Schäden einzustehen, was ich für skandalös halte. Und um das unverhältnismäßige Sonderopfer privater Unternehmen im Vergleich zu Staatsbetrieben. Sich dagegen wehren zu können, hat etwas mit dem zu tun, was man Rechtsstaat nennt, und zu korrigieren, was auch im Staat im Detail falsch laufen kann. Aber nichts falsch macht nur der, der gar nichts macht – und das wäre in dieser Krise das Schlimmste gewesen.

Stichwort Masken: Sie haben eine gemeinsame Kanzlei mit Alfred Sauter. Wie viel haben seine Masken-Affären die CSU gekostet?

Gauweiler: Am meisten geschadet hat – von den monatelangen Verzögerungen beim Impfbeginn durch EU-Einschaltung abgesehen –, dass die Sanitätsdepots auf null waren, als die Seuche ausbrach. Genutzt haben aber auch nicht die Überreaktionen gegen Alfred Sauter, nach dem Motto: Du hast keine Chance, nutze sie. Erst das Urteil, dann das Verfahren. Skandalisierung und das persönliche Fertigmachen sind eine jahrzehntelange Strategie der Gegner der CSU, die aber auch diesen bekanntlich nie etwas gebracht hat. Es ist eine bestimmte Sorte Mensch in Politik und Medien, die davon nicht lassen können.

Zurück zur CSU. Was muss noch sein bei der Neujustierung: Ein anderer Kurs bei der Migration, doch weniger Merkel-2015-Rechtfertigung?

Gauweiler: Damals gab es für einen Moment einen gesetzlosen Zustand: Entweder hätte der Bundesgrenzschutz seine gesetzlichen Aufgaben an der Grenze erfüllen müssen oder der Bundestag ihn durch einen förmlichen Parlamentsbeschluss mit Zustimmung der Länder davon befreien. Beides ist nicht geschehen. In der Rückschau: viel verschüttete Milch. Aktuell ist mir unbegreiflich, dass man die Hunderttausende, die – legal oder nur geduldet – nun einmal im Land sind, meistenteils nicht arbeiten lässt. Obwohl überall Hilfskräfte fehlen. Im Papier der Berliner Ampel-Koalitionäre gibt es dazu Änderungsvorschläge, die gar nicht so schlecht sind.

Wir wollen noch mal auf die Wahl schauen. Wäre Söder der bessere Kanzlerkandidat gewesen?

Gauweiler: Ich war sehr dafür, dass er unser Kandidat wird. Das schließt Respekt und dann im Wahlkampf Unterstützung für Armin Laschet, der ein tüchtiger Ministerpräsident war und von dem für Deutschland so positiven rheinischen Katholizismus geprägt ist, nicht aus. Auch nicht ein gutes Wort nach der Wahl, als alle über ihn hergefallen sind.

Kritiker sagen, dass Söder mit seinen Illoyalitäten im Wahlkampf zur Niederlage beigetragen hat. Sehen Sie das auch so?

Gauweiler: Vergessen Sie bitte nicht, was zuerst war: Dieses merkwürdige nächtliche Treffen im Reichstagsgebäude, wo die CDU-Kaziken – leider auch Wolfgang Schäuble – den bayerischen Ministerpräsidenten in einer Weise angegangen sind und seine Kandidatur zu entwerten versucht haben, die für jeden Außenstehenden bis heute unerklärlich ist (Ein Kazike ist ein Häuptling bei der indigenen Bevölkerung in Südamerika, Anmerkung d. Red.). Alles, was später geschah, kann nur aus dieser Vorgeschichte erklärt werden. Ich war schon immer dafür, dass die CSU bei der Bundestagswahl mit einem eigenen Spitzenkandidaten antritt. Zumal der Kanzler gar nicht von der Bevölkerung gewählt werden darf.

CSU-Urgestein Gauweiler: Friedrich Merz hätte die nötigen „Eier“ für die Aufgabe des Vorsitzenden

Ist da etwas zerbrochen in der Union, dauerhaft?

Gauweiler: Ich kann mich nicht erinnern, dass das je normal zugegangen ist. Schauen Sie bitte in Ihrem Zeitungsarchiv nach! Und den historischen Konflikt zwischen uns Bayern und den anderen gibt es schon seit Tassilo und das ist über 1200 Jahre her.

Trotzdem gibt es aufgeregte Stimmen, die vor Zersplitterung warnen. Droht der Union das Schicksal der italienischen Democrazia Cristiana, die im internen Streit für immer Splitterpartei wurde?

Gauweiler: Die Gefahr besteht, deshalb ist das Immer-Wieder-Zusammenreißen auch eine Daueraufgabe. Der Jahrhundert-Erfolg der Bundesrepublik fußte auf einer schwarzen und einer roten Säule, die von der Mitte aus Rechts und Links stabilisiert haben. Im Moment hat man den Eindruck einer gewissen Materialermüdung. Die Democrazia Cristiana ist zerfallen aus Überdruss an sich selbst und an ihren Flügelkämpfen. Jetzt sind an ihre Stelle aggressive Kleinparteien, rechte Abspaltungen und Instabilität getreten. Wollen wir das auch für uns? Noch kann Bayern mit seiner inneren stabilen Struktur dagegenhalten. Eine CSU, die ihren Aufgaben und sich selbst treu bleiben will, muss dafür sorgen, dass das so bleibt.

Wenn Söder Ihre Ratschläge beherzigt: Ist eine absolute Mehrheit 2023 ernsthaft wieder drin?

Gauweiler: Ja klar! Schauen Sie doch nur die Ergebnisse an: Weit mehr als die Hälfte der Wähler positionieren sich rechts von der SPD und den Grünen, wie immer man das sonst beurteilt. Das jedenfalls ist unverändert seit über 50 Jahren. Und um diese Breite der Wählerschaft müssen wir uns halt wieder viel stärker kümmern. Wir müssen aufhören damit, dass uns 50 linke Berliner Redakteure wichtiger sind als 5000 CSU-Mitglieder in Bayern.

Gerade sucht auch die CDU einen Vorsitzenden, und viele an der Basis wünschen sich Friedrich Merz, einen Konservativen wie Sie. Hat das Zukunft?

Gauweiler: Natürlich. Die Vorsitzendenwahl wäre schon 2018 anders gelaufen, hätte Merz bei seiner Parteitagsrede keinen schlechten Tag gehabt. Er ist einer, der die nötigen „Eier“ für die Aufgabe des Vorsitzenden hat, sollte der Posten von einem Mann besetzt werden

Das Gespräch führten Georg Anastasiadis, Mike Schier und Christian Deutschländer. *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA

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