„Flüchtlingszahlen steigen stetig“: Seehofer mit Grenz-Versprechen an Polen und Attacke auf Belarus

Innenminister Seehofer kritisiert Belarus dafür, „Migranten als politische Waffe“ einzusetzen. Die Grenze zu Polen soll geöffnet bleiben, doch für Griechenland könnte sich etwas ändern.
Berlin - Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will über eine verstärkte Zusammenarbeit mit Polen und der EU gegen die Weiterreise von über Belarus kommenden Flüchtlingen nach Deutschland vorgehen. Polen solle „jede Unterstützung angeboten werden, den Außengrenzschutz im Rahmen des geltenden Rechts effizient umzusetzen“, heißt es in einem Bericht Seehofers zur Sitzung des Bundeskabinetts am Mittwoch. Mit der EU will er demnach weitere Länder in Nahost und Afrika dazu bringen, Flüge mit Flüchtlingen nach Belarus einzustellen.
Migration an deutsch-polnischer Grenze: „Zahlen steigen stetig“
„An der deutsch-polnischen Grenze wurden im Zuge intensivierter Binnengrenzfahndungsmaßnahmen bereits über 5700 Flüchtlinge und Migranten unter anderem mit Visa für und Einreisestempeln von Belarus festgestellt“, heißt es nach AFP-Informationen in Seehofers Bericht. „Die Zahlen steigen stetig.“ Am Wochenende haben Bundespolizisten fast 500 unerlaubt eingereiste oder eingeschleuste Migranten in Gewahrsam genommen. Derzeit warteten „circa 15.000 Migranten in Belarus auf eine Weiterreise nach Westen“.
Von Januar bis September gebe es einen „Zugang von Asylbewerbern in die Bundesrepublik Deutschland von circa 80.000“, erklärte Seehofer in einer Pressekonferenz am Mittwoch (20. August). Die meisten kämen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und zuletzt verstärkt auch aus der Türkei. Die Zahlen bewegen sich in einem normalen Rahmen, führte Seehofer aus. Vergleiche zu 2015 und 2016 würden sich verbieten. „Das waren ganz andere Größenordnungen.“
Seehofer wirft Belarus „staatlich organisierte oder zumindest unterstützte Schleusertätigkeit“ vor
Die Bundesregierung und die EU werfen dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Afrika gezielt in die EU zu schleusen. Motiv ist demnach Vergeltung für europäische Sanktionen, die sich gegen Menschenrechtsverstöße in Belarus richten. Der Kabinettsbericht fordert nun „ein entschlossenes Vorgehen gegen die Instrumentalisierung von Migration durch Belarus“.
Lukaschenko hatte Ende Mai als Reaktion auf verschärfte westliche Sanktionen gegen sein Land angekündigt, dass Minsk Migranten nicht mehr an der Weiterreise in die EU hindern werde. Seitdem mehren sich Meldungen über versuchte irreguläre Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen zu Belarus sowie an der deutsch-polnischen Grenze. Seehofer kritisiert Lukaschenko für diesen Kurs: „In Belarus und durch Belarus findet eine staatlich organisierte oder zumindest unterstützte Schleusertätigkeit statt“, sagte er. Seehofer betonte, die Bundesregierung sei der Ansicht, dass letztlich „der Schlüssel zur Lösung des Problems wohl in Moskau liegt“. Russland ist ein enger Verbündeter von Belarus, das wirtschaftlich stark abhängig von Moskau ist.
Seehofer attackiert Belarus: „Das ist eine Form der hybriden Bedrohung“
Mit europäischen Partnern habe Deutschland bereits erreicht, dass Flüge aus dem Irak eingestellt worden seien, führte Seehofer aus. Es sei aber „festzustellen, dass das Regime in Belarus die Liste von Staaten, deren Staatsangehörige visumfrei einreisen können, kontinuierlich erweitert“. Seehofer nannte den Iran, Pakistan, Südafrika, Ägypten und Jordanien. „Das ist eine Form der hybriden Bedrohung, in dem man Migranten als politische Waffe einsetzt. Das ist ein großes Problem, das wir nur gemeinsam lösen können.“
Daher wollen sich Seehofer und das Innenministerium intensiv mit Polen absprechen und das Nachbarland unterstützen. „Eine Schließung der Grenze - das haben wir heute kurz angeschnitten - ist von niemandem beabsichtigt und wäre auch rechtlich sehr, sehr fragwürdig.“ Darüber, dass die Grenzen geöffnet bleiben, sei man sich im Kabinett „vollkommen einig“ gewesen. Seehofer betonte, dass Polen bereits „sehr starke Initiativen“ ergriffen habe, um die Einreise von Flüchtlingen aus Belarus zu verhindern.
Der Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, hatte vor wenigen Tagen zumindest temporäre Kontrollen gefordert und dies in einem Schreiben an Seehofer mit einem „explosionsartigen“ Anstieg der Zahl der Aufgriffe illegal einreisender Migranten begründet.
Horst Seehofer: Dublin-Verfahren funktioniert nicht zufriedenstellend - Vorübergehende Grenzkontrollen in Griechenland werden geprüft
Das sogenannte Dublin-Verfahren, wonach ein Schutzsuchender in dem EU-Land einen Antrag stellen muss, wo er zuerst von den Behörden registriert wurde, funktioniere nicht zufriedenstellend, sagte Seehofer. Demnach wurde in den ersten neun Monaten dieses Jahres lediglich ein Asylbewerber aus Deutschland in den zuständigen EU-Mitgliedstaat Griechenland überstellt - bei über 7100 Übernahme-Ersuchen. „Das kann nicht so bleiben“, sagte Seehofer. Nach Italien seien nach den Dublin-Regeln bei über 4000 Anfragen von deutscher Seite lediglich 158 Menschen gebracht worden.
Im Falle Griechenlands verhindern in der Regel die Lebensbedingungen für Asylbewerber die Rücküberstellung. Denn deutsche Gerichte haben festgestellt, dass Schutzsuchenden dort Obdachlosigkeit und Not drohten. Das Bundesinnenministerium drängt wohl auch deshalb darauf, dass die griechische Regierung deutsche Unterstützung bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Griechenland akzeptiert und eine entsprechende Absichtserklärung umsetzt. Seehofer habe mit seinem griechischen Kollegen dahingehend „hart verhandelt“, eine Antwort stand am Mittwochmittag noch aus.
Das Innenministerium denkt auch über vorübergehende Grenzkontrollen bei Einreisen aus Griechenland per Flugzeug nach. Denn ein Teil der sogenannten Sekundärmigration von Griechenland nach Deutschland geschieht auf dem Luftweg. Seehofer sagte dahingehend: „Das wäre eine sehr wirksame Maßnahme, die ich auch ergreife, wenn es nicht zu einem gemeinsamen Vorgehen mit Griechenland kommt.“ (dpa/AFP/as)