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Wird Moldau Russlands nächstes Opfer? „Wir stehen auf Putins Plan“

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Von: Marcus Mäckler

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Gekaufte Demonstranten: Anhänger der Shor-Partei ziehen am vergangenen Sonntag durch Moldaus Hauptstadt Chisinau.
Gekaufte Demonstranten: Anhänger der Shor-Partei ziehen am vergangenen Sonntag durch Moldaus Hauptstadt Chisinau. © DANIEL MIHAILESCU/AFP

Der Ukraine-Krieg trifft auch das kleine Moldau mit Wucht. Dem Kreml ist das recht: Er schürt Unruhe und will das Land von innen heraus ins Wanken bringen.

Chisinau – Wladimir Putin ist längst da, zumindest auf dem Papier. Von einem schulterhohen Regal guckt er in das kleine Büro von Irina Tabaranu, drei Schreibtische, Stühle, ein großes Fenster, Blick auf viele stumme Dächer. Natürlich ist es nicht der leibhaftige Putin, der da schaut, sondern sein Porträt, gedruckt auf eine Rolle Klopapier. Ein runder Kopf pro Blatt, Wisch-Qualität extrarau. Auch ein Text steht da und wenn man Irina fragt, was die Buchstaben bedeuten, dann lacht sie leise.

Die 26-Jährige mit dem sanften Gesicht ist Journalistin in Chisinau, der Hauptstadt der Ex-Sowjetrepublik Moldau. Ihr Spezialgebiet: Transnistrien, jener Landstrich im Osten, der zu Moldau gehört, aber von prorussischen Separatisten kontrolliert wird. Ein Vorhof des Kreml. Lange arrangierte man sich in Chisinau damit. Aber seit der Krieg in der benachbarten Ukraine tobt, liegen die Dinge anders. Plötzlich schaut die Welt sorgenvoll auf ein Land, das zuvor nur wenige interessierte.

Moldau gehört zu den ärmsten Staaten Europas – und inzwischen auch zu den gefährdetsten. Fast täglich droht Moskau der pro-europäischen Regierung in Chisinau. Gerüchte über einen Umsturz machen die Runde. Es war Moldaus Präsidentin Maia Sandu, die kürzlich öffentlich vor Saboteuren und einem Staatsstreich warnte, die US-Regierung stimmte zu. „Ich bin mir 100-prozentig sicher, dass wir auf Putins Plan stehen“, sagt auch die Investigativ-Journalistin Tabaranu. Die Frage ist nur: Was plant er?

Ukraine als Bollwerk gegen Putins Truppen – Fällt Odessa, dann fällt Moldau

Die Furcht war schon mal sehr konkret. Als Russland im Frühjahr 2022 die ukrainische Hafenstadt Odessa angriff, da konnten sie hier im drei Autostunden entfernten Chisinau die Explosionen hören. Die Panik wuchs, umso mehr, als die Kreml-Truppen auf die weiter östlich gelegenen Städte Cherson und Mykolajiw marschierten. „Wir traten damals öffentlich auf, um die Leute zu beruhigen“, sagt Vitalie Stoian, ein bulliger Mittfünfziger mit rahmenloser Brille und Bürstenschnitt. „Hätten die Russen Odessa erobert, wären sie bald in Transnistrien gewesen und hätten uns angegriffen.“ Man ahnte: Fällt Odessa, dann fällt Moldau.

Stoian ist Brigadegeneral a.D. und war Chef der moldauischen Armee, die stolz ist, aber mit 6000 Soldaten auch ziemlich klein. Wie viele im Land macht er sich keine Illusionen. „Russland sieht uns noch immer als Teil der Sowjetunion“, sagt er weit zurückgelehnt in einem Stuhl. Böte sich die Chance, würde Putin Moldau schlucken. Aber solange die Ukraine standhält, ist ihm der Weg versperrt.

Man hört das oft hier in Chisinau: Die Ukraine ist das Bollwerk gegen Putins Truppen. Allerdings stehen im Kreml-hörigen Transnistrien schon russische Soldaten, und zwar nicht nur jene 400, die Moskau seit 1992 im Rahmen einer „Friedensmission“ stellt. „Es gibt noch eine operative Angriffseinheit, die total illegal dort ist“, sagt die Journalistin Irina.

Rund 1700 Soldaten, die meisten Transnistrier mit russischem Pass. Wie gut sie ausgerüstet sind, ist schwer zu sagen. Es heißt, seit der Krim-Annexion 2014 sei kein neues Gerät mehr aus Russland dorthin gelangt. Genau weiß das niemand. Zur Sicherheit hält selbst die Ukraine Soldaten an der Grenze stationiert.

Putins nächste Opfer? Moldaus Regierung ist für den Kreml eine Provokation

Vor dem Regierungsgebäude, einem grauen Klotz im sonst fast westlich anmutenden Zentrum der Hauptstadt, stehen Anfang März noch Reste des Weihnachtsmarkts, Buden, Fahrgeschäfte. Kaum jemand ist dort, die Musik dröhnt trotzdem laut. Hier munkelt man, der Russland-nahe Bürgermeister wolle das so, um die Regierung bei der Arbeit zu stören. Aber Dorin Recean beklagt sich nicht.

Der 48-Jährige war Sicherheitsberater der Präsidentin, seit einem Regierungswechsel Anfang Februar ist er Ministerpräsident. Im Westen nahm man den Rücktritt seiner Vorgängerin besorgt auf, fürchtete ein Schwächeln der Europa-freundlichen Regierung. In Chisinau heißt es indes, die Sache sei länger geplant gewesen, kein Grund zur Unruhe. Tatsächlich will Recean sein Land, das seit Mitte 2022 EU-Beitrittskandidat ist, schnell an Brüssel heranführen. Für den Kreml ist diese Regierung eine ähnlich große Provokation wie die Führung in Kiew.

Recean sieht derzeit zwar keine militärische Gefahr für sein Land, „weder von Russland, noch von Transnistrien aus“. Es gebe aber Versuche, Moldau von innen heraus ins Wanken zu bringen. „Wir haben es mit kriminellen Gruppen zu tun, die versuchen, die Regierung zu destabilisieren.“ Russland führe einen hybriden Krieg gegen sein Land.

Zwischen Brüssel und Moskau: Kreml nutzt Zerrissenheit in Moldau aus

Es läuft so wie auf der Krim oder im Donbass. Russische Medien beschallen die Menschen mit Propaganda, behaupten, die Ukraine habe den Krieg provoziert und wolle auch Transnistrien angreifen. Viele schenken dem Glauben, auch weil es in Teilen der Bevölkerung noch alte Sympathien für Russland gibt. Eine neue Umfrage der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung zeigt, dass sich 34 Prozent der Moldauer engere Beziehungen zu Moskau wünschen, 48 Prozent wollen in die EU. Die Zahl geht zurück.

Der Kreml macht sich die Zerrissenheit zunutze. Dabei kann er auf willige Helfer wie die Shor-Partei zählen, die seit einigen Wochen Proteste in Chisinau organisiert. Hintermann ist der moldauische Kreml-Freund und Oligarch Ilan Shor, der sich 2019 nach Israel absetzte, um einer Haftstrafe zu entgehen. Shor war in den Diebstahl von über 750 Millionen Dollar aus dem moldauischen Bankensystem verwickelt. Er ist Teil jenes korrupten Systems, das das Land lange in seinen Fängen hatte, und mit dem die aktuelle Regierung aufräumen will.

Um für die Proteste Masse zu erzeugen, lässt die Shor-Partei meist Ältere und Arme von außerhalb busseweise in die Hauptstadt karren. Offiziell demonstrieren sie gegen die explodierenden Energiepreise, dabei ist es kein Geheimnis, dass die Teilnehmer fürs Kommen bezahlt werden. Nicht mal die Shor-Partei leugnet das, hat aber eine Erklärung parat: Das Geld mache es armen Menschen erst möglich zu kommen.

Unruhe in Moldau: Die Proteste sind gekauft, aber der Frust echt

Viele sehen die Proteste skeptisch. Etwa Boris, früher Agronom, jetzt Rentner, der in einem Park im Zentrum Chisinaus sitzt. „Die Demonstrationen sind nicht seriös“, sagt er, warm lächelnd, während vom Café nebenan französische Chansons rüberwehen. Die Demonstranten sollten sich schämen. „Wichtiger wäre es, dass der Krieg aufhört.“ Und wer den angefangen habe, das wisse man ja.

All das heißt nicht, dass es keinen Frust in der Bevölkerung gäbe, im Gegenteil. Die Kollateralschäden des Krieges treffen das kleine Land hart. Rund 100.000 Ukrainer sind wegen des Krieges hierher geflohen, unzählige mehr haben das Land auf ihrem Weg nach Westen durchquert. Für Moldau, das so groß ist wie Baden-Württemberg und gerade 2,6 Millionen Einwohner hat, eine gewaltige Belastung.

Dazu kommen die Energiekosten, deren Anstieg ebenfalls auf die Rechnung des Kreml geht. Im Oktober drosselte er die wichtigen Gaslieferungen um ein Drittel, die Preise stiegen um das Siebenfache, die Inflation liegt heute bei 30 Prozent – und das in einem Land, in dem die monatliche Durchschnittsrente 128 Euro beträgt. Zwar setzte die Regierung einen Fonds auf, um den Preisschock abzumildern, auch die EU half mit hunderten Millionen Euro; der Ärger bleibt trotzdem an der Regierung hängen, deren Zustimmungswerte fallen.

Energie als Waffe: Auch Moldau in Teilen abhängig von Russland

Energie als Waffe. Wie lustvoll Wladimir Putin so Druck erzeugt, weiß man auch im Westen. Moldaus Regierungschef Recean sagt zwar, man sei heute völlig unabhängig von russischem Gas. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Denn der Gazprom-Konzern hält die Mehrheit am einzigen Gasversorger im Land und kontrolliert so die Leitungen, über die westliche Lieferungen nach Moldau kommen. Außerdem kauft Chisinau Strom, den die abtrünnigen Transnistrier aus russischem Gas herstellen. Ganz raus ist der Kreml also nicht.

Igor Munteanu macht das fassungslos. „Die Regierung verfolgt eine Politik des Status quo“, sagt er. Im Land sei sie deshalb auch nicht mehr sonderlich beliebt, jedenfalls nicht so wie im Ausland: „Gorbatschow-Syndrom“. Munteanu, ein kultivierter Typ mit scharfen Thesen, war früher Botschafter in den USA, jetzt will er in Moldau mitmischen. Kürzlich erst hat er eine liberale Partei gegründet, deren Zentrale wie eine verwaiste Hotellobby aussieht. Das mit dem Status quo ist auf Transnistrien bezogen, aber eigentlich auch auf alles andere.

Natürlich sei das Land abhängig von russischer Energie, natürlich stellte die transnistrische Armee mit ihren rund 6000 Soldaten – Paramilitärs nicht mitgerechnet – eine Bedrohung dar. Was, wenn sie sich mit den Kreml-Truppen zusammentun und Odessa angreifen? „Wie kann man nur so naiv sein, zu denken, sie täten das nicht?“ Munteanu findet, sein Land müsse die militärische Neutralität im Ukraine-Krieg aufgeben, Kurs Richtung Nato, und die Sanktionen mittragen. Es brauche mehr Resilienz. Sonst bleibe Russland ewig eine Gefahr.

Moldau: Das Drehbuch des Kremls ist immer gleich

Gesellschaftliche Spaltung, politische Unsicherheit. Beides nutzt dem Kreml. Das Projekt Destabilisierung ist aber nicht fehlerfrei. Am Wochenende erst nahm die moldauische Polizei ein offenbar vom Kreml gesteuertes Netzwerk auseinander, sieben Männer wurden festgenommen. Sie seien „aus Russland mit einer ganz bestimmten Aufgabe“ geschickt worden, sagte Polizeichef Viorel Cernauteanu. Möglich, dass sie bei einer der Shor-Demos Unruhe stiften sollten.

Der Kreml mag ein großer Manipulator sein, aber sein Drehbuch ist immer gleich. Das macht die Sache nicht weniger gefährlich, aber durchschaubar. Irina Tabaranu, die junge Journalistin in Chisinau, wirkt nicht so, als fürchte sie um ihr Land. Nicht jetzt. Sie schaut zum Klopapier-Putin und verrät, was dort steht. Zitabel ist das aber nicht. (Marcus Mäckler)

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