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Zehn Jahre „König Horst“ in Bayern: Die große Seehofer-Bilanz

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Von: Sebastian Dorn

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Wechsel nach Berlin: Horst Seehofer wirkt fortan als Innenminister und kehrt dem Freistaat den Rücken.
Wechsel nach Berlin: Horst Seehofer wirkt fortan als Innenminister und kehrt dem Freistaat den Rücken. © afp/John MacDougall

„Seehofer ist unser Obama“: So stand es auf einem Schild, mit dem der neue CSU-Chef und Ministerpräsident einst gefeiert wurde. Lang ist’s her. Am Dienstag tritt der 68-Jährige ab. Eine Bilanz.

München – Horst Seehofer führte die CSU zurück zur absoluten Mehrheit in Bayern – und in die historische Pleite bei der Bundestagswahl 2017. Er machte Stoiber-Reformen rückgängig und er sorgte für ein Ende der politischen Eiszeit mit dem Nachbarn Tschechien. Er hinterlässt aber auch Baustellen. Heute Abend wird die knapp zehnjährige Amtszeit Seehofers als Regierungschef vorbei sein. „Auch wenn ich mich jetzt verabschiede, bleibt Bayern das Paradies, und das Amt des Ministerpräsidenten das schönste nach dem Heiligen Vater“, sagt der 68-Jährige. Ein Rückblick:

Der Anfang

Am Anfang der Ära Seehofer in Bayern stand ein heftiger CSU-interner Machtkampf. Nach dem Landtagswahlfiasko 2008 mit dem Verlust der absoluten Mehrheit gab es vier Bewerber für den frei gewordenen Ministerpräsidenten-Posten – und Seehofer siegte. Als „letzte Patrone im Colt der CSU“, wie der Politologe Heinrich Oberreuter sagte, wurde Seehofer von Berlin nach München geholt. „Das ist der größte Moment in meinem politischen Leben“, erklärte er am 27. Oktober 2008 zu seiner Wahl durch den Landtag. Er führte die erste Koalitionsregierung seit mehr als vier Jahrzehnten, aus CSU und FDP.

Weichen und Wenden

Seehofer hat fast alle Reformen aus der Ära Stoiber rückabgewickelt. Er vollzog die Rückkehr von der 42- zur 40-Stunden-Woche für Beamte; er sorgte, getrieben von einem Volksbegehren, für die Abschaffung der Studiengebühren; und zuletzt kehrte er vom acht- zum neunjährigen Gymnasium zurück, aber erst nach jahrelangem Zaudern. Weitere Kehrtwenden während Seehofers Amtszeit auch als Parteichef bleiben in Erinnerung: die Abschaffung der Wehrpflicht, der Atomausstieg, das Hin und Her beim Rauchverbot.

Mit ihm bleiben außerdem verbunden: der geplante Münchner Konzertsaal, das Mammutprojekt Behördenverlagerung, die neue Augsburger Uniklinik, die geplante Uni in Nürnberg und ein Heimatministerium. Diese Idee exportiert er nun auch auf Bundesebene. Die von ihm gepredigte „Koalition mit den Bürgern“ trieb Seehofer auf die Spitze, als er dafür sorgte, dass zwei geplante Mega-Stromtrassen unter der Erde verlaufen werden – trotz immenser Mehrkosten. Bis heute umstritten ist dagegen der durchgeboxte Mindestabstand für neue Windräder.

Krisen und Katastrophen

Seehofers erste Amtszeit begann mit einer großen Krise: Kaum im Amt, musste die Regierung die BayernLB mit einer Finanzspritze von zehn Milliarden Euro vor der Pleite retten. Die Bank blieb lange Sorgenkind, etwa wegen des Skandals um die BayernLB-Tochter Hypo Alpe Adria.

Die Verwandtenaffäre um Abgeordnete, die enge Familienangehörige in einem gesetzlichen Graubereich als Mitarbeiter beschäftigten, brachte die CSU vor der Landtagswahl 2013 ins Wanken. Mehrere Parlamentarier verloren ihre Posten.

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Seehofer mit dem Symbol der Abgeordneten-Affäre, Georg Schmid. © dpa / Karl-Josef Hildenbrand

Das liebe Geld

Am Anfang standen zehn Milliarden Euro neue Schulden auf einen Schlag. In den ersten Jahren musste Seehofers Regierung zudem mit sinkenden Steuereinnahmen klarkommen. Als es mit den Einnahmen wieder aufwärts ging, gab man das Geld mit vollen Händen aus, unter anderem für tausende neue Stellen. Sprudelnde Steuereinnahmen machten das Regieren leichter. Der Oberste Rechnungshof mahnte mehrfach – aber nur zum Teil erfolgreich: Der Etat 2018 sprengt erstmals in der Geschichte die 60-Milliarden-Euro-Marke. Das von der CSU selbst gesteckte Ziel, das Ausgabenwachstum auf drei Prozent pro Jahr zu begrenzen, wird klar verfehlt.

Personalquerelen

Seehofer hat in zehn Jahren Regierungszeit mehrere Minister und Staatssekretäre verloren, unter anderem Staatskanzleichefin Christine Haderthauer, die über die Modellauto-Affäre stürzte. Auf partei- und bundespolitischer Ebene lief Karl-Theodor zu Guttenberg Seehofer zeitweilig den Rang ab, bis er, fast schon Bundeskanzler in spe, über die Affäre um seine Doktorarbeit stürzte.

Guttenberg und Seehofer
Karl-Theodor Guttenberg machte dem Alphatier parteipolitische Konkurrenz, dann stolperte er über seine Doktorarbeit. © dpa / Marcus Führer

Seehofer gilt vielen in seiner Partei als beratungsresistent, als Einzelgänger. Seine Kritiker werfen ihm einen fast absolutistischen Führungsstil vor. Es verging deshalb kaum ein Jahr, in dem er nicht mit seiner Partei und speziell der Landtagsfraktion aneinandergeraten wäre. Als „Kleinstrategen“ und „Leichtmatrosen“ geißelte er seine Leute, gerne in aller Öffentlichkeit.

Wahlen

In seiner Doppelfunktion als CSU-Chef und Ministerpräsident erlebte er Höhen und viele Tiefen. Bei der Europawahl 2009 feierte die CSU nach dem Landtagswahlfiasko 2008 eine Art Wiederauferstehung – doch schon bei der Bundestagswahl einige Monate später ging es wieder dramatisch bergab. Auf dem Höhepunkt war Seehofer im Herbst 2013, als die CSU unter seiner Führung die absolute Mehrheit im Landtag zurückholte und bei der Bundestagswahl wieder an die 50 Prozent herankam. Doch schon 2014 folgte das schlechteste Europawahlergebnis der CSU-Geschichte, auch wegen einer missglückten Wahlkampfstrategie Seehofers. Bei der Bundestagswahl 2017 sackte die CSU sogar unter die 40-Prozent-Marke.

Der „Außenminister“

Seehofer reist nicht gern, hat aber viele Länder besucht, einige mehrfach: Er war bei Wladimir Putin in Moskau, beim Papst, in China, Brasilien und auf der arabischen Halbinsel, in europäischen Ländern sowieso. Seine wichtigste Reise aber führte ihn kurz vor Weihnachten 2010 nach Prag. Das ist ein bleibendes Verdienst Seehofers: dass er, nach langem Streit um die Vertreibung der Sudetendeutschen, die Eiszeit beendet und ein neues Kapitel in den Beziehungen zu Tschechien aufgeschlagen hat.

Seehofer bei Putin
Auf einen Tee in Russland: Seehofer zu Besuch bei Wladimir Putin © dpa / Christoph Trost

Versprochen – gehalten?

„Versprochen – gehalten“: Mit diesem Satz tritt Seehofer gerne auf. Tatsächlich hat er Zusagen eingelöst, er hinterlässt aber auch Baustellen: 2012 verkündete er, Bayerns Staatsschulden bis 2030 komplett zurückzahlen zu wollen. Doch das Tempo beim Schuldenabbau lässt trotz sprudelnder Einnahmen zu wünschen übrig. Und dann Seehofers Ankündigung, Bayern bis 2023 komplett barrierefrei zu machen, „im gesamten öffentlichen Raum“: Sozialverbände und Kommunen zweifeln. Auch die Ankündigung, einen dritten Nationalpark zu schaffen, dürfte angesichts vieler Widerstände ein leeres Versprechen bleiben.

Das Ende

Unvergessen ist das Hin und Her Seehofers in Sachen Karriereende. Nach der historischen Pleite bei der Bundestagswahl 2017 verlor Seehofer quer durch die Partei rasant an Rückhalt. Heute ist sein letzter Tag im Amt des Ministerpräsidenten. Ein großes Ziel hat er am Schluss verfehlt: Markus Söder zu verhindern.

Die Reaktionen zum Abschied

Die CSU-Oberbayern-Chefin Ilse Aigner, die bis zuletzt zu Seehofer hielt, verabschiedet ihn mit sehr ehrlichen Worten. „Horst Seehofer hat für Bayern und die CSU Unglaubliches geleistet. Er hat aber auch seine Minister gut gefordert“, sagt Aigner unserer Zeitung. „Es gab durchaus auch Momente, in denen ich mit Horst Seehofer als meinem Chef uneins war und mit ihm gehadert habe.“ Und mit einem Lacher schiebt sie hinterher: „Vielleicht wird es wie so oft auch zwischen Eltern und erwachsenen Kindern. Mit der Entfernung wird die Beziehung einfacher.“

Als Vize-Ministerpräsidentin übernimmt Aigner zunächst kommissarisch die Geschäfte in der Staatskanzlei. Am Freitag soll dann der jetzige Finanzminister Markus Söder im Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Sein Verhältnis zu Seehofer gilt als zerrüttet – wie der scheidende Ministerpräsident reicht aber auch er zum Abschied offiziell die Hand. „Zehn Jahre Horst Seehofer waren gute Jahre für Bayern. Wir haben zum Wohl Bayerns immer gut zusammengearbeitet“, sagt Söder. Er sei sicher, dass das auch in Seehofers neuer Funktion als Bundesinnenminister so sein wird. „Gemeinsam können wir Doppelpass zwischen München und Berlin spielen.“

Christoph Trost/Sebastian Dorn

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