Obwohl es "toll" sei, zur Preisverleihung nach Straßburg zu kommen, "ist es wahrscheinlich auch genau so, wie der schlimmste Alptraum von meiner Familie und mir aussieht", sagte die Studentin der renommierten Stanford-Universität. Denn wenn sie im Namen ihres Vaters an verschiedenen Orten in der Welt Reden halte, bedeute dies, dass ihr Vater weiterhin im Gefängnis sitze.
Zugleich verwies Nawalnaja auf das Schicksal politischer Aktivisten, denen große Preise verliehen wurden. "Wo sind die Preisträger des letzten Jahres - die belarussische Opposition - jetzt? Größtenteils im Gefängnis." Der Friedensnobelpreisträger und chinesische Dissident Lui Xiaobo sei im Gefängnis gestorben.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell beglückwünschte Nawalny zum Sacharow-Preis, der dessen "mutige Arbeit, Korruption zu bekämpfen und Meinungsfreiheit in Russland zu verteidigen" anerkenne, "mit hohem Preis für ihn persönlich", schrieb Borrell im Onlinedienst Twitter.
Der 45-jährige Oppositionelle Nawalny ist einer der größten Widersacher von Russlands Staatschef Wladimir Putin. Er hatte im Sommer vergangenen Jahres einen Mordanschlag mit Nervengift überlebt, für den er den Kreml verantwortlich macht. Nach seiner Behandlung in Deutschland wurde Nawalny bei seiner Rückkehr im Januar in Russland festgenommen und später wegen angeblicher Verstöße gegen Bewährungsauflagen zu mehr als zwei Jahren Lagerhaft verurteilt.
Parlamentspräsident Sassoli bekräftigte bei der Verleihung des Sacharow-Preises die Forderung des EU-Parlaments, Nawalny sofort freizulassen. Die Vergabe des renommierten Sacharow-Preises an Nawalny dürfte vom Kreml als Affront aufgefasst werden. Die Beziehungen zwischen Russland und den westlichen Staaten sind derzeit wegen des Aufmarsches von russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine besonders angespannt.
Das EU-Parlament verleiht den Sacharow-Preis an Menschen, die sich "in besonderer Weise für die Menschenrechte" und für Demokratie eingesetzt haben. Nominiert für den diesjährigen Sacharow-Preis waren auch eine Gruppe afghanischer Frauen und die bolivianische ehemalige Übergangspräsidentin Jeanine Áñez, die in Haft sitzt. Die Auszeichnung ist nach dem 1989 gestorbenen russischen Dissidenten und Physiker Andrej Sacharow benannt.
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