Neue Seidenstraße: Das Mega-Projekt aus China

Die neue Seidenstraße ist ein in seiner Größe einzigartiges Projekt, das Europa und Asien auf dem Land- und Seeweg besser miteinander verbinden und entlang der Routen Infrastruktur schaffen soll. Viele der Projekte finanziert und realisiert China selbst.
Duisburg – Wenn die Container im Hafen von Duisburg auf Rheinschiffe geladen werden, haben sie eine über 11.000 Kilometer lange Reise per Zug von den Fabriken Chinas hinter sich. Duisburg ist einer der Endpunkte der sogenannten Neuen Seidenstraße, einem der ambitioniertesten Infrastrukturprojekte aller Zeiten. Der offizielle Name des von China angestoßenen Projektes lautet One Belt, One Road (ein Gürtel, eine Straße/BRI).
Mehr als 100 Länder haben Kooperationsverträge mit der Volksrepublik für den Bau von Bahnlinien, Straßen, Häfen und Flughäfen unterzeichnet. Rund eine Billion Dollar hat die Regierung in Peking bis 2025 für dieses umfassende Programm angekündigt. Fast 730 Milliarden Dollar hatte sie bis 2019 bereits investiert oder fest eingeplant.
Die Neue Seidenstraße: Der Hintergrund
Als „Seidenstraße“ wurden in der Antike die Karawanenwege bezeichnet, über die Seide aus China in die westliche Welt kam und europäische Güter nach Fernost transportiert wurden. Die bekannteste Route führte von Istanbul und Damaskus durch Persien über das Pamirgebirge und die Taklamakan-Wüste nach Xi‘an, das damals eine der größten Städte der Welt war - und phasenweise auch die chinesische Hauptstadt.
Weniger bekannt ist die maritime Seidenstraße, auf der Schiffe von chinesischen Häfen entlang der südostasiatischen Küste nach Indien, Arabien und Afrika fuhren. Mit dem Beginn der europäischen Eroberungszüge in Asien ab dem 15. Jahrhundert und dem wachsenden Seehandel begann der Abstieg der Seidenstraße als Handelsroute, bis sie ganz in Vergessenheit geriet.
Das Projekt „One Belt, One Road“ der chinesischen Regierung wird heute gerne als neue Seidenstraße bezeichnet, da sie an die Idee des Gütertransportes über Land zwischen China und Europa anknüpft. So wie die alte Seidenstraße mehrere Karawanen- und Seerouten umfasste, besteht auch die neue Seidenstraße aus einem ganzen Netz verschiedener Verkehrswege. Der Name One Belt, One Road bezieht sich auf die beiden wichtigsten Korridore.
Silk Road Economic Belt
Der Silk Road Economic Belt bezeichnet die Landwege, die von China ausgehend Asien durchziehen und bis nach Europa reichen. Insgesamt besteht die Neue Seidenstraße aus sechs verschiedenen Korridoren:
- China – Laos – Thailand – Malaysia – Singapur – Indonesien
- China – Myanmar – Bangladesch – Indien
- China – Pakistan
- China – Mongolei – Russland
- China – Kirgisistan – Usbekistan – Turkmenistan – Iran – Türkei
- China – Kasachstan – Russland – Ukraine/Belarus – Polen – Slowakei – Deutschland
Maritime Silk Road
Die Seewege der Maritime Silk Road folgen ihren antiken Vorbildern und werden ebenfalls in mehrere Routen unterteilt:
- China – Vietnam – Singapur – Myanmar
- China – Philippinen
- China – Singapur – Malaysia
- China – Indonesien – Malaysia – Singapur – Thailand
- China – Kambodscha – Thailand
- China – Malaysia – Pakistan – Indien – Sri Lanka
- China – Vereinigte Arabische Emirate – Irak
- China – Dschibuti – Saudi-Arabien – Sudan
- China – Griechenland – Italien – Frankreich – Spanien
Viele beteiligte Länder nehmen selbst den Ausbau ihrer Infrastruktur vor, andere haben wichtige Häfen komplett an China vermietet. Das Reich der Mitte investierte vor allem in Afrika stark, um möglichst viele Staaten des rohstoffreichen Kontinents an sich zu binden. So entstand eine Eisenbahnlinie zwischen der kenianischen Hauptstadt Nairobi und der Hafenstadt Mombasa, in der zudem ein neuer Hafen erbaut wird. Das kleine Dschibuti hofft sogar darauf, mit Chinas Hilfe zum Singapur Afrikas zu werden. Die Chinesen finanzierten einen neuen Hafen und eine Eisenbahnlinie in die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba. Auch errichtete China dort seine erste Militärbasis in Übersee. Damit befindet sich das Land in guter Gesellschaft: Auch die USA, Frankreich und Japan nutzen Dschibuti als militärischen Standort zur Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika.
Die Neue Seidenstraße in Europa
Auch in Europa hat China große Summen in das Projekt One Belt, One Road investiert. Die wichtigsten Häfen für die Maritime Silk Road sind Piräus in Griechenland, Triest in Italien und Sines in Portugal. Vor allem Triest spielt für die „Blaue Banane“ genannte Wirtschaftszone in Mitteleuropa eine große Rolle. Diese umfasst einen bananenförmigen Korridor von Südengland über das Beneluxgebiet, das westliche Deutschland und die Schweiz bis Norditalien. Durch den Transport über Triest statt nördlicher Häfen wie Rotterdam und Hamburg verkürzt sich die Lieferzeit ab Schanghai um zehn, ab Hongkong um neun Tage.
Für Deutschland ist der Verlauf der neuen Seidenstraße über Land von größerer Bedeutung. Schon 1990 wurde die neue oder zweite eurasische Kontinentalbrücke gebaut, eine 10.780 Kilometer lange Eisenbahnstrecke durch Zentralasien, die damit die legendäre Transsibirische Eisenbahn ergänzt. Diese wird heute als nördlicher Nordwest-Korridor bezeichnet. Die Hauptstrecke der Transsibirischen Eisenbahn verläuft schon seit 1904 von Moskau nach Wladiwostok an der Pazifikküste. Ein Ableger führt von dieser Strecke nach Harbin in Nordostchina, von wo aus direkter Anschluss nach Peking, andere nordchinesische Metropolen sowie nach Korea besteht. Eine weitere Strecken zweigt östlich von Irkutsk nach Süden ab und führt durch die Mongolei nach Peking.
Europa will dem wachsenden Einfluss von China jedoch nicht tatenlos zusehen: So wollen Deutschland und die EU auf Augenhöhe bleiben.
Neue Seidenstraße: Der Trans-Eurasia-Express von China nach Deutschland
2008 vereinbarten Deutschland, Russland und China ein Joint Venture zwischen der Deutschen Bahn, der russischen RZD und der chinesischen China Railway Corporation zum Bau einer neuen Eisenbahnstrecke. Diese war anfangs meistens gemeint, wenn in Deutschland von der Neue Seidenstraße gesprochen wurde. 2010 nahmen die ersten Güterzüge den Verkehr auf der Strecke zwischen Moskau und dem Rheinhafen von Duisburg auf, 2012 folgte die regelmäßige Verbindung durch Zentralasien nach Chongqing am Yangtse in Westchina.
Derzeit entfällt der allergrößte Teil des Warentransportes zwischen China und Deutschland noch auf den Seeweg. Allerdings wächst das Volumen auf der Schiene von Jahr zu Jahr. Aufgrund der höheren Kosten und des schnelleren Tempos wird die neue Seidenstraße vor allem für eilige Produkte wie Ersatzteile und Lebensmittel genutzt. Ein Problem für die Attraktivität der Schiene ist neben den höheren Kosten der Zeitverlust durch die unterschiedlichen Spurweiten in Russland und Westeuropa bzw. China. Derzeit müssen die Container noch an der Grenze China–Kasachstan und Belarus–Polen umgeladen werden.
Deutschland profitiert dennoch von der neuen Zugverbindung. In Duisburg hat sich die Zahl der Arbeitsplätze bei der Hafengesellschaft beispielsweise seit 1998 verfünffacht. Rund um die aus China eintreffenden Güterzüge entstand eine ganz neue Industrie, die nicht nur Arbeitsplätze schafft, sondern auch Steuern in die klamme Kasse der Ruhrgebietsstadt spült.
Die EU, die USA und auch die G7-Gruppe der größten Industriestaaten wollen als Antwort auf die Neue Seidenstraße nun auch selbst gewaltige Infrastrukturprogramme anstoßen. Die EU arbeitet an einer so genannten Konnektivitätsstrategie, die unter anderem die Digitalisierung in ärmeren Ländern vorantreiben soll. Auf ihrem Gipfel in Großbritannien im Juni 2021 beschlossen zudem die G7 ein Infrastrukturprogramm für die Welt namens Build Back Better World, das hunderte Milliarden US-Dollar umfassen könnte. Genaue Finanzzusagen wurden dort allerdings noch nicht gemacht.
Die Neue Seidenstraße in der Debatte
Allerdings ist die neue Seidenstraße von mehreren Seiten Kritik ausgesetzt. Auf wirtschaftlicher Seite befürchten viele Experten eine zu starke Abhängigkeit von China. Sie sehen das Projekt One Belt, One Road vor allem als Machtdemonstration und als Ansatz, um weltweiten Einfluss zu gewinnen. Nicht nur in Afrika mussten sich Länder für die chinesischen Investitionen verschulden. Dschibuti, das mit Chinas Hilfe von neuen Reichtümern als Handelsplatz träumt, steht beim Partner aus Fernost mit 1,4 Milliarden US-Dollar in der Kreide.
Auf der anderen Seite gibt es viele Befürworter der neuen Seidenstraße. Sie fürchteten nach dem Zerfall der Sowjetunion eine einseitige Dominanz der Wirtschaftsmacht USA, die nun wieder ausgeglichen wird. Nicht verwunderlich: Gerade in Ländern, die den USA skeptisch gegenüberstehen, ist die Zustimmung zur Zusammenarbeit mit China hoch. In Pakistan hat China bereits 60 Milliarden US-Dollar in den zum Seidenstraßen-Projekt gehörenden China-Pakistan Economic Corridor und den Freihafen Gwadar investiert. Damit sichert sich China einen leichteren Zugang zu den Ölhäfen des Mittleren Ostens.
Die Neue Seidenstraße und die Umwelt
Ein großes Problem im Zusammenhang mit vielen Projekten der Neuen Seidenstraße sind deren Umweltschäden. Die riesigen Infrastrukturprojekte wie Straßen und Eisenbahnlinien, neue Häfen und Pipelines könnten zahlreiche Naturschutzgebiete zerstören. Ein Bericht des WWF verwies darauf, dass die Baukorridore mit 1.739 Schlüsselgebieten der biologischen Vielfalt überlappen. Dazu gehören Gebiete, in denen 265 bedrohte Arten, darunter 39 vom Aussterben bedrohte Arten, leben. Auch fördert China in einigen Ländern den Bau von Kohlekraftwerken - trotz der globalen Bemühungen zum Klimaschutz.
Befürworter der neuen Seidenstraße hoffen jedoch darauf, dass beteiligte Länder wie Deutschland, aber auch China selbst, die Chance ergreifen werden, sich als Vorreiter eines Paradigmenwechsels zu präsentieren. Damit könnte das Projekt One Belt, One Road zum Vorbild für nachhaltige Entwicklung im weltweiten Gütertransport werden.