Scholl-Latour erklärt die explosive Weltlage

München - In seinem neuen Buch "Welt aus den Fugen" erklärt Reporter-Legende Peter Scholl-Latour (88) die explosive Weltlage. Hier lesen Sie Auszüge.
Egal ob es um die Tötung des Terrorfürsten Osama Bin Laden geht oder um den blutigen Sturz des libyschen Regimes: Wenn Peter Scholl-Latour die Weltlage analyisert, dann hören die Deutschen aufmerksam zu. Sein Wort hat mehr Gewicht als das aller Politik-Professoren. Der 88-Jährige ist ein gefragter Gast in allen Fernseh-Talkrunden. Seine eigenen TV-Dokumentationen erreichen höchste Einschaltquoten, seine Bücher sind allesamt Bestseller.
Scholl Latour erklärt die explosive Weltlage

In seinem neuem Buch "Welt aus den Fugen" zeichnet die Reporter-Legende nun ein dramatisches Bild der Weltlage. Scholl-Latour beleuchtet verschiedene Brandherde: Der Abzug der USA aus dem Irak und Afghanistan hinterlässt zerrüttete Staaten, die in Bürgerkriegen versinken. Der Konflikt um Irans Atompolitik spitzt sich gefährlich zu. Pakistan ist ein Pulverfass. Die arabische Welt befindet sich in Aufruhr, mit ungewissem Ausgang. Die Zahl der "failed states", die den Terrorismus begünstigen, nimmt beständig zu, vor allem in Afrika. Zu allem Überfluss stolpern Europa und Amerika von einer Finanzkrise in die nächste und erweisen sich international zunehmend als handlungsunfähig.
Hier lesen Sie Auszüge aus Scholl-Latours neuem Buch "Welt aus den Fugen".
Syriens Machthaber Assad
"Was Syrien betrifft, so wird in der Presse vieles hochgespielt und maßlos übertrieben. Verglichen mit seinem Vater ist der jetzige syrische Präsident Assad ein harmloser Mann, so schrecklich auch die Ereignisse sind."
Syrische Opposition von Islamisten unterwandert
"Die CIA ist sich sehr wohl bewußt geworden, daß die aktivsten Kombattanten der 'Freien Syrischen Armee' zunehmend von radikalen Jihadisten und neu formierten El-Qaida-Gruppen unterwandert werden. Sollten sich diese zu allem entschlossenen Desperados auch nur eines Teils der syrischen Chemiewaffen bemächtigen, würde der internationale Terrorismus eine furchterregende neue Dimension annehmen. Die Gegner Assads könnten dann sehr viel gefährlicher werden, als es das Baath-Regime von Damaskus jemals war."
So geht es in Syrien weiter
"Es kann durchaus sein, daß in Bälde schon 'viele Hunde des Hasen (Assad; Anm. d. Red.) Tod' sind. Es kann auch – auf Libanon, Irak, Kurdistan und Iran übergreifend – ein verheerender Flächenbrand entstehen. Verblüffend ist zur Stunde die Einseitigkeit, die Voreingenommenheit, mit denen die Regierungen und die Medien Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens für eine sogenannte Freiheitsarmee Partei ergreifen, deren erprobteste Kämpfer auf den radikalen Islamismus und am Ende auch auf eine antiwestliche Grundvorstellung eingeschworen sind. Die Atlantische Allianz verschließt die Augen vor der Tatsache, daß mit dem Syrien Bashar el-Assads der letzte säkulare Staat der arabischen Welt untergeht. Das Abendland nimmt keine Notiz davon, daß die Christen Syriens, die unter dem Baath-Regime immerhin eine für die arabische Welt ungewöhnliche Toleranz genossen, auf das schlimmste gefaßt sein müssen."
Die Rolle der Türkei in Syrien
"Die Türkei Recep Tayeb Erdogans hat nach einer Periode enger Zusammenarbeit mit Damaskus eine abrupte Kehrtwende vollzogen. Über die anatolische Grenze erhalten die Aufständischen das Gros ihres Nachschubs. Hier sickern auch die meisten ausländischen Jihadisten ein, die – um westliche Reporter zu täuschen – sich notfalls den Bart abrasieren. Wieder einmal erweist sich der lockere Verbund von El Qaida als giftiges Produkt des saudischen Fanatismus. Allmählich mußten selbst jene westlichen Beobachter, die von einer nationalen Auflehnung der sogenannten »Freiheitskämpfer« geredet hatten, eingestehen, daß sich unter der schwarzen Fahne der Salafiya eine kampferprobte Schar von »Gotteskriegern« ansammelte, die den schlimmsten Horrorvorstellungen der Amerikaner entsprach."
Irans Atombombe
"[D]ie Bombe ist nicht gedacht, um Israel auszulöschen oder sie gar auf Europa abzuschießen. Ich habe Putin nie so lachen hören wie an dem Tag, als man ihm weismachen wollte, der für Europa diskutierte Raketenschutzschild sei gegen den Iran gerichtet. Bei der iranischen Atombombe würde es sich um reine Abschreckung handeln. Ich kenne keinen Staat, der seine Atombombe mit der Absicht für einen Abwurf gebaut hat. Auch Israel verwendet seine Bomben nur zur Abschreckung."
Im Irak droht ein Bürgerkrieg
"Derzeit läuft vieles auf eine Konfrontation im Irak zwischen Sunniten und Schiiten hinaus. Mir haben Schiiten berichtet, sie würden umgebracht, wenn sie in den sunnitischen Teil des Irak gehen; man erkenne sie dort am Akzent ihrer Sprache."
Das sind die Taliban
Die Bilanz von US-Präsident Obama
"Was wirft man Obama vor? Er hat es nicht fertiggebracht, das Straflager von Guantánamo zu schließen. Er hat sich am Hindukusch verrannt, als er glaubte, mit einem »surge«, einer Truppenverstärkung von 30 000 Mann, eine strategische Wende herbeizuführen. Für den Abgrund der Staatsverschuldung, die Pauperisierung weiter Bevölkerungsschichten kann Obama kaum verantwortlich gemacht werden. Er wurde von der Mißwirtschaft seines Vorgängers erdrückt und bei seinen Reformversuchen durch eine oppositionelle Kongreß-Mehrheit gelähmt.
[…]
Wer hätte andererseits angenommen, daß Barack Hussein Obama, der seine Amtszeit mit einer grandiosen und versöhnlichen Rede in Kairo begonnen hatte, am Ende dieser Amtszeit mit mörderischen unbemannten Drohnen ohne Rücksichtnahme auf eventuelle »Kollateralschäden« weit mehr angebliche El-Qaida-Terroristen zur Strecke bringen würde als sein Vorgänger George W. Bush, daß es ihm sogar gelingen würde, endlich Osama Bin Laden aufzustöbern und durch ein Kommando von US Seals exekutieren zu lassen?"
Führungswechsel in China?
"Zur Stunde geht man davon aus, daß der bislang amtierende Staatspräsident und Generalsekretär Hu Jintao sowie der Regierungschef Wen Jiabao nach schwierigen Beratungen ausgewechselt werden. Innerhalb des Machtmonopols, das die K. P. Chinas ausübt, dürften die Fraktionskämpfe wohl mit ähnlicher Verbissenheit, mit noch gnadenloseren Intrigen ausgetragen werden, als es im pluralen Parteiensystem der westlichen Demokratien der Fall ist. Die höchste Funktion – auch die entscheidende Autorität über die Militärkommission – soll dem eminenten Mitglied des Politbüros Xi Jinping zufallen."
Was passiert nach dem Afghanistan-Abzug?
"Zur Stunde deutet alles darauf hin, daß nach Beendigung der ISAF-Mission das Regime des Präsidenten Karzai in Kabul binnen kurzer Frist zusammenbrechen wird. Am Hindukusch dürfte dann ein rigoroser koranischer Gottesstaat entstehen und das Gemetzel der Stämme neuen Auftrieb finden."
Pakistan: Wer kontrolliert die Atombombe?
"Der zur Zeit amtierende Staatspräsident Zardari, der Witwer der über die Maßen bewunderten Benazir Bhutto, steht unter so gravierender Anklage übelster Korruption, daß er jederzeit gestürzt werden könnte. Dann schlüge erneut die Stunde der Armee, die von Anfang an das Rückgrat des pakistanischen Staates gebildet hatte. Die Rückkehr zur Militärdiktatur würde von vielen als das geringere Übel betrachtet, zumal die Kontrolle der pakistanischen Atombombe von einer kleinen Gruppe hoher Offiziere im Umkreis des Generals Parvez Kaiany ausgeübt wird."
Saudi-Arabien gegen den Iran
"Die Todfeindschaft zwischen den beiden großen Glaubensrichtungen des Islam – wobei die Schiiten nur auf fünfzehn Prozent der gesamten »Umma« geschätzt werden – ist wieder unerbittlich aufgeflammt, seit Saddam Hussein seine Panzerdivisionen zum Sturz Khomeinis einsetzte, seit dem militärischen Erstarken der Hizbullah im Libanon und vor allem seit jener durch WikiLeaks enthüllten Aufforderung des saudischen Königs Abdullah an Präsident Obama, er solle doch endlich die Bomberstaffeln der US Air Force zur Vernichtung der persischen Nuklearanlagen ausschicken. Diese mörderische Rivalität zwischen Saudi-Arabien und der Islamischen Republik Iran überschattet das gesamte Geschehen im Mittleren Osten."
Tunesien nach der "Arabellion"
"Noch sind die Hoffnungen auf eine Wende zur »Demokratie« nicht erloschen, aber die Übergriffe fanatischer, salafistischer Gruppen mehren sich. Da werden Geschäfte, die Alkohol verkaufen, durch koranische Eiferer zertrümmmert. Für die emanzipierten Studentinnen der angesehenen Manuba-Universität ist es nicht ratsam, ohne Kopftuch zu den Vorlesungen zu kommen, wenn sie nicht angepöbelt, ja angespieen werden wollen. Die Absicht einer resoluten Minderheit, zu den puritanischen Gesetzen der Scharia zurückzufinden, wird durch das häufige Auftauchen der schwarzen Fahnen der Salafisten verdeutlicht. Der ausländische Touristenstrom an die Strände von Hammamet und Djerba, der bis zum Regimewechsel für die Ausgleichung des Staatshaushalts unentbehrlich war, dürfte dieser früheren Idylle fernbleiben, falls dort demnächst das Tragen von Bikinis verboten würde."
Nach der Libyen-Revolution: Chaos in Afrika
"Die schwarzen Söldner Qadhafis sind über die Grenze Libyens nach Süden ausgeschwärmt und haben ihre moderne Ausrüstung mit sich genommen. Die Republik Niger, die einst dem »Empire Colonial français« angehörte, stürzte in Anarchie. Die meisten Sorgen bereitet den westlichen Strategen jedochder Zerfall der Republik Mali, in deren Nordhälfte die verschleierten Kamelreiter der Tuareg zunächst einen eigenen Staat »Azawad« gründen wollten. Sie wurden jedoch durch das Aufgebot einer extrem islamistischen Organisation besiegt, die sich den Namen »Ansar-ed-Din«, Gefährten der Religion, zulegte. Diese Fanatiker riefen an den Ufern der Niger-Schleife zwischen Gao und Timbuktu einen koranischen Gottesstaat ins Leben.
[…]
Vor allem aber ist der Koloß Nigeria mit seinen 200 Millionen Einwohnern von einer Welle der Gewalt und des Terrors erfaßt worden. Die nördliche Hälfte dieser Föderation mit ihren muslimischen Emiraten und Sultanaten hat aus eigener Verfügung die koranische Gesetzgebung eingeführt."
fro