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Spahns Pflegepaket: Warum die mobilen Pflegedienste die Verlierer sind

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Von: Sebastian Horsch

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Die gesamte Pflegebranche leidet unter einem dramatischen Personalengpass. Ein neues Gesetz von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) soll die Situation nun eigentlich verbessern
Die gesamte Pflegebranche leidet unter einem dramatischen Personalengpass. Ein neues Gesetz von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) soll die Situation nun eigentlich verbessern. © picture alliance

Zwischen Krankenhäusern, Heimen und ambulanten Anbietern ist ein harter Konkurrenzkampf um Pflegepersonal entbrannt. Ein Gesetz von Jens Spahn soll die Situation eigentlich verbessern. Doch es könnte stattdessen katastrophale Folgen nach sich ziehen, warnt ein Experte.

Unterhaching - Nach der Frühtour schauen alle mal kurz rein. Sie bringen Schlüssel zurück, tauschen Autos aus, laden Frust ab. „Ambulante Pflegekräfte sind sonst ja Einzelkämpfer“, sagt Cornelius Schäfer. Da tut es gut, wenn seine Leute zwischendurch mal miteinander sprechen können.

Schäfer, 32, leitet in der Caritas-Sozialstation in Unterhaching (Landkreis München) den Fachbereich ambulante Pflege. 180 bis 190 Menschen versorgen sie von dort aus täglich. 40 Kollegen teilen sich 24 Vollzeitstellen. Manche arbeiten schon seit 20 oder 30 Jahren hier. Neue Mitarbeiter finden sie vor allem über Mund-Propaganda. Man habe sich einen Personalstamm aufgebaut, von dem man zehren könne. „Wir haben wirklich Glück“, sagt Schäfer. „Eine absolute Ausnahme.“

Denn die gesamte Pflegebranche leidet unter einem dramatischen Personalengpass. Ein neues Gesetz von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) soll die Situation nun eigentlich verbessern. Doch gerade für die Pflegedienste könnte es stattdessen noch schwieriger werden.

Durchschnittlich kann schon heute in Bayern jeder Pflegedienst eine Stelle in der Altenpflege und 1,27 Stellen in der Gesundheits- und Krankenpflege nicht besetzen, besagt eine Auswertung, von der der Pflegewissenschaftler Michael Isfort berichtet. „Zwei Drittel der Dienste sind in privatgewerblicher Hand. Sie haben meist eine überschaubare Zahl an Mitarbeitern“, erklärt auch der Sozialwissenschaftler Stefan Sell. Da sorgten schon längere Erkrankungen für Personal-Engpässe.

Personaler Engpass bei den mobilen Pflegediensten dürfte sich verschärfen

Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach ambulanter Pflege immer weiter. „Der Markt ist so groß, dass es eigentlich keine Konkurrenzsituationen gibt“, sagt Pflegedienstleiter Schäfer. „Der limitierende Faktor sind die fehlenden Mitarbeiter.“

Dabei mangele es oft „vor allem an der Qualität“, sagt Schäfer. Gute Leute zu finden, sei enorm schwierig. „Und kluge Köpfe wandern schnell ab.“ In anderen Berufen lasse sich eben mit weniger Anstrengung mehr Geld verdienen. Überhaupt, das Geld: „Als Pflegekraft kann man in München eigentlich keine Familie gründen“, sagt Schäfer. Tue man es doch, folge das nächste Problem: „Die Kita öffnet um 8 Uhr, der Frühdienst beginnt um 6 Uhr.“ Entsprechend sei der Andrang der Bewerber. „Über Stellenanzeigen oder das Arbeitsamt ist die Resonanz sehr niedrig.“ Die Initiativbewerbungen, die darüber hinaus noch kommen, seien meist völlig unbrauchbar.

Schäfer erzählt von Bewerbungs-E-Mails ohne Anrede mit gefühlt „24 Fehlern in den ersten zwei Sätzen“. Von Vorstellungsgesprächen mit ungepflegten Männern, die nach Zigarettenrauch riechen, als kämen sie direkt aus der Kneipe. Die ihn selbstverständlich duzen und immer zuallererst nach dem Geld fragen. „In 80 bis 90 Prozent der Fälle kommt man schnell zu dem Schluss: Das hat keinen Sinn“, sagt der Pflegedienstleiter.

Über seine eigene Mannschaft spricht Schäfer dagegen mit Stolz. Gerade in dieser Situation „sind unsere Mitarbeiter das Wichtigste, was wir haben“. Deshalb biete die Caritas ihren Leuten eine Gesundheitsförderung an, belohne Einspringer mit Gutscheinen und beteilige das Personal an Entscheidungen. „Wir wollen sie halten“, sagt Schäfer.

Die Fachkraftquote in Schäfers Team beträgt 60 Prozent. „Zu den übrigen 40 Prozent zählen aber auch Mitarbeiter mit einer Ausbildung in Osteuropa, die in Deutschland nicht anerkannt wird“, sagt er. Doch wer hier anfangen will, muss nicht unbedingt Vorkenntnisse haben. Die Caritas betreibt eine eigene Berufsfachschule und ein eigenes Institut. „Fachlich können wir jedem alles beibringen“, sagt Schäfer. Worauf es ankommt, das sei „die Grundeinstellung“.

Dass genau diese Grundeinstellung bei vielen in der Branche nicht stimmt, davon berichtet ein Pfleger, dessen Name unserer Zeitung bekannt ist. Er habe in der ambulanten Pflege teils Kollegen kennengelernt, „die nicht einmal richtig für sich selbst sorgen können“ und selbst „für die Tierpflege zu wenig Empathie“ aufbringen würden, sagt der Mann. Bei dementen Patienten oder wenn Angehörige kein genaues Auge darauf hätten, werde regelmäßig geschlampt. Auszubildende würden für Aufgaben eingesetzt, für die sie nicht qualifiziert seien, alles laufe unter einem sehr großen Zeitdruck ab.

Schilderungen, die Pflegedienstleiter Schäfer nicht überraschen dürften. Auch er hat festgestellt, dass in Teilen der Branche die Devise vorherrsche: „Wo kein Kläger, da kein Richter.“ Dahinter müsse nicht einmal böser Wille stehen, sondern oft einfach Existenzangst. Nicht jeder hat schließlich einen mächtigen Wohlfahrtsverband im Rücken. Einen kleinen privaten Dienst aufrechtzuerhalten, sei alleine mit dem Geld, das von den Kassen kommt, beinahe unmöglich. Mitnehmen, was geht – so laute deshalb die Devise mancher Anbieter. „Ich glaube, dass da manchmal Menschen Dinge machen, von denen sie keine Ahnung haben, und allein durch pures Glück passiert nichts.“

Mobile Pflegedienste und Krankenhäuser: Eine Trendumkehr findet statt

Es klingt paradox: Doch ausgerechnet das Pflegepaket der Bundesregierung könnte die Situation in der ambulanten Pflege nun sogar noch weiter verschärfen. Gesundheitsminister Jens Spahn hat der Altenpflege 13.000 neue Stellen versprochen. Vor allem aber sei das Gesetz „ein Paradigmenwechsel für die Krankenhäuser“, sagt Sozialwissenschaftler Sell. Denn die Pflegepersonalkosten der Kliniken sollen aus dem bisher geltenden Fallpauschalen-System herausgenommen werden. „Die vollständige Refinanzierung der Personalkosten bedeutet für die Krankenhäuser, dass sie nicht mehr an Pflegekräften sparen müssen“, erklärt Sell. In der Folge würden sie sich natürlich auf die Suche nach solchen examinierten Pflegekräften begeben. Im Reha-Bereich, in Altenheimen – und natürlich bei den Pflegediensten. Denn genau dort arbeiten heute „mehr Gesundheits- und Krankenpflegekräfte als Altenpflegekräfte“, sagt Sell. Sie seien über die Jahre vor den schlechten Arbeitsbedingungen in den Kliniken dorthin geflohen.

Das Problem: Genau dieser Trend droht sich nun umzukehren. Schon jetzt geben laut Pflegeforscher Isfort 27,4 Prozent der ambulanten Dienste in Bayern an, dass sie Klientenanfragen aufgrund von Personalmangel ablehnen müssten. Zusätzlich „könnte nun ein Sogeffekt von den Diensten in die Krankenhäuser entstehen“, sagt Sell. Der Personalmangel würde so noch dramatischer. Die Folgen könnten fatal sein, fürchtet der Professor. Denn wenn in einigen Regionen die Dienste dem verschärften Personaldruck nicht standhalten, müssten das vor allem pflegende Angehörige ausbaden.

Rund 70 Prozent der Pflegebedürftigen in Deutschland werden zu Hause versorgt. Doch viele pflegen ihre Eltern oder Ehepartner zwar in den eigenen vier Wänden, sind dabei aber dringend auf die Hilfe der mobilen Dienste angewiesen. „Es wäre ein Katastrophenszenario, wenn der Personalmangel auf die Angehörigen zurückfiele“, warnt Sell. Um einen Einbruch bei diesem „größten Pflegedienst der Nation“ aufzufangen, „gäbe es in den Heimen nicht einmal genug Betten“.

Schäfer weiß, dass auch viele Angehörige in Unterhaching und Umgebung die Pflege daheim nur mit der Hilfe seiner Mitarbeiter bewältigen können. „Punktuelle Entlastung“ nennt er das. Auch deshalb lehne seine Caritas-Sozialstation grundsätzlich keine Anfragen ab. Wenn die Belastung zu groß wird, versuche er die Menschen an andere Pflegedienste weiterzuvermitteln. Klappt auch das nicht, „gehen wir auch über unsere Grenzen“, sagt er.

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