Tritt Belarus in den Ukraine-Krieg ein? Lukaschenko verspricht Putin Truppen – Experten rätseln noch

Wird Belarus nun Truppen in den Ukraine-Krieg senden? Nach einer nebulösen Ankündigung Alexander Lukaschenkos scheint das möglich. Er sieht das Land „bedroht“.
Minsk/München – Belarus‘ Machthaber Alexander Lukaschenko hat am Montag (10. Oktober) mit einer etwas nebulösen Mitteilung Beunruhigung ausgelöst: Er kündigte die Aufstellung eines belarussisch-russischen Truppenverbundes an. Einige Fragen blieben zunächst offen. Ein möglicher Eintritt des Landes in den Ukraine-Krieg scheint aber wahrscheinlicher zu werden. Flankiert war Lukaschenkos Botschaft aus Minsk mit massiven Vorwürfen gegen die Ukraine und den Westen: Belarus sei „bedroht“, behauptete er.
Lukaschenko verkündet gemeinsame Truppen mit Russland – Experten halten Eskalation nicht für ausgeschlossen
Der Beschluss für die gemeinsame Einheit sei schon beim informellen Gipfel der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) am Freitag gefallen – zu Wladimir Putins Geburtstag also –, erklärte Lukaschenko laut der Staatsagentur Belta: „Ich muss Ihnen mitteilen, dass die Bildung dieser Gruppierung begonnen hat. Ich glaube, sie läuft schon seit zwei Tagen.“
Der Bild-Journalist Julian Röpcke teilte auf Twitter Fotos eines mutmaßlichen belarussischen Truppentransports – die Röpcke zufolge am Samstag entstandenen Bilder zeigten Soldaten in einem Viehwaggon sowie auf einen Zug „Richtung Russland“ verladene Panzer.
Auch einige Experten wollten sich zunächst nicht auf eine Deutung der Ankündigung festlegen. „Europa und die USA müssen umgehend reagieren, falls Belarus eine Invasion startet“, twitterte die Osteuropa-Expertin Olga Lautman vom Center for European Policy Analysis in Washington. Der Moskau-Korrespondent des Guardian, Andrew Roth, schrieb auf Twitter von einer „möglicherweise signifikanten“ Entwicklung. Denkbar sei aber auch, dass Russland einen „permanenten Stützpunkt“ in Belarus einrichte. Seine Washington Post-Kollegin Mary Iljuschina konstatierte, bislang habe sich Belarus nicht mit Truppen am Krieg beteiligt. Das könne sich nun aber ändern.
Russland und Belarus: „Herzstück“ der Einheit belarussische Streitkräfte – Lukaschenko wettert gegen den West
„Herzstück“ der Einheiten seien belarussische Streitkräfte, zitierte die Agentur Lukaschenko indes weiter. Russland habe „genug Probleme“, deshalb sei keine allzu große Beteiligung Moskaus zu erwarten. Lukaschenko rechnete aber mit „mehr als 1.000 Soldaten“. Er fügte hinzu: „Wenn die Bedrohung zu hoch ist, was heute der Fall ist, aktivieren wir unsere gemeinsamen Truppenverbände“, das sei im „Unions-Vertrag“ mit Russland festgeschrieben. Besagte „Bedrohung“ verortete der autokratische Machthaber in der Ukraine – aber auch im Westen.
Den Nachbarländern Litauen, Polen und Ukraine warf Lukaschenko die Ausbildung belarussischer „Radikaler“ zur Ausführung von Terroranschlägen vor. Diese würden für „Sabotage, Terroranschläge und die Organisation einer militärischen Meuterei im Land“ vorbereitet. Der belarussische Staatschef beschuldigte zudem die USA und die Europäische Union, „die Situation verschärfen“ zu wollen. Washington und Brüssel gewährten Flüchtenden aus Belarus Unterschlupf, um sie zu einer „politischen Kraft“ zu machen.
„Ukraine will zweite Krim-Brücke schaffen“: Lukaschenko möchte „Krieg vorbereiten“ – für den „Frieden“
Zugleich planten die USA und die EU, „die Unterstützung für destruktive Elemente erheblich zu verstärken“ sowie die „Situation an der Westgrenze zu verschärfen - bis hin zur Eröffnung einer zweiten Front an der Grenze“. Litauen und Polen sind Mitglieder der EU und der Nato und teilen jeweils eine Grenze mit Belarus.
Über „inoffizielle Kanäle“ sei Minsk vor „Vorbereitungen für einen Angriff von ukrainischem Gebiet aus gegen Belarus“ gewarnt worden. Die Ukraine wolle „eine zweite Krim-Brücke“ schaffen, fügte Lukaschenko mit Blick auf die Explosion und Beschädigung der Brücke zur von Russland annektierten Halbinsel Krim aus. Moskau macht den ukrainischen Geheimdienst für die Bombenexplosion vom Samstag verantwortlich.
Lukaschenko sagte laut Belta weiter, er habe dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Nachricht zukommen lassen, er solle „seine dreckigen Hände von jedem Meter belarussischen Gebiets“ lassen. „Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor“, wurde Lukaschenko aus einem Treffen mit Vertretern des belarussischen Sicherheitsbereichs weiter zitiert. Auf belarussischem Gebiet dürfe es aber keinen Krieg geben.
Lukaschenko-Ankündigung im Ukraine-Krieg: Putin-Sprecher reagiert
Der Kreml äußerte sich eher zurückhaltend. Wladimir Putins Sprecher Dmitri Peskow sagte lediglich, Putin und Lukaschenko diskutierten in ihren bilateralen Gesprächen ständig über eine Vielzahl von Bereichen, dazu gehöre auch das Thema Verteidigung. Auch Peskow verwies auf die „Militärdoktrin des Unionsstaates“, den beide Länder bilden.
Die EU reagierte kühl auf die Vorwürfe Lukaschenkos. Diese seien „völlig unbegründet, lächerlich“ und „vollständig inakzeptabel“, sagte der außenpolitische Sprecher Peter Stano laut Euronews.com. „Wir fordern das Regime in Minsk auf, von jeglicher Beteiligung an dieser brutalen, illegitimen Unternehmung Abstand zu nehmen“, fügte er mit Blick auf die russische Invasion in der Ukraine hinzu. Sollte Belarus zur Eskalation beitragen, werde das nicht unbeantwortet bleiben. Russland hatte in der Nacht auf Montag Bombardements unter anderem auf die Hauptstadtregion Kiew verübt.
Lukaschenko und Putin: Wer ist der „große Bruder“?
Belarus ist ein enger Verbündeter Russlands. In den Monaten vor Moskaus Militäreinsatz in der Ukraine hatte das Nachbarland sein Gebiet für russische Truppen zur Verfügung gestellt. Allerdings gab es auch Berichte über Sabotage an Aufmarschrouten im Land – aber auch in Russland. Lukaschenko ist einerseits politisch und finanziell stark von Putin abhängig. Im Sommer musste er nach Gesprächen über die gemeinsame „Union“ eine Annexion durch Russland dementieren. Andererseits bewertet der etwa russische Oppositionelle Leonid Wolkow Lukaschenko in Sachen Repression als „großen Bruder“ Putins – und Belarus als eine Art Testlabor für gewaltsames Vorgehen gegen Proteste.
Der auch als „letzter Diktator Europas“ bezeichnete Lukaschenko hatte stets erklärt, sich nicht in den Krieg hineinziehen lassen zu wollen. Zugleich schloss er das angesichts der Lage nicht aus. Belarus hat von Anfang an zum Ärger der Ukraine seine Militärstützpunkte für russische Angriffe auf die Ukraine bereitgestellt. Der Einsatz belarussischer Soldaten würde eine neue Eskalationsstufe in dem Konflikt in der Ukraine bedeuten. Aus Sicht der Ukraine ist Belarus gleichwohl bereits Kriegspartei.
Wie abhängig ist Belarus-Präsident Lukaschenko von Russland in Zeiten des Ukraine-Kriegs? Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja erhebt schwere Vorwürfe. (AFP/fn/dpa)