Zerrt Niedersachsen die Ampel in die Krise? AfD legt kräftig zu – FDP droht nun Scholz und Grünen

„Wir müssen reden“: Ein Satz, der Probleme verspricht. Die FDP droht SPD und Grünen nach der Wahlschlappe in Niedersachsen – auch das AfD-Ergebnis beunruhigt die Ampel.
Hannover/München – Die SPD ist die Wahlsiegerin in Niedersachsen – sogar Rot-Grün scheint in Hannover greifbar. Und trotzdem könnte der Wahlabend für Olaf Scholz‘ Ampel-Regierung zum Problem werden: Nicht nur, dass ausgerechnet die selbstproklamierte Protestpartei AfD deutliche Zugewinne feierte, allen internen Querelen der Partei in Niedersachsen zum Trotz. Auch Scholz‘ Koalitionspartner FDP musste um den Einzug in den Landtag bangen. Und dachte in Person von Vize-Chef Wolfgang Kubicki laut über drohende „schwere Fahrwasser“ für die Ampel nach.
Thema könnte nun die Antwort auf die Energiekrise werden. Kubicki stellte schon den Umgang der Koalition mit den Folgen des Ukraine-Kriegs als Grund für das Schwächeln der Niedersachsen-FDP in den Raum. Und auch der alte und neue Landesvater Stephan Weil (SPD) schob der Ampel höflich, aber bestimmt einen Handlungsauftrag zu: „Wir müssen Entscheidungen haben; schnelle Entscheidungen, klare Entscheidungen, das ist das, wonach sich die Bürger sehnen“, sagte er in der ARD-„Tagesschau“.
Niedersachsen-Wahl ein böses Vorzeichen für die Ampel?
Weil verhehlte auch nicht, dass ihm der bundespolitische Furor Probleme bereitete. „Wir stehen am Ende eines sehr unangenehmen Wahlkampfes“, sagte er in seiner ersten Reaktion auf der SPD-Wahlparty. Gasumlage, AKW-Zoff und Ukraine-Politik hatten niedersächsische Themen stark überlagert. Und auch die Sozialdemokraten büßten im Wahlergebnis ein. Obwohl die Demoskopen von infratest dimap Weil in ihren ersten Wahlanalysen den besten „Kandidatenfaktor“ zuschrieben.
Viel scheint also darauf hinzudeuten, dass die nationalen Fragen die Wahl beeinflusst haben. So analysierte ARD-Wahlexperte Jörg Schönenborn, Finanzminister Christian Lindner habe seiner FDP wahrlich keinen Rückenwind gegeben: „Gerade die abgewanderten FDP-Anhängerinnen und ‑Anhänger hätten von der Bundesregierung deutlich mehr Unterstützung für Wirtschaftsbetriebe in der Krise erwartet.“
Die AfD schlug schon nach den ersten Prognosen zum Wahlergebnis voll in diese Kerbe. Es sei auch Aufgabe einer Oppositionspartei, Protest „mitzunehmen“, erklärte Bundessprecher Tino Chrupalla im Ersten. Die „frühere Mittelstandspartei“ FDP habe für dieses Klientel nicht mehr gesprochen, deutete er an. Chrupalla wiederholte eine bekannte und heftig kritisierte Position der Rechtspopulisten: Man müsse die wirtschaftlichen Probleme bei der Wurzel packen. Heißt: Die Sanktionen gegen Russland im Ukraine-Krieg aufheben. Dass die Ampel-Koalition auf diesen Kurs einschwenkt, scheint undenkbar. Aber die Lage für Scholz könnte noch schwieriger werden – und die FDP noch widerborstiger gegenüber ihren ungleichen Partnern SPD und Grüne.
FDP hat ein Ampel- „Problem“ und will reden: SPD und Grüne sollen für Wahlschlappe politisch zahlen
Das kündigte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai recht offen an. Die FDP habe „große Probleme mit dieser Koalition“, sagte er in der „Berliner Runde“ der ARD. „Die Rolle und die Stimme der FDP in dieser Koalition muss künftig noch deutlicher erkennbar sein als bisher“, betonte er, der Umgang miteinander könne so nicht fortgesetzt werden. SPD und Grüne entwickelten „permanent Ideen, wie man noch mehr Geld ausgeben kann“, die FDP müsse sich hingegen mit der Frage beschäftigen, „wie man das Ganze organisiert und finanziert“. Den Posten des Finanzministers hatte sich die Partei allerdings selbst gegen die Grünen und Robert Habeck erkämpft.
Eine erste Forderung Djir-Sarais: Die Ampel müsse nun eine Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke beschließen – „bis mindestens 2024“. Sollte es im Winter Probleme bei der Energieversorgung geben, sei das andernfalls mit dem Gesicht von Habeck verbunden. Man müsse jetzt reden, und zwar „sehr konkret“. Der heutige Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Stephan Thomae, hatte schon vor der Koalitionsbildung im Gespräch mit Merkur.de gewarnt, die FDP dürfe sich in der Koalition nicht „als ungeliebtes Kind“ fühlen. Nun wollen die Liberalen die Ampel offenbar noch stärker für ihr politisches Wohlergehen in die Pflicht nehmen. „Leider kein Rückenwind aus Berlin“, urteilte Parteichef Christian Lindner in einem Tweet kühl.
„Meine Partei hat nach wie vor große Probleme mit dieser Koalition.“
Auch Kubicki krittelte indes am Regierungskurs in der Ukraine- und Energie-Politik. Nach einem guten Start sei der Ukraine-Krieg auf den Plan getreten. Auf Fragen zu Energieversorgung, Inflation und die Sorge um den Frieden gebe es bisher „keine vernünftigen Antworten“. Wenn man daran nicht arbeite, werde die Ampel-Koalition „in schweres Fahrwasser kommen“. Auch Kubicki hatte schon vor dem Wahltag mit Zweifeln an Sanktionen für Schlagzeilen gesorgt – so forderte er etwa wiederholt, die Pipeline Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen.
SPD und Grüne wünschten womöglich auch aus Sorge um den Koalitionsfrieden der FDP den Einzug in den Hannoveraner Landtag. „Ich drücke der FDP fest die Daumen“, sagte Grünen-Chef Omid Nouripour am Wahlabend dem Sender Phoenix. Sein SPD-Amtskollege Lars Klingbeil erklärte, der Liberalen-Sprung über die Fünfprozenthürde wäre „gut für die Ampel in Berlin“. Wenig später folgten Appelle an die Geschlossenheit. „Wir müssen uns jetzt unterhaken in der Bundesregierung, um diese Krisen zu bewältigen“, sagte Klingbeil bei Phoenix. Er gehe davon aus, dass die Verantwortung „jetzt auch von allen weiterhin angenommen wird“, erklärte Nouripour – und sprach zugleich von einem „beängstigenden“ Ergebnis der AfD.
Niedersachsen-Wahl: AfD legt „beängstigend“ zu – auch die CDU kriegt ihr Fett weg
Die Zuwächse der AfD dürften tatsächlich auch nach dem Wahltag in Erinnerung bleiben. In der Samtgemeinde Wesendorf wurden die Rechtspopulisten gar stärkste Kraft, wie die interaktive Ergebnis-Karten von IPPEN.MEDIA zeigt. 32,3 Prozent der Zweitstimmen standen hier zu Buche. Auch die Zahl ihrer Landtags-Mandate wird die AfD wohl deutlich erhöhen können. Laut Daten des Instituts infratest dimap punktete die Partei nicht zuletzt mit Ukraine-Politik: 33 Prozent der Befragten begrüßten Bestrebungen, den „Zuzug von Ausländern und Flüchtlingen“ zu begrenzen. 18 Prozent fanden es „gut, dass sie die Sanktionen gegen Russland aufheben will“.
Weil lenkte den Blick indes auch auf den Wahlverlierer CDU. Und wohl auf deren Vorsitzenden Friedrich Merz und dessen „Sozialtourismus“-Eklat. Andere Parteien hätten „einen Anti-Ampel-Wahlkampf“ gemacht. Diese müssten sich jetzt fragen lassen, „nicht schlussendlich die Falschen gestärkt haben“, zitierte ihn tagesschau.de. Tatsächlich ermittelte die Forschungsgruppe Wahlen einen großen Zustrom von früheren CDU-Wählern zur AfD.
Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte urteilte im ZDF ebenfalls, Merz‘ „Schlussattacke“ gegen die Ampel habe „nicht verfangen“. CDU-Vize Carsten Linnemann verteidigte Merz wiederum: „Wenn Friedrich Merz sich nicht so eingesetzt hätte, meine Meinung, wäre das Ergebnis schlechter gewesen“, sagte er in der ARD. Auch auf die Konservativen wartet nach dem Wahlergebnis wohl noch einige Interpretationsarbeit.
Florian Naumann
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