Nord Stream: Energieexperte sicher – Russland hat „Sprengstoff bereits beim Bau angebracht“
Die Untersuchungen nach den Gas-Lecks an den Nord-Stream-Pipelines sind angelaufen. Der überwiegende Teil des Westens vermutet Russland hinter der mutmaßlichen Sabotage.
Stockholm – Knapp eine Woche nach der mutmaßlichen Sabotage der Nord-Stream-Pipelines bleiben noch viele Fragen offen. Einig sind sich die Geheimdienste quasi aller beteiligten Staaten jedoch in einer Sache: Die Lecks an den Pipelines wurden durch Sabotage herbeigeführt. Um weitere Informationen zu dem Vorgang zu erhalten, hat die Staatsanwaltschaft von Schweden nun beschlossen, das Meeresgebiet rund um die Lecks an den Pipelines für die Untersuchungen abzusperren.
Gas-Lecks an Nord-Stream-Pipelines: Schweden sperrt Meeresgebiet für Untersuchungen ab
Ermittelt wird wegen des Verdachts der schweren Sabotage, wie Staatsanwalt Mats Ljungqvist am Montagabend (3. Oktober) mitteilte. Nach Angaben der schwedischen Küstenwache wurde am Nachmittag ein fünf Seemeilen (knapp neun Kilometer) breites Gebiet abgesperrt. Das bedeutet demnach, dass man dort unter anderem weder mit dem Schiff durchfahren noch ankern, tauchen oder fischen darf. In Sperrgebiet würden nun Tatortuntersuchungen durchgeführt werden. Details konnte Ljungqvist mit Verweis auf die laufenden Untersuchungen jedoch nicht nennen.
Nach schwedischen Angaben trete auch weiterhin Gas aus den Lecks an der Pipeline aus. Dänemark und der russische Pipeline-Betreiber Gazprom hatten zuletzt gemeldet, dass der Gasstrom versiegt sei.

Schuldzuweisungen für die Explosionen an der Pipeline finden derweil auf beiden Seiten statt. Während Moskau die USA in der Verantwortung für die Gas-Lecks sieht, vermutet der Großteil der westlichen Länder, Russland hinter dem Sabotageakt. Präsident Wladimir Putin könnte die russische Energieversorgung nach Europa als hybride Waffe im Kampf gegen die westlichen Sanktionen nutzen. Zu dieser Einschätzung kam zuletzt auch Andrij Koboljow, der ehemalige Chef des ukrainischen Versorgers Naftogaz, im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.
Energieexperte Koboljow sicher – Russland für Explosion an Ostseepipelines verantwortlich
Für Koboljow, der wegen seines beruflichen Werdegangs als Experte für den osteuropäischen Energiemarkt gilt, gibt es keine Zweifel: Russland muss hinter der Sabotage stecken. Der Ukrainer begründet seine Einschätzung vor allem mit der Durchführbarkeit einer solchen Sabotageaktion an den Pipelines. Die Röhren sind demnach mit unzähligen Sensoren versehen. Somit könnte das nähere Umfeld genaustens von Russland überwacht werden. Einen Angriff durch einen anderen Staat hält Koboljow deshalb für nahezu ausgeschlossen.
„Wenn die Pipeline von den Russen gut bewacht wird und die Ostsee die Heimat der russischen Marine ist - wie hätte sich jemand anderer unbemerkt der Pipeline nähern können?“, erläutert der Experte gegenüber der SZ. Da die Ostsee jedoch auch von Schiffen der Nato patrouilliert wird, hält Koboljow einen direkten Angriff generell für nur sehr schwer durchführbar.
Bediente Moskau sich bei Sowjet-Taktiken? „Sie haben den Sprengstoff bereits beim Bau der Pipeline angebracht“
Deshalb vermutet der Energieexperte eine andere Vorgehensweise: „Sie haben den Sprengstoff bereits beim Bau der Pipeline angebracht. Diese Methode ist keine russische Erfindung, sondern ein Erbe der Sowjetunion.“ Das russische Militär soll demnach bereits vor Jahren den Sprengstoff installiert und seitdem auf den richtigen Zeitpunkt gewartet haben, um die Nord-Stream-Pipelines als Teil der hybriden Kriegsführung einzusetzen. Unabhängig überprüfen lassen sich die Behauptungen von Koboljow jedoch aktuell nicht.
Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Nord-Stream-Sabotage haben wir hier für Sie zusammengefasst.
Russisches Kalkül? Gazprom stellt Gas-Lieferungen über Nord Stream 2 in Aussicht
Dass hinter den Gas-Lecks russisches Kalkül stecken könnte, lässt zumindest auch eine Pressemitteilung des russischen Konzerns Gazprom vermuten. Der Betreiber der Nord-Stream-Pipelines vermeldete am Montag auf Twitter, dass es aus technischer Sicht in Kürze möglich sei, Gas durch die Pipeline Nord Stream 2 zu liefern. Moskau könnte durch die Lecks also versuchen, den Druck auf den Westen zu erhöhen, Nord Stream 2 schlussendlich doch in Betrieb zu nehmen. Zu den ebenfalls beschädigten Strängen von Nord Stream 1 machte Gazprom in seiner Mitteilung jedoch keine Angabe.
Energieexperte Koboljow vermutet hinter der mutmaßlichen Sabotage darüber hinaus auch einen Versuch Russlands, sich aus den Lieferverträgen für Gas nach Europa herauszuwinden. Gazprom müsse auf „höhere Gewalt“ plädieren, um Strafzahlungen für das Nicht-Einhalten der Verträge zu vermeiden. Einen solchen Fall von höherer Gewalt könnte Moskau nun selbst geschaffen haben, vermutet Koboljow. (fd mit dpa)