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Adelig und Neu-ÖVPler mit Atombomben-Eklat: Das ist Kurz‘ Kanzler-Nachfolger Schallenberg

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Von: Florian Naumann

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Der neue Kanzler und sein Vorgänger: Alexander Schallenberg (re.) spricht unter den Augen Sebastian Kurz‘ (Mitte).
Der neue Kanzler und sein Vorgänger: Alexander Schallenberg (re.) spricht unter den Augen Sebastian Kurz‘ (Mitte). © photonews.at/Georges Schneider/www.imago-images.de

Österreich hat einen neuen Kanzler. Alexander Schallenberg gilt als Kurz-Vertrauter - adelig, aber erst seit kurzem in der ÖVP. Seine Biografie gibt Indizien auf die politische Zukunft.

Wien - Sebastian Kurz erlebt am Montag mit gerade mal 35 Jahren schon zum zweiten Mal etwas, worauf etwa Helmut Kohl gute 16 Jahre warten musste - oder eher: durfte. In Wien wird ein Kanzler-Nachfolger des ÖVP-Chefs vereidigt. Schon zum zweiten Mal nach 2019. Eine Frequenz der Fluktuation, die eher für „gschlamperte Verhältnisse“ spricht.

Vor gut zwei Jahren erlebte Kurz nach dem Platzen seiner ÖVP-FPÖ-Koalition, wie die Juristin Brigitte Bierlein zur Übergangsregierungschefin wurde. Nun sieht er einen engen Vertrauten ins Bundeskanzleramt einziehen: Seinen früheren Mitarbeiter, Berater und Außenminister Alexander Schallenberg. Ein klares Verfallsdatum hat Schallenbergs Kanzlerschaft nicht - abgesehen von den regulären Neuwahlen 2024. Möglich scheint aber dennoch, dass die Amtszeit des Diplomatensohns nur ein Intermezzo bleibt. Gerade mit Blick auf seine politische Biografie.

Alexander Schallenberg: „Überraschung für uns alle“ - Kurz-Vertrauter neu im Kanzleramt

Schallenberg selbst, daraus machte er keinen Hehl, traf der Sprung an die politische Spitze Österreichs eher unvorbereitet. „Überraschung für uns alle“, sagte er auf dem Weg zum Vorgespräch mit Bundespräsident Alexander van der Bellen. Kolportiert wird auch, dass der 52-Jährige im eigenen Bett von der Beförderung erfuhr. Gegen 3 Uhr früh in der Nacht auf Samstag (9. Oktober) sei Schallenberg aus dem Schlaf geholt worden - mit der Frage, ob er sich zutraue, das Land zu führen, schreibt der Spiegel. Die Antwort sei knapp ausgefallen: „Ja.“

Nun wird Schallenberg der sechzehnte Kanzler der „zweiten“ österreichischen Republik. Ein großes Amt. Wenngleich sich anders als in Deutschland in der Alpenrepublik zuletzt keine größeren Kanzler-Ären mehr ergaben. Allein Angela Merkel erlebte zehn (!) (Interims-)Kanzler im Nachbarland. An die Macht gekämpft hat sich Schallenberg dabei wahrlich nicht. Er gilt als treuer Gefolgsmann Kurz‘ - und als Mann, dem eine diplomatische Laufbahn in die Wiege gelegt wurde. Auf außenpolitischem Parkett hatte er auch seine Berufslaufbahn begonnen. Dann folgte Beförderung auf Beförderung.

Parteipolitisch ist Schallenberg gleichwohl eher Seiteneinsteiger - passt damit allerdings zu einer allgemeinen Tendenz in Österreich. SPÖ-Vorgänger Sebastian Kern etwa wechselte beinahe direkt aus der Staatsbahn ÖBB ins Kanzleramt. Auch die amtierende SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner trat 2017 erst kurz vor ihrer Ernennung zur Ministerin der Partei bei. In der Alpenrepublik ticken die Uhren eben ein wenig anders.

Tatsache ist: Schon Schallenbergs Vater war Diplomat. Sohn Alexander wurde in Bern geboren und wuchs in Indien, Spanien und Frankreich auf. Die französischen Floskeln, die er bisweilen im Gespräch einbaut, verstärken die Anmutung eines Diplomaten alter Schule. Und auch in der Sprachfärbung seines Deutsch lesen Beobachter: Die spezielle Färbung seiner Sprache verrät Schallenbergs Abstammung aus ehemaligem österreichischen Adel, der sich auch durch den Tonfall vom Rest der Bevölkerung abhob. Die Familie des Neu-Kanzlers hat ihre Wurzeln im oberösterreichischen Mühlviertel - und ist benannt nach einer längst verfallenen Burg.

Kurz-Nachfolger Alexander Schallenberg: Diplomatensohn als „Überzeugungstäter“

Nach einem Jura-Studium gelangte Schallenberg bald ins Außenministerium. 2000 wurde er Leiter der Rechtsabteilung bei der Brüsseler Vertretung Österreichs, 2005 Pressesprecher im Außenressort, ab 2009 zusätzlich Stabsstellenleiter. 2013 kam dann Sebastian Kurz in das Ministerium, die Karrierewege der beiden verknüpften sich: Der junge ÖVP-Shootingstar machte den eigentlich auf dem Weg zum Botschafterposten in Delhi befindlichen Schallenberg zum Leiter der Stabstelle „Strategie und politische Planung“, 2018 nahm er ihn mit ins Kanzleramt.

Den Sprung zum Außenminister schaffte Schallenberg freilich unter Kurz‘ „Ibiza-Vertretung“ Bierlein. Er war dann allerdings der einzige Vertreter aus Bierleins Kabinett, der in Sebastian Kurz‘ zweitem Kabinett seinen Posten behalten durfte. Kein Wunder: Denn der deutlich ältere Schallenberg vertritt die Linie des ÖVP-Chefs nahezu ausnahmslos und in teils harten Worten - besonders, wenn es um seine restriktive Haltung zur Migration geht.

Alexander Schallenberg (li.) bei einer Pressekonferenz vor einem Treffen mit Deutschlands Außenminister Heiko Maas.
Alexander Schallenberg (li.) bei einer Pressekonferenz vor einem Treffen mit Deutschlands Außenminister Heiko Maas. © Bernd von Jutrczenka/dpa

Als die mitregierenden Grünen im Vorjahr die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem abgebrannten Lager auf der griechischen Insel Lesbos forderten, sagte Schallenberg: „Das Geschrei nach Verteilung kann nicht die Lösung sein“. Im Sommer 2021 meinte er, dass lokale Mitarbeiter von EU-Vertretungen in Afghanistan besser in Nachbarländer als nach Europa evakuiert werden sollten. Das sorgte in Österreich für einige Kritik. In diesen Kontexten bezeichnete sich Schallenberg auch schon selbst als „Überzeugungstäter“.

Allerdings hat Schallenberg auch ein paar Ansichten, die nicht ins deutsche Bild einer konservativ geprägten Außenpolitik passen: So will der ÖVP-Politiker etwa die Westbalkan-Staaten in die EU aufnehmen. Aus einem klaren Kalkül allerdings. Schallenberg will so den Einfluss Chinas und Russlands im Osten des Staatenbundes eindämmen. Kurz schien auf diesem Feld etwas weniger enthusiastisch.

Sebastian Kurz: Schallenberg als Platzhalter für die Putin-Rochade? Neu-Kanzler lieferte Atombomben-Eklat

Auch aus den jüngsten Äußerungen Schallenbergs schien aber eher Pflichtbewusstsein denn großer Gestaltungswille zu sprechen. „Es ist eine enorm herausfordernde Aufgabe und Zeit“, erklärte er nach Bekanntwerden der Kanzlerpläne etwa. „Nicht leicht - für keinen von uns, aber ich glaube, wir zeigen ein unglaubliches Maß an Verantwortung für dieses Land.“ Damit passt Schallenberg vermutlich in das Anforderungsprofil Kurz‘, der schließlich der starke Mann in der Kanzlerpartei ÖVP bleiben will. Sein Plan, neben dem ÖVP- auch den Fraktionsvorsitz zu übernehmen, sprechen eine klare Sprache - Kurz wolle „den Putin“ machen, hieß es am Sonntag schon. Auch auf dem außenpolitischen Parkett dürfte Schallenberg Österreich keine Schande bereiten.

Offen bleibt aber, ob der Diplomatensohn auch das Zeug hat, die ÖVP in eine neue Wahl zu führen. Dafür müsste er wohl noch an Profil gewinnen. Ohne aber Ausrutscher zu wiederholen. Für Aufruhr hatte Anfang des Jahres etwa ein Video des Außenministeriums gesorgt. In plastischen Bildern zu sehen waren hypothetische Folgen eines Atomwaffenabwurfs über Wien - Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) reagierte not amused, andere mit Sarkasmus, wie der Standard berichtete: Eine Künstler-Gruppe konterte mit einem Clip über die verheerenden Auswirkungen eines möglichen Godzilla-Angriffs auf Österreichs Hauptstadt.

Schallenberg: Erst seit 2020 in Kurz‘ ÖVP - und geschiedener Vater von vier Kindern

Ein weiteres „Problem“: Schallenberg ist erst 2020 in die ÖVP eingetreten. Er ist augenscheinlich also eher Kurz denn der Partei verpflichtet. Dazu passt auch seine Verortung als „türkiser Überzeugungstäter“ - „türkis“ ist die ÖVP schließlich erst seit Kurz. Heikel wird das, wenn Kurz nicht mehr den Sprung ins Kanzleramt schaffen kann, wie die Neue Zürcher Zeitung mit Blick auf möglicherweise jahrelange Ermittlungen und Ablehnung in den anderen Fraktionen bereits orakelte. Dann könnte der ÖVP nach einer Wahlschlappe eine schmerzlich komplexe Nachfolgersuche für einen schwachen Zwischenkandidaten blühen. Gefühle, die deutschen Konservativen derzeit bestens bekannt sind.

Immerhin: Schallenberg - oder auch „Schalli“ wie der angeblich durchaus gesellig veranlagte Politiker und passionierte Raucher laut österreichischen Medien genannt wird - stünde nach einem politischen Aus keineswegs vor dem Nichts. Vier Sprösslinge hat der mittlerweile geschiedene Diplomatensohn aus adeligem Haus. Auf sie verwies er auch schon einmal in politischem Kontext: „Die Kinder aus Moria rühren mich genauso wie jeden anderen“, erklärte er dem Magazin profil im September 2020. Schließlich habe er selbst Kinder. (fn mit Material von dpa)

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