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Russland fordert: „Olympia frei von Politik“ - dabei sind die Spiele seit jeher politisch

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Von: Andreas Schmid

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Berlin: Das Olympiastadion bei der Eröffnung der Spiele 1936
Sind Olympische Spiele politisch oder unpolitisch? Ein Blick in die Vergangenheit kommt klar zu ersterer Antwort. Das Bild zeigt die Eröffnungsfeier der Spiele 1936 in Hitler-Deutschland. © Imago Sportfotodienst

Olympia und Politik - eng miteinander verwoben oder strikt getrennt? Russland plädiert derzeit klar für Letzteres, liegt damit jedoch grundlegend falsch.

Peking - Die USA haben einen diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele 2022 angekündigt. Das heißt: In Peking werden keine Vertreter der US-Regierung anwesend sein. Russland hat die Entscheidung in deutlichen Worten kritisiert. „Aus unserer Sicht sollten die Olympischen Spiele frei von Politik sein“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.

Dabei sind Olympia und Politik seit jeher eng miteinander verbunden. „Sportliche Großereignisse haben einen transnationalen Eventcharakter und damit eine große Reichweite“, sagt der Historiker und Stuttgarter Universitätsprofessor Wolfram Pyta im Gespräch mit Merkur.de. „Alle Gastgeberstaaten nutzen die Olympischen Spiele als Imagewerbung.“ Die Aufmerksamkeit ist schließlich enorm. Die Profilierungschancen für die Politik damit auch. Immer wieder nutzten politische Machthaber die olympische Strahlkraft. Ein Überblick über Olympische Spiele, die alles andere als unpolitisch waren:

Olympia 1936 in Deutschland: „Das hat das NS-Regime natürlich genutzt“

1936 gab es sowohl Winter- als auch Sommerspiele. Beide fanden in Deutschland statt und waren Propaganda-Veranstaltungen. Adolf Hitler nutze die Spiele in Garmisch-Partenkirchen und Berlin, um den NS-Staat im Ausland positiv darzustellen. „Es waren die ersten Olympischen Spiele, die als internationale Medienereignisse kommuniziert wurden“, sagt Pyta. „Das hat das NS-Regime natürlich genutzt, wie es alle Regime nutzen. Alle Diktaturen nutzen solche sportlichen Großereignisse zur Selbstdarstellung.“ Das von der NSDAP geprägte Deutsche Reich sollte internationale Anerkennung erfahren.

Hitler und die NSDAP wollten das Bild eines offenen deutschen Staates, „ein freundliches Deutschland“ zeichnen, sagt Pyta - „obwohl man dem Olympischen Gedanken natürlich feindselig gegenüberstand: Völkerverständigung passt nicht zum Rassismus des Nationalsozialismus.“ Um diese Scheinwelt darzustellen, wurden unter anderem antisemitische Schilder für die Zeit der Spiele verborgen. Auf Parkbänken war etwa nicht mehr die Tafel „Juden unerwünscht“ zu sehen.

Inwieweit diese politische Instrumentalisierung und Selbstdarstellung von Hitler-Deutschland erfolgreich war, scheint fraglich. „Sicherlich war der Imagegewinn nicht unbeträchtlich, aber man darf es nicht überzeichnen. Olympia 1936 hat die Briten nicht davon abgehalten, Deutschland nach dem Angriff auf Polen den Krieg zu erklären“, sagt Pyta.

Wolfram Pyta
Professor Wolfram Pyta ist Lehrstuhlinhaber für Neuere Geschichte am Historischen Institut der Universität Stuttgart. Eines seiner Kerngebiete ist die Zeit des Nationalsozialismus. © Bernd Weissbrod/picture alliance

Olympia 1968 in Mexiko: Black Power und der „Schrei nach Freiheit“

In den 1960er Jahren wurden Schwarze in den USA immer noch stark benachteiligt. Es gab etwa getrennte Toiletten und systematische Benachteiligung im Job. Die afroamerikanischen Sprinter Tommie Smith und John Carlos wollten am Rande der Spiele in Mexiko auf die Missstände aufmerksam machen. Sie brachten damit die Politik mit in die Gastgeberstadt Mexiko City.

Während der Siegerehrung zum 200-Meter-Lauf erhoben sie ihre Faust zum sogenannten Black-Power-Gruß. „Durch die Siegerehrung wurde ein innenpolitisches Problem der USA auf olympischer Bühne zum Ausdruck gebracht“, erklärt Pyta. Die Geste ging um die Welt und ist bis heute ein Symbol gegen die Diskriminierung von Schwarzen. „Die Faust war ein Schrei nach Freiheit“, sagte Smith später.

Die Medaillengewinner Tommie Smith (Gold) und John Carlos (Bronze) mit dem Black-Power-Gruß.
Zeichen gegen Diskriminierung: Die Medaillengewinner Tommie Smith (Gold) und John Carlos (Bronze) mit dem Black-Power-Gruß. © Imago Sportfotodienst

Olympia 1976: Afrikanische Staaten boykottieren im Kampf gegen Apartheid

Die Olympischen Spiele 1976 fanden ohne 16 afrikanische Staaten statt. Bereits in den Jahren zuvor hatte Afrika mit Boykott gedroht, Länder wie Nigeria oder Äthiopien blieben den Spielen im kanadischen Montreal schließlich fern. Hintergrund war ein Rugbyspiel der neuseeländischen Nationalmannschaft im damaligen Apartheidstaat Südafrika, wo dunkelhäutige Menschen im Sinne der „Rassentrennung“ massiv diskriminiert wurden. Damals gab es einen internationalen Sportbann gegen Südafrika, doch Neuseeland spielte dennoch gegen die Auswahl des Landes. Das sorgte für Proteste seitens der anderen afrikanischen Teilnehmer.

„Wir haben kein anderes friedliches Mittel gegen die schamlose Unterstützung der unmenschlichen Akte gegen Afrikaner in Südafrika durch Neuseeland, als die Forderung an das IOC, Neuseeland von der Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen 1976 in Montreal auszuschließen. Sollte das IOC diesem Ruf nach Menschlichkeit nicht folgen, behalten sich die betroffenen NOKs Afrikas das Recht vor, ihre Teilnahme zu überdenken“, hieß es damals. Neuseeland durfte allerdings an den Spielen teilnehmen. Die Folge war der Boykott nahezu ganz Afrikas; nur sechs afrikanische Staaten nahmen an den Spielen teil. Das IOC schloss die Apartheidregime Rhodesien (heute Simbabwe) und Südafrika übrigens von mehreren Olympischen Spielen aus.

Olympia 1980 und 1984: Spiele im Zeichen des Kalten Krieges

In der Zeit des Kalten Krieges trugen Russland und die USA ihren Konflikt auch auf internationaler Bühne aus. „Ab 1952 sind die Olympischen Spiele Schauplatz des Kalten Krieges“, erklärt Pyta. 1980 fanden die Olympischen Sommerspiele in der damaligen Sowjetunion statt. Weil die Sowjets ein Jahr zuvor in Afghanistan einmarschiert waren, boykottieren die USA unter dem damaligen Präsidenten Jimmy Carter die in Moskau ausgetragenen Wettbewerbe - laut Pyta eine politische Gegenmaßnahme. Zahlreiche westliche Staaten verbündeten sich mit den USA, darunter die Bundesrepublik auf Drängen des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt. „Daran sieht man, dass die Teilnahme an Olympischen Spielen in höchstem Maße ein Politikum ist“, sagt Pyta.

Die nächsten Olympischen Spiele fanden schließlich auf US-amerikanischem Terrain statt. Wie zuvor die USA in Moskau boykottierte die Sowjetunion nun auch das Großturnier in Los Angeles. Die Ostblockstaaten verzichteten größtenteils. Insgesamt 18 Staaten, darunter die DDR, blieben Olympia fern. Der einzige Teilnehmer aus dem Verbund des Warschauer Pakts war Rumänien. Pyta meint: „Gerade die sozialistischen Staaten nutzen Olympia, um ihre Systemüberlegenheit zu demonstrieren.“ Die Währung sei der Medaillenspiegel und die Spiele letztlich „in höchstem Maße für die eigenen politischen Zwecke instrumentalisiert worden“.

Olympia 2022: China droht mit Konsequenzen - Baerbock will gemeinsame EU-Lösung

Dem diplomatischen Boykott der US-Amerikaner schlossen sich mittlerweile auch Australien, Großbritannien und Kanada an. Olympia-Gastgeber China hat den vier westlichen Staaten daraufhin mit Konsequenzen gedroht. „Sie werden unweigerlich den Preis für ihr Fehlverhalten zahlen“, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Peking. Derweil sprachen sich die neue Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und ihr französischer Kollege Yves Le Drian für eine gemeinsame europäische Position hinsichtlich eines möglichen Boykotts aus. Schon jetzt ist damit klar: Die Olympischen Spiele 2022 sind politisch. (as)

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