35 Milliarden für Polen? Reformen für die EU wecken noch Zweifel - doch Brüssel will auch etwas von Duda
Polen ist mit einem Stück Justizreform der Auszahlung von EU-Milliarden näher gekommen. Noch gibt es Zweifel an den Plänen – aber die EU braucht auch die Unterstützung Polens.
Warschau/Brüssel – Ursula von der Leyen blühte am Donnerstag ein brisanter Termin in Polen: Die EU-Kommissionspräsidentin sollte in Warschau die mögliche Auszahlung von 35,4 Milliarden Euro erläutern. Die Corona-Gelder der EU sind an Bedingungen gekoppelt – unter anderem an die Rücknahme einer hochumstrittenen Justizreform. Polen hat nun in dieser gewichtigen Sache gehandelt. Aber nach Ansicht einiger Kritiker eher halbherzig.
So könnte es auch sein, dass die EU-Milliarden in von der Leyens Gepäck am Ende doch in Brüssel bleiben. „Polen und die Polen brauchen dieses Geld. Es ist eine Schande, dass so viel Zeit verloren gegangen ist und dass nicht ganz klar ist, ob die PiS ihre Versprechungen auch erfüllen wird“, mahnte etwa Oppositionsführer Donald Tusk laut einem Bericht des Portals Euractiv.
Allerdings haben die EU-Staaten wohl auch ein Interesse daran, Polen milde zu stimmen: Das Land ist der letzte Widerstands-Posten gegen eine geplante Mindestbesteuerung für Unternehmen. Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire erklärte, er rechne mit einer Auflösung der Blockade beim letzten Finanzministertreffen unter französischer Ratspräsidentschaft Mitte Juni. Eine Freigabe der EU-Milliarden könne Polen zu einem „Ja“ für die Steuerpläne bewegen, spekulierten EU-Amtsträger dem Magazin Politico zufolge zuletzt.
Polen und die EU: Duda will an Milliarden-Gelder – doch bislang liegen die EU-Mittel auf Eis
Die deutsche Kommissionspräsidentin sollte in Gesprächen mit Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und Präsident Andrzej Duda nun jedenfalls den Plan für die Auszahlung des Geldes erörtern. Mit über einem Jahr Verzögerung hatte die EU-Kommission grünes Licht für die milliardenschwere Unterstützung aus dem Corona-Wiederaufbaufonds für Polen gegeben - allerdings noch nicht final.

Der Geld-Stopp hat einen ernsten Hintergrund. Bislang blockierte Brüssel die Summe wegen der polnischen Verstöße gegen die Unabhängigkeit der Justiz. Die Freigabe knüpfte die Kommission an Bedingungen: Neben der Wiedereinstellung unrechtmäßig entlassener Richter forderte sie von Polen, die von der EU-Kommission scharf kritisierte Disziplinarkammer am Obersten Gerichtshof aufzulösen und das Disziplinarsystem der Justiz zu reformieren.
Polens Justiz: Von der Leyen stichelt sachte - „Freue mich auf Umsetzung“
Vergangene Woche beschloss dann das polnische Parlament die Abschaffung besagter Disziplinarkammer. Polen scheint auch einen weiteren Schritt auf Brüssel zu gemacht zu haben: Für einen der sechs entlassenen Richter, die Kritik an den Justizreformen geübt hatten, wurde die Entlassung vergangene Woche aufgehoben.
Kritikern geht das aber nicht weit genug. Von „kosmetischen Veränderungen“ und der Gefahr „einschüchternder Prozeduren“ vor einem weiterhin falsch eingerichteten Gremium für betroffene Richter schrieb laut Guardian etwa eine Gruppe von elf Rechts- und Menschenrechtsgruppen, darunter auch Vereinigung Polnischer Richter.
Von der Leyen wies aber vor Abreise nochmals darauf hin, dass Polen belegen müsse, alle Bedingungen erfüllt zu haben, bevor die Gelder tatsächlich ausgezahlt würden. „Ich freue mich auf die Umsetzung dieser Reformen“, erklärte sie am Mittwoch (1. Juni). Der Auszahlung der Gelder müssen auch noch die EU-Mitgliedsstaaten zustimmen. Sie haben vier Wochen Zeit, um sich zu äußern. Der Fall wirft einmal mehr ein Schlaglicht auf die schwierigen Entscheidungsprozesse in Brüssel. Gerade erst hat Ungarn ein weiteres Mal mit einer Veto-Drohung Änderungen an einem Sanktionspaket erstritten.
EU-Gegenwind für Polen: Vorbehalte und Ablehnung in der Kommission - neue „Kammer“ überzeugt wohl nicht
Die Unterstützung für Polen setzt sich aus 23,9 Milliarden Euro an Zuschüssen und 11,5 Milliarden Euro an Darlehen zusammen. Wie aus EU-Kreisen verlautete, lehnten die beiden geschäftsführenden Vizekommissionspräsidenten Margrethe Vestager und Frans Timmermans auf der Sitzung am Mittwoch die Freigabe der Gelder ab. Vizekommissionspräsidentin Vera Jourova und EU-Kommissarin Ylva Johansson, die beide abwesend waren, äußerten demnach Vorbehalte.
Anstelle der umstrittenen Disziplinarkammer soll eine neue „Kammer für berufliche Verantwortung“ eingerichtet werden. Für deren Besetzung sollen unter allen Richtern des Obersten Gerichts mit Ausnahme des Gerichtspräsidenten 33 Personen ausgelost werden. Der Staatspräsident wird aus ihnen jeweils elf Richter für eine Amtszeit von fünf Jahren auswählen. Der Entwurf sieht auch die Einführung einer Prüfung der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Richter vor. (dpa/fn/AFP)